Wie ein Ottenser Gastwirt seinen Landsleuten hilft – und dabei zwischen Deutschland und Pakistan pendelt.
(aus Hinz&Kunzt 239/Januar 2013)
Irshad Balouch bietet fürsorglich einen Platz an der Heizung seines gemütlichen Restaurants und heißen Tee an. Das ist sein Beruf, denn Balouch ist Gastronom. Er betreibt drei pakistanische Restaurants in Hamburg. Seine Herzlichkeit ist echt. Und heute strahlen seine Augen besonders, denn er freut sich auf seine nächste Reise nach Pakistan, wo er wieder Lehmhäuser bauen wird. Schon zwei Mal ist er in seine Heimat gereist, um den Menschen, die bei der verheerenden Hochwasserkatastrophe 2010 obdachlos geworden sind, wieder ein Dach über dem Kopf zu verschaffen.
An den Juli 2010 kann sich Balouch noch gut erinnern: Es regnete unaufhörlich. Die Niederschläge führten zur größten Katastrophe in der Geschichte Pakistans: Etwa ein Fünftel des Landes wurde überschwemmt, Millionen Menschen verloren ihre Häuser. Seine Verwandten haben ihm berichtet, was geschah: „Das ganze Dorf wurde weggespült. Es gab nur einen uralten Deich, und als der fiel, war das Wasser innerhalb von Sekunden da. Zum Glück ist niemand gestorben.“
Balouch will helfen. Er sammelt Geld bei seinen Kunden und schickt es nach Hause, damit die notleidenden Menschen Essen und Zelte kaufen können. Ein Tropfen auf den heißen Stein. Die Lage in den Überschwemmungsgebieten ist dramatisch und bleibt es auch, denn die Spendengelder aus dem Westen fließen eher spärlich, und was ankommt, versickert manchmal auch in dunklen Kanälen. Irshad Balouch weiß um die politischen Schwierigkeiten und die fehlende Infrastruktur in Pakistan. „Geld allein hilft nicht. Aber ich liebe mein Land und wollte etwas tun.“
Das hat er. Irshad Balouch springt auf und holt Fotos, die seine Aufbauarbeit dokumentieren, aus dem hinteren Teil des Restaurants. Die Bilder zeigen Lehmhäuser, hübsch verzierte Ziegel und zufriedene Menschen. Balouch lächelt versonnen beim Betrachten. Seine Aufgabe beflügelt ihn: 62 Jahre ist er alt, sieht aber viel jünger aus. Der Gastronom lebt schon seit 35 Jahren in Deutschland. „Ich weiß, was es heißt, arm zu sein, auch wenn es mir heute gut geht.“ In Pakistan hat er Kunst studiert, aber damit konnte er kein Geld verdienen. In Deutschland auch nicht. Deshalb suchte und fand er sein Glück in der Gaststättenbranche. Er hat bereits mehrere Restaurants eröffnet – und dabei die Anfangszeit am meisten
genossen, die Aufbauarbeit und die Inneneinrichtung.
Vielleicht kam er deshalb auch auf die Idee, selbst in seine Heimat zu fahren und Häuser zu bauen? „Ich weiß, was Pakistan fehlt.“ Mithilfe von deutschen Freunden informiert er sich über Lehmbauten. Er sammelt weiter Geld, verkauft auf Straßenfesten Teigtaschen und gründet einen gemeinnützigen Verein. Als das Wasser nach ein paar Monaten im Überschwemmungsgebiet abgeflossen ist, reist er Anfang 2011 mit 8000 Euro nach Gujhra. Sein ältester Sohn, damals 21, begleitet ihn. Innerhalb von drei Wochen sind fünf Häuser fertiggestellt und sechs weitere in Arbeit. Gemeinsam gebaut von ein paar Handwerkern und den Bewohnern selbst. „Wir nennen sie Häuser, aber eigentlich ist es nur ein Zimmer“, sagt Irshad Balouch. Aber 21 Familien haben nach sechs Wochen Bauzeit wieder ein Zuhause. Aus traditionellen Lehmziegeln und mit Fundament, denn das nächste Hochwasser kommt bestimmt.
Mit seiner Hilfe wurde so das Dorf wieder aufgebaut. Aber die ganze Region ist betroffen. „Es gibt dort viele Arme und ein paar sehr Reiche. Die Infrastruktur ist sehr schlecht: kaputte Straßen, keine Sanitäranlagen, keine Schulen.“ 2011 sammelt er wieder Geld. Anfang 2012 reist Balouch erneut mit rund 7000 Euro zum Häuserbauen nach Pakistan – dahin, wo die Not am größten ist. 36 Häuser sind bei diesem zweiten Besuch entstanden, erzählt der Gastronom stolz.
In den nächsten Monaten wird Balouch wieder nach Pakistan fahren. „Ich entscheide nach Bedürftigkeit.“ Dieses Mal soll eine Nomadengruppe eine feste Bleibe bekommen. „Sie stellen Schilfmatten her und müssen immer umherziehen, weil sie nirgendwo lange bleiben können. Ihnen fehlt das Geld, um sich niederlassen zu können.“ Ein Stück Land und das Baumaterial stellt Irshad Balouch. Gemeinsam werden sie ein paar Lehmhäuser für die Gemeinschaft hochziehen.
Aber erst einmal will er zu seiner Familie, denn er ist selbst ein halber Nomade. Seine Frau, eine Französin, lebt mit den Kindern nun seit zwölf Jahren in Frankreich, im Elsass. Irshad Balouch pendelt seither zwischen Hamburg und Colmar. Und jetzt kommt auch noch Pakistan dazu. Denn 60 Häuser sind nicht genug. Er träumt von 20.000 bis 30.000 Euro Spenden und einem richtigen Dorf. Mit Bäumen, Wasser und einer Schule. Irshad Balouch glaubt fest daran. „Es kann klappen. Man kann viel bewegen, wenn man gemeinsam etwas anpackt.“
Text: Sybille Arendt
Foto: Maurice Kohl