In Hamburg auf einem Hausboot leben? Das kostet – Geld, Zeit und Nerven. Uwe Wendler hat alles investiert und findet: Es hat sich gelohnt.
Eine Brise kräuselt die Wasseroberfläche, die Spiegelung des Sonnenlichts tanzt über die Holzfassade der „Pauline“. Auf dem Vordeck des Hausboots sitzt Uwe Wendler und beobachtet drei Graugänse, die schnabulierend an der grünen Uferböschung entlangtreiben. Auf dem Heidenkampsweg rauscht der Verkehr. Wendler stört sich nicht daran. Er ist angekommen.
Seit sieben Jahren wohnen er und seine Partnerin Uta Fabel auf ihrem Hausboot mitten in Hamburg, am Victoriakai-Ufer in Hammerbrook – mit eigenem Briefkasten, Klingel und Genehmigung der Stadt. Die Pacht ist bezahlt für 30 Jahre, ihr Haus in Bramfeld wurde ihnen ohnehin zu groß. Wendler ist nun 71, seine Partnerin sieben Jahre jünger, ein paar Monate hat sie noch bis zur Rente. Dann wollen sie die Leinen losmachen und in den Urlaub fahren – ohne Kofferpacken, mit ihrem schwimmenden Zuhause, bis es sie zurückzieht an ihren sicheren Platz im Kanal.
Ein Traum von Freiheit. Könnte er nicht für viel mehr Menschen in Hamburg wahr werden?
Für die Hamburg Port Authority ist die Sache klar: Im Hafen ist nur zulässig, was der Hafenwirtschaft dient. So steht es im Hafenentwicklungsgesetz, und das gilt flächendeckend, auf Norder- und Süderelbe, von Wedel bis Ochsenwerder. Für alle Gewässer, die nicht zum Hafen gehören, sind dagegen die Bezirke zuständig. Und da lautet die Antwort: kommt drauf an.
„Hausbootliegeplätze werden lediglich im Bereich der Bezirksämter Hamburg-Mitte und Hamburg-Nord angeboten“, heißt es auf der städtischen Internetseite hamburg.de. Wo genau, das offenbart die Karte der Eignungsflächen für Hausboote: Einige Kanäle in Hammerbrook, Teile des Mittel- und des Eilbekkanals, ein Teil des Osterbekkanals, ein kleiner Abschnitt der Bille und einige Meter im Harburger Binnenhafen sind demnach als mögliche Wohn-Liegeplätze ausgewiesen, darunter auch der, an dem Uwe Wendler wohnt.
Verboten oder vergeben – das gilt für viele idyllische Ufer in Hamburg. Anne Schulz glaubt trotzdem: Da geht noch mehr. „Die Plätze sind noch längst nicht ausgeschöpft“, sagt die Planerin, die schon einigen in Hamburg geholfen hat, ihren Traum vom Hausboot-Leben zu verwirklichen. Ihr wichtigster Rat: Anspruchsdenken über Bord werfen. „Man bekommt den Liegeplatz nicht auf dem Silbertablett präsentiert. Ich muss nachfragen: Was muss ich tun, damit aus einer Fläche ein Liegeplatz wird?“ Gegen die Behörden gehe nichts – aber wer ein gutes Konzept vorstelle und bereit sei, selbst an Lösungen zu arbeiten, könne damit viel erreichen.
Uwe Wendler nahm die Herausforderung an. Das Hausbootleben sei für ihn eher eine witzige Idee als ein Lebenstraum gewesen, „aber es hat sich dann ein gewisser Ehrgeiz entwickelt“, erzählt er. Er und seine Nachbar:innen in spe fingen bei null an: Sie stimmten sich mit Fachbehörden ab, ließen Dalben in den Grund des Kanals rammen, beantragten Bodensondierungen, planten die Infrastruktur für Wasser, Abwasser, Strom, Gas und Telefon und ließen Stege bauen.
Wendler kannte sich aus, nach langjähriger Tätigkeit bei der Telekom arbeitete er selbstständig als Handwerker für Innenausbau. „Die Leitungen oben habe ich selbst verlegt, auch selbst gebuddelt, mit einem kleinen Bagger“, erzählt er. „Da saß dann jemand vom Kampfmittelräumdienst daneben, und immer wenn etwas geknirscht hat, sprang er auf, guckte und sagte: ,Kannst weitermachen.‘“ Als die Rechnung des Bezirksamts kam, vertiefte sich Wendler in die Gebührenordnung und stellte fest: Die Verwaltung hatte die Gebühr für die Süderstraße berechnet, er aber lag an der Wendenstraße – und die war billiger. Trotzdem habe ihn die Erschließung des Liegeplatzes insgesamt rund 90.000 Euro gekostet, sagt er. Und damit hatte er noch kein Hausboot.
