In einer Siedlung in Langenhorn-Süd geschehen merkwürdige Dinge. Die Hausverwaltung schickt Mahnungen und reagiert nicht auf Nachfragen, immer wieder stehen Wohnungen leer. Was steckt dahinter?
„Letzte außergerichtliche Mahnung“: Der Brief, den Ursula und Udo Bergler vergangenen November von der Hausverwaltung erhalten, hat es in sich. 4349,96 Euro schulde das Ehepaar seiner Vermieterin. „Wir fordern Sie daher letztmalig auf, den Gesamtrückstand innerhalb von fünf Tagen auszugleichen“, heißt es in dem Schreiben. Ratenzahlung sei möglich, Untätigkeit nicht. Es drohten „kostenpflichtige Maßnahmen der Forderungsbeitreibung“.
33 Jahre leben die Berglers in der Dreizimmerwohnung im Süden Langenhorns. In ihrem Flur hängt ein Luftbild aus den 1930ern. Die Aufnahme haben sie in einer Ausstellung entdeckt, erzählt Ursula Bergler. „Da, wo auf dem Foto alles grün ist, wohnen wir jetzt“, sagt Ehemann Udo. Grün ist es in der in den 1950ern erbauten Siedlung heute noch: Hohe Bäume säumen die Straßen, zwischen den Häusern erstrecken sich Rasenflächen. Die Aussicht auf Vollbad und Garten habe sie vor allem gereizt, erzählt Ursula Bergler. Die gelernte Erzieherin hat hier den Sohn großgezogen, ihr Mann auf dem Flughafen als Triebwerk-Elektriker gearbeitet.
Seit ihrem Einzug 1991 haben die Berglers einiges erlebt: Von Aktiengesellschaften berichten sie, die sie rausschmeißen wollten, von Eigentümern, die sich nicht kümmerten. Aber dass sie seit einiger Zeit alle zwei bis drei Monate eine Mahnung von einer Hausverwaltung bekommen, die nicht ansprechbar ist: Das ist ihnen neu. „Mich macht das wuschig, dass da überhaupt keine Reaktion kommt“, sagt Ursula Bergler, eine temperamentvolle 71-Jährige, die bis vor Kurzem junge Familien ehrenamtlich begleitet hat.
Dabei gibt es viel zu besprechen. Die Berglers rechnen ihre Heizkosten seit vielen Jahren mit einem örtlichen Energieanbieter ab. Unverständlich, warum sie fürs Heizen auch noch Geld an den Eigentümer überweisen sollen. Auch die Mietabrechnungen stimmten nicht, sagen sie. Und die letzte Betriebskostenabrechnung sei die für 2020 gewesen. Immer wieder, sagt Ursula Bergler, hat sie versucht, die Verwaltung telefonisch zu erreichen. Vergeblich. Regelmäßig verschicke sie deshalb Briefe mit ihrer Sicht der Dinge, „ich habe alles belegt“. Eine „Riesen-Korrespondenz“ sei entstanden. Allein: Es ändere sich nichts.
Die Mahnungen kommen von der Hausverwaltung Optima aus Berlin. Sie gehört zur Unternehmensgruppe Reanovo, laut Internetauftritt „deutscher Marktführer in der Immobilienverwaltung“. Auf Nachfragen von Hinz&Kunzt erklärt ein Sprecher: „Aufgrund eines technischen Fehlers war es zwischenzeitlich zum teilweise fehlerhaften Versand von Forderungen gekommen.“ Die Reanovo arbeite „mit Hochdruck daran, dieses Problem und seine Folgen zu beheben“. Weiter erklärt das Unternehmen: „Aktuell entspricht unsere Erreichbarkeit nicht unseren Ansprüchen.“ Um diese zu verbessern, werde Reanovo „zeitnah Telefonzeiten einrichten“. Zudem habe man neue Mitarbeitende eingestellt. Bundesweit betreue die Unternehmensgruppe knapp 150.000 Wohnungen. Wie oft die Optima Mietenden gedroht habe, angeblich ausstehendes Geld auf deren Kosten einzutreiben, und was das Ergebnis davon war, teilt der Sprecher nicht mit.
Es gibt noch etwas, das die Berglers ärgert: Seit rund drei Jahren steht die Wohnung über ihnen leer. Nach Bauarbeiten hätten dort zwei Jahre lang zwei junge Männer gelebt, nach deren Auszug sei wenig passiert: Einen Besichtigungstermin hätten sie mitbekommen, mehr nicht. Eine Maklerin habe ihnen da erzählt, die Wohnung solle verkauft werden. Dann sei nichts geschehen. Später sei in der Wohnung angeblich eine Wand eingestürzt. Kürzlich, erzählt Frau Bergler, habe sie Handwerker gesehen, „die Brocken rausgetragen haben und Ytong-Steine rein“. Wann dort wohl wieder jemand wohnen wird?
Eine Straße weiter, derselbe Vermieter: Im Juni 2020 bekommen Elisabeth und Hans-Peter Voß Besuch. Der Mitarbeiter einer Maklerfirma hat sich angekündigt. Die Wohnung, in der das Ehepaar seit 47 Jahren lebt, soll verkauft werden, deshalb will er die Räume besichtigen. „Er hat alles fotografiert“, so Elisabeth Voß. Zum Abschied habe er generös gesagt: „Sie können die Wohnung auch kaufen, wenn Sie möchten. Ich schicke Ihnen ein Angebot.“
Das Angebot haben sie nie erhalten. Stattdessen stehen immer mehr Wohnungen leer, weil Mieter:innen ausziehen und keine neuen folgen. Nur Bauarbeiter machen sich ab und an in den Wohnungen zu schaffen. Auch in den Nachbarhäusern entdeckt Hans-Peter-Voß zunehmend Leerstand, wenn er abends mit dem Hund seine Runde dreht. 15 bis 20 Wohnungen, schätzt er. Eine Zeit lang wohnt das Ehepaar alleine in dem Sechs-Parteien-Haus. „Schön ist das nicht!“, sagt Elisabeth Voß. „Und man heizt das ganze Haus.“ Er habe überlegt, das Bezirksamt zu informieren, ergänzt ihr Mann. Er hat es aber nicht getan. „Wie das so ist“, sagt der 80-Jährige, der fit wirkt wie ein Mittsechziger. „Abends denkst du darüber nach, und morgens verfliegt das wieder.“
Was das Ehepaar nicht weiß: Eine Mieterin, die ebenfalls seit Jahrzehnten in der Siedlung lebt, schreibt zur gleichen Zeit verzweifelte Briefe und Mails. Sie ist in der Nachkriegszeit groß geworden und will den Leerstand nicht länger tatenlos hinnehmen. Abgeordnete informiert sie und den Bürgerverein, das Bezirksamt und Medien. Auch die Hausverwaltung und die Vermieterin, erzählt sie, erhalten Post von ihr mit der Aufforderung, die Wohnungen an Geflüchtete zu vermieten. Eine befriedigende Antwort habe sie nicht bekommen, sagt die Dame, die ungenannt bleiben möchte.
Die Mieterin schreibt auch Hinz&Kunzt an, die Redaktion daraufhin das Bezirksamt Nord. Laut Gesetz ist es verboten, Wohnungen ohne triftigen Grund länger als vier Monate nicht zu vermieten. Die Leerstände seien „weitestgehend bekannt“, schreibt das Amt im März 2023. „Diese hängen mit Sanierungs- und anderen Bauarbeiten im Bestand zusammen, und teilweise liegen inzwischen auch Genehmigungen für den Dachausbau vor.“ Ein knappes Jahr später fragt Hinz&Kunzt erneut nach: Stimmt es, dass weiterhin zehn Wohnungen in der Siedlung leer stehen, wie Anwohnende meinen, und wenn ja: Was unternimmt das Bezirksamt dagegen? Dem Bezirksamt seien sieben Leerstände bekannt, erklärt dessen Sprecher. Der Baubeginn habe sich teilweise verzögert, weshalb „Ausweichwohnungen benötigt wurden“. Und: „Bei Bauaktivitäten dieser Art, die darauf abzielen, Mietwohnraum als Eigentum attraktiv zu machen, kommen solche Verzögerungen regelhaft vor.“
Wie viele der Rotklinkerbauten sind die Häuser, in denen die Ehepaare Voss und Bergler wohnen, seit Anfang 2020 im Besitz der Firma Karo 3 S.a.r.L. Die Luxemburger