Abzock-Vermieter Thorsten Kuhlmann gesteht vor dem Landgericht – und muss deshalb nicht ins Gefängnis. Der Mieterverein zu Hamburg fürchtet, dass das Urteil Nachahmer anregen könnte.
(aus Hinz&Kunzt 272/Oktober 2015)
Es ist ein schmales Geständnis, das Thorsten Kuhlmann im September im Landgericht von seinem Verteidiger verlesen lässt. Und die Formulierungen lassen vermuten, dass der Immobilienbesitzer nur bedingt Reue empfindet. „Der Vorwurf wird eingeräumt“, lässt Kuhlmann mitteilen – um anschließend seine Taten zu relativieren. Als einer von wenigen Hamburger Hausbesitzern habe er „vielfach an Hilfeempfänger vermietet“. Bei denen sei der „Instandsetzungs- und Verwaltungsaufwand“ nun mal höher. Und: Nur bei zehn Prozent der geprüften 1000 Mietverträge seien „fehlerhafte Angaben“ festgestellt worden. Diese habe teils er selbst vorgenommen, teils auch Mitarbeiter. „In der Rückschau“ habe er erkannt, so Kuhlmann, „dass diese Vorgehensweise falsch war und dass ich mich in den angeklagten Fällen zu Unrecht bereichert oder das zumindest versucht habe“.
Sechs Jahre ist es her, dass Hinz&Kunzt erstmals das „System Kuhlmann“ aufdeckte (H&K 200). Thorsten Kuhlmann und seine Grundstücks GmbH hatten an viele Hilfeempfänger Quadratmeter vermietet, die es nicht gab – auf Kosten des Steuerzahlers. So waren manche seiner Wohnungen auf dem Papier fast doppelt so groß wie in Wirklichkeit. Die Folge: Quadratmeterpreise von bis zu 14 Euro – für Bruchbuden. Das Jobcenter hatte sich zunächst für nicht zuständig erklärt. Erst als der öffentliche Druck durch die Medien immer mehr wuchs, entschloss sich das Amt zur Flucht nach vorne und stellte im März 2010 Strafanzeige.
103 Fälle von Betrug oder versuchtem Betrug hat Kuhlmann gestanden. Im Gegenzug bekommt er eine Haftstrafe von 15 Monaten auf Bewährung. Zudem verdonnerte ihn das Gericht zu einem Bußgeld in Höhe von 22.000 Euro. Seine Grundstücks GmbH soll noch mal 25.000 Euro zahlen.
Ohne das Geständnis hätte Kuhlmann eine Haftstrafe von bis zu fünf Jahren gedroht. Die Staatsanwaltschaft hatte bereits 2012 Anklage wegen gewerbsmäßigen Betrugs in 223 Fällen erhoben. Doch forderte das Gericht umfangreiche Nachermittlungen. Nach deren Abschluss sahen die Richter nur noch bei rund der Hälfte der Fälle hinreichenden Tatverdacht. Grund dafür waren vor allem Aussagen von Jobcenter- Mitarbeitern: Drei von vier hatten angegeben, die tatsächliche Wohnungsgröße habe sie nicht interessiert, sie hätten nicht darauf geachtet oder sie hätten die Übernahme der Mietkosten auch dann bewilligt, wenn die Angaben im Mietvertrag korrekt gewesen wären. In diesen Fällen könne von Betrug oder versuchtem Betrug nicht gesprochen werden, so die Sprecherin des Landgerichts. Denn die Amtsmitarbeiter hätten die Kostenübernahme ja nicht infolge einer Täuschung bewilligt. In einigen Fällen hätten auch Wohnungslage oder -ausstattung dazu geführt, dass die Miethöhen angemessen erschienen. Hier „fehlte es am Vermögensschaden“.
Bedingung für den Deal war für Richter und Staatsanwalt auch, dass Kuhlmann den Schaden wiedergutmacht. 670.000 Euro zu viel gezahlte Mieten hatte das Jobcenter in Zivilprozessen gefordert. Rund 330.000 Euro musste der Immobilienbesitzer bislang infolge von Urteilen zahlen. Mehr als insgesamt 450.000 Euro wird das Jobcenter wohl nicht von ihm bekommen. Verantwortlich dafür ist ein Urteil des Hamburger Landgerichts. Danach dürfen zu viel gezahlte Mieten für Kellerwohnungen nur zurückgefordert werden, wenn ein Amt die Nutzung als Wohnraum zuvor ausdrücklich untersagt hat. Da Kuhlmann viele Keller als Wohnungen vermietete – was die Ämter in der Regel nicht wussten – geht es hier laut Jobcenter- Anwalt Tobias Beckmann um gut 200.000 Euro.
Dass der Strafprozess nun mit einem Deal endete, stößt auf Kritik: „Aus meiner Sicht ist das kein Fall für eine Bewährungsstrafe“, so Siegmund Chychla vom Mieterverein zu Hamburg. „Im Strafrecht spricht man von extrem großer krimineller Energie, wenn jemand die Schwächsten der Schwachen ausnutzt und den Steuerzahler betrügt.“ Die angeklagten Fälle seien „die Spitze des Eisbergs“. Zudem müsse der Staat angesichts der Wohnungsnot „mögliche Nachahmer abschrecken“, so Chychla: „Die Gefahr, dass schwarze Schafe dem Goldrausch verfallen, ist derzeit groß.“ Wie viele Wohnungen der Immobilienbesitzer heute an Hilfeempfänger vermietet, ist nicht bekannt. Kuhlmanns Anwalt ließ Fragen unbeantwortet, das Jobcenter erklärte, es gebe dazu „keine statistische Erhebung“.
Text: Ulrich Jonas