„Die Plätze sind noch längst nicht ausgeschöpft.“
Planerin Anne Schulz
„Man braucht Eigenengagement, Offenheit für verschiedene Möglichkeiten, ein gutes Bauchgefühl“, sagt Anne Schulz. Auch eine fachliche Begleitung sei hilfreich, um vor lauter Vorschriften nicht den Faden und den Mut zu verlieren. Klar ist auch: Wer auf dem Wasser leben möchte, muss viel Geld investieren. Eine Mindestsumme möchte Schulz allerdings nicht nennen. Es komme immer darauf an, welche Ausstattung nötig und gewünscht ist. Geht es um das abgeschiedene Leben in der Natur? Um das Schaukeln auf den Wellen? Darum, zu Hause und doch mobil zu sein? Jeder Traum verlange etwas anderes.
Die wesentlichen Kosten aber seien kalkulierbar. Gebühren für Erschließung und behördliche Betreuung könne man nachschlagen oder abfragen, nicht anders als beim Hausbau zu Land, sagt Schulz. „Dann guckt man sich an, was für ein Hausboot man haben möchte und kann die zweite Summe addieren.“ Neubauten seien oft abschreckend teuer, sagt Schulz. Es gebe aber einen großen Markt an günstigen, gebrauchten Hausbooten, etwa in den Niederlanden. „Eins, das ich mal begleitet habe, kam im Bauch eines Binnenschiffs nach Hamburg“, erzählt die Planerin.
Uwe Wendler und Uta Fabel entschieden sich für einen Neubau, stilistisch eher Schwimmhaus als Boot – ein Zugeständnis an die Wünsche des Bezirks. Etwa vier Zentimeter Abstand blieben zwischen dem Dach und der niedrigsten Brücke, die das Paar auf dem Weg zur Werft passieren muss. „Passt aber“, sagt Wendler. Zur Werft muss er alle fünf Jahre, die beiden Stahlschwimmkörper müssen begutachtet werden für ein neues Schwimmfähigkeitszeugnis. Ohne Gutachten keine Versicherung und ohne Versicherung kein Liegeplatz.
Die „Pauline“ bestand den Test, trotzdem habe er im Winter „eine kleine Havarie“ gehabt, erzählt Wendler. Eine dicke Ladung Schnee drückte das Hausboot tiefer ins Wasser – und bei einem Schwimmkörper war oben ein Deckel offen, zur Belüftung. Wendler bemerkte das Problem erst, als er und seine Partnerin sich morgens an derselben, plötzlich abschüssigen Bettkante wiederfanden. „Die Feuerwehr war dann hier, das war auch im Fernsehen und in der Zeitung.“ Wendler kichert. Drei Tage lang verbrachte er mit Pumpen und Trockenlegen, dann war alles wieder im Lot.
„Das Leben auf dem Wasser ist nicht einfach“, sagt Anne Schulz, selbst ehemalige Hausbooteignerin. Im Winter trage man seine Einkäufe über glitschige Stege. Die Wege von einem Liegeplatz an andere Orte des Alltags sind oft länger, der idyllische Platz draußen im Grünen kann in der dunklen Jahreszeit einsam sein. „Und man muss sich immer kümmern“, sagt Schulz. „Denn wenn es dem Hausboot nicht gut geht, dann geht es irgendwann unter.“ Trotzdem sei das Leben auf dem Wasser mit nichts zu vergleichen. „Man atmet anders.“
Uwe Wendler lässt den Blick über das glitzernde Wasser schweifen. „Jede Lichtstimmung hier ist besonders“, sagt er. Morgens im Winter, wenn Eis auf dem Kanal liegt, kurz vor einem Sommergewitter oder im goldenen Herbstlicht – jedes Mal ein völlig anderes Bild. „Das würde ich schon vermissen.“ Irgendwann würden sie wohl wieder an Land ziehen, sie würden ja nicht jünger, sagt Wendler. „Aber es muss in Wassernähe sein.“ In Schwerin hat er sich schon umgesehen. „In Hamburg“, sagt er, „ist das nicht bezahlbar.“