Schauspielerin Birte Schnöink : Leben und Spielen für den Moment

Sie brauchte einige Anläufe, um an einer Schauspielschule angenommen zu werden. Dann aber eilte sie mühelos von Erfolg zu Erfolg. Am Thalia Theater erhielt sie ihr erstes, festes Engagment – und kann sich dort in vielen Rollen beweisen.

(aus Hinz&Kunzt 261/November 2014)

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Birte Schnöink ist die diesjährige Preisträgerin des Boy-Gobert-Preises, einem der wichtigsten Nachwuchspreise für junge Schauspieler. Vor ihr haben das schon Ulrich Tukur, Fritzi Haberlandt oder Maren Eggert geschafft – und aus allen sind große Schauspieler geworden.

Der Vorhang ist geschlossen, das große Licht im Saal des Thalia Theaters brennt noch hell. Viel Platz hat Birte Schnöink nicht, wie sie da in ihrem Kostüm am Rand der Bühne steht. Einen Meter vielleicht. Aber sie muss ja auch in den nächsten Minuten nicht herumrennen oder über die Bühne springen, sie muss nur ganz konzentriert aus sich heraus ihren Monolog ins Publikum sprechen; muss davon berichten, wie sich des Nachts im Dorf Unheimliches, gar Alptraumhaftes zutrug, wie im nächtlichen Dunkel ein Mann aus einem Zimmer sprang und dass dabei ein Krug kaputtging.

„Der zerbrochene Krug“ heißt das Stück, von Heinrich von Kleist verfasst und von Johann Wolfgang von Goethe im Jahre 1808 erstmalig aufgeführt. Ein echter Klassiker und bis heute ein Muss im Lehrplan für den Deutschunterricht in den oberen Klassen.

Und so ist das Thalia heute Abend bis in die oberen Ränge mit Schülern bestens gefüllt, die eben noch tuschelten, sich gegenseitig die Displays ihrer Handys zeigten, nun aber nach vorne schauen: die einen neugierig und abwartend, die anderen skeptisch bis vielleicht ablehnend.

Dann passiert es: Ein Schüler kommt verspätet in den Saal. Er schaut auf seine Eintrittskarte, sieht sich in aller Ruhe um: In welcher Reihe ist sein Sitzplatz? Ah, auf der gegenüberliegenden Seite! Da drüben! Er nimmt sich alle Zeit der Welt, schlendert in Richtung Bühne und geht seelenruhig am Bühnenrand entlang. Gelächter ertönt, einzelne Schüler applaudieren. Birte Schnöink bricht ihren Text ab, bleibt ihrerseits ganz ruhig stehen, bis der junge Mann endlich seinen Platz gefunden hat, seinen Rucksack absetzt, die Jacke auszieht und sich setzt. Dann spricht sie ihren Text zu Ende. Und der Vorhang hebt sich und das Spiel um den zerbrochenen Krug und den Dorfrichter Adam, der sich nachts in das Zimmer der Eve geschlichen hat und über sich selbst zu Gericht sitzen wird, beginnt.

„Vor Schülern zu spielen ist fordernder, es verlangt eine höhere Konzentration. Schüler sind in ihren Reaktionen sehr unmittelbar, das ist die große Qualität; Erwachsene sitzen lange abwartend da und überlegen, ob es ihnen gefallen könnte“, sagt Birte Schnöink ein paar Tage später in einem Café irgendwo auf St. Pauli. Andererseits sei da auch die Gefahr, sich den jungen Leuten anbiedern zu wollen: „Beim ‚Krug‘ ist das extrem, weil es ein von der Sprache her anstrengendes Stück ist, in das sie ja gezwungen werden reinzugehen.“ Und sie sagt: „Umso schöner ist es, wenn man ihre Aufmerksamkeit gewinnt; wenn sie dann vom Sog des Stückes mitgezogen werden.“ So wie es an diesem Abend der Fall sein wird.

Dieser Tage erhält Birte Schnöink den Boy-Gobert-Preis. Es ist einer der wichtigsten Nachwuchspreise, den eine junge Theaterschauspielerin oder ein junger Schauspieler erringen kann. Der mit 10.000 Euro dotiert ist. Und den zuvor Kollegen und Kolleginnen wie Ulrich Tukur, Hans Löw, Fritzi Haberlandt und Maren Eggert entgegengenommen haben. Heute alle große Namen.

An diesem Abend geht übrigens alles gut: Die jungen Leute sind schnell gefangen und am Ende folgt donnernder Applaus. „Ich war ja selbst mal Schülerin“, sagt sie, längst wieder versöhnt. Und zwar in der Kleinstadt Delmenhorst, wo die 1984 in Bremen Geborene aufwächst. Dort entdeckt sie das Theaterspielen, das ihr damals wichtiger ist als das Theaterschauen. Sie ist fasziniert davon, was mit einem passiert, wenn man in eine Rolle schlüpft, wenn man spielt: „Es gab einen Drang, auch eine Sehnsucht, aus mir herauszugehen, etwas zu dürfen, wo einen das eigene Selbst nicht blockiert. Es gab ein Gefühl von Lebendigkeit.“

Fertige Stücke können da nicht immer mithalten: „Ich erinnere mich auch an Vorstellungen, wo ich mit der Klasse hingegangen bin und die ich sterbenslangweilig fand.“ Jahr für Jahr macht sie mit bei der schulischen Theater AG,  fasst dann Mut und wird schließlich Mitglied einer freien Theatergruppe außerhalb der Schule.

„Mit 14, 15 habe ich das erste Mal Theater gespielt. Mit 16 habe ich den Gedanken dann das erste Mal zugelassen, dass das vielleicht eine Möglichkeit ist, daraus einen Beruf zu machen. Ich habe das sehr für mich behalten und hatte große Bedenken, ob das wirklich die Realität sein kann. Mit 18 habe ich dann beschlossen, dass ich es machen will“, erzählt sie.

Lange behält sie diesen Wunsch still für sich: „Ich wollte es einfach schützen. Ich hatte Angst, dass mir zu sehr reingeredet wird; dass mir dieser Wunsch ausgeredet wird. Und wenn ich mal selbst das Theaterspielen als Beruf erwähnt habe, dann habe ich es gleich runtergespielt: ‚Na, mal gucken … vielleicht …‘ – einfach aus einem Schutz heraus, weil mir das Spielen so sehr kostbar war.“ Sie lacht plötzlich auf: „Meine Mutter hat immer gesagt: ‚Werd doch Lehrerin!‘“

Doch zunächst absolviert sie in Bremen ein Freiwilliges Soziales Jahr in einem Wohnheim für Behinderte, begleitet die Bewohner zur Arbeit, kauft mit ihnen ein, kocht mit ihnen abends: „Ich hatte tolle Begegnungen, es war eine wertvolle Zeit. Aber ich habe genauso gemerkt, es ist ein anstrengender Beruf, und ich hatte das Problem, dass ich mich nicht gut genug um die Menschen kümmern konnte. Das hätte ich auf Dauer nicht ausgehalten.“

Sie unternimmt einen ersten Versuch und spricht an diversen Schauspielschulen vor. Die Sache geht gründlich schief: „Ich hatte keine Ahnung, wie man sich auf so ein Vorsprechen vorbereitet und wie man sich eine Rolle überhaupt erarbeitet. Entsprechend blöd ist es gelaufen. Es war ein schlimmes Gefühl, da zu stehen, die Nervosität ging nicht weg, ich stand komplett neben mir und habe mir zugeschaut, wie ich da etwas versuche, was mir nicht gelingt.“

Doch ein Studium absolvieren? Sie schreibt sich für Germanistik ein und weiß nach einem Semester: Das wird nix! Und so unternimmt sie schließlich einen nächsten Versuch, doch an einer Schauspielschule zu landen. Es soll die renommierte und berühmte Schauspielschule „Ernst Busch“ in Berlin werden: „Beim ersten Mal hatte ich mich dort nicht beworben, weil ich das Profil der Schule auf deren Internetseite so unsympathisch fand. Ich war ja so naiv und hatte keine Ahnung.“ Nun aber soll es klappen: „In dem Moment, als ich den Umschlag mit meiner Bewerbung in den Briefkasten geworfen habe, habe ich laut gesagt: ‚Da gehe ich jetzt hin!‘.“

Und so geschieht es: Sie wird eingeladen, sie spricht vor, sie wird genommen und beginnt 2006 ihre Schauspielausbildung. Seitdem scheint ihr alles zu gelingen. Noch als Schauspielstudentin wird sie auf Festivals eingeladen, tritt in Salzburg bei den dortigen Festspielen auf. 2009 führt sie ihr erstes festes Engagement gleich ans Thalia Theater, wo man ihr schnell wichtige Rollen zutraut: etwa die der Julia in Shakespeares Tragödie „Romeo und Julia“.

Auch dies ist ein Stück, das immer wieder gerne in der Schule im Deutschunterricht durchgenommen wird. Ein Stück, in dem Theater sich pur entfaltet: „Allein dieses Sichverlieben – das ist ja ein Riesenalptraum, da passiert ja viel zu viel! Das durchlebt man ja alles in dem Moment. Bei der Premiere, als ich da zum Schluss tot auf dem Klavier lag, dachte ich: ‚Ah, jetzt habe ich es gleich fertig gespielt. Das ist einmalig! Das spielen wir jetzt nur ein Mal!’ Und dann fiel mir plötzlich ein: ‚Nee, wir werden das bestimmt noch 50-mal spielen! Immer wieder diese Geschichte.‘“

Sie macht eine Pause, schaut ein wenig nachdenklich, sie nimmt einen Schluck Kaffee und schweigt. Dann sagt sie: „Es fühlt sich im guten Sinne so an, als wird man auf der Bühne geboren, so wie man auf der Bühne auch wieder stirbt. Und am Ende ist es natürlich merkwürdig, wenn das Stück zu Ende gespielt ist, sich der Raum so anders öffnet, und dann sitzen da die Leute, die mir zugeschaut haben.“

Und so muss sie nicht wirklich lange nachdenken, was für dieses altehrwürdige, dieses langsame, immer wieder totgesagte Theater spricht: „Was ich am Theater so toll finde, ist, dass man im Moment den Moment sieht. Dass im Moment etwas stattfinden kann und dann ist es wieder weg – für immer. Dass man in diesem einzigartigen Moment dabei sein kann, und zwar gemeinsam.“

Sie lächelt, als sie sagt: „Wenn man bedenkt, da kommen Leute und gucken sich an, wie sich erwachsene Menschen verkleiden und ein Stück spielen – das hat etwas Rührendes und Zartes.“

Text: Frank Keil
Foto: Dmitrij Leltschuk