Eine überlebende Näherin des Rana-Plaza-Unglücks in Bangladesch fordert in Hamburg Entschädigungen für die Opfer und ihre Angehörigen. Ein Jahr danach weigern sich noch viele Textilunternehmen, Verantwortung zu übernehmen.
Wir haben von dem schrecklichen Unglück aus der Zeitung erfahren, aber Shila Begum war live dabei: Die Näherin arbeitete gerade in der Textilfabrik Rana Plaza, als das Gebäude über ihr zusammen fiel. Sie erinnert sich noch an einen lauten Knall und dass der Boden unter ihren Füßen absackte. Eine Maschine fiel auf ihre rechte Hand und herabstürzende Trümmer verletzten sie schwer in der Magengegend. Ganze 16 Stunden musste sie so ausharren, bis sie gerettet wurde. Immer wieder wurde sie dabei bewusstlos: „Wenn ich bei Bewusstsein war, habe ich Gott um Hilfe gebeten und an meinen Sohn gedacht.“ Dabei hatte sie Glück im Unglück: Über 1000 Arbeiter verloren bei dem Unglück ihr Leben, mehr als 1500 waren zum Teil schwer verletzt, so wie Begum.
Knapp ein Jahr später sitzt Shila Begum im Hamburger Museum der Arbeit und berichtet auf einer Pressekonferenz von ihrem Schicksal. In Europa will sie von den Firmen, die in Rana Plaza Kleidungsstücke produzieren ließen, Entschädigungszahlungen einfordern. Viele weigern sich nämlich bislang, Verantwortung zu übernehmen. Begum fragt sich: „Sind über 1000 Seelen von toten Arbeitern für die Unternehmen nichts wert?“
Mindestens 29 Millionen Euro Entschädigungszahlungen für Lohnausfälle und Behandlungskosten fordern Gewerkschaften von den Unternehmen. Bislang sind nur 11 Millionen Euro beim Fonds der internationalen Arbeiterorganisation ILO eingegangen, darunter je 362.000 Euro von Kik und C&A. Frauke Banse von der Clean Clothes Campaign ärgert, dass viele Unternehmen sich aus der Verantwortung stehlen und keine oder zu geringe Entschädigung zahlen würden, auch wenn sie in der Fabrik produzierte Kleidung verkaufen.
Ein Argument, das Banse immer wieder hört: Die Hersteller hätten keine direkten Geschäftsbeziehungen zu der Fabrik unterhalten. „Keine direkte Geschäftsbeziehung zu haben, liegt im System der Textilproduktion“, sagt Banse. Es sind meist Zulieferbetriebe, die dort nähen lassen und die Ware dann weiterverkaufen. Dass die großen Unternehmen trotzdem behaupten, damit nichts zu tun zu haben, bezeichnet sie als „legalisierte Verantwortungslosigkeit“.
Genausowenig Verständnis hat Safia Parvin von der Gewerkschaft National Garment Workers Federation: „Die Unternehmen haben bekommen, was sie bestellt haben“, sagt die Gewerkschafterin aus Bangladesch. „Es wurde mit dem Schweiß und dem Blut der Arbeiter hergestellt.“ Zwar würde das Leben für die überlebenden Arbeiter nie wieder so sein, wie vor dem Unglück. „Aber die finanzielle Unterstützung kann ihnen dabei helfen, wieder auf die Beine zu kommen.“
Shila Begum lebt inzwischen bei ihrer Schwester. Sie bezahlt auch das Essen und die Miete. Begum selbst hat kein Einkommen mehr, aufgrund ihrer Verletzungen kann sie nicht mehr arbeiten. Auch für ihre Tochter kann sie nicht mehr sorgen und überlegt deshalb, sie weg zu geben. Trotzdem will sie nicht aufgeben: „Ich bin bereit, so lange zu kämpfen, bis endlich alle Opfer entschädigt sind.“
Text: Benjamin Laufer
Foto: Mauricio Bustamante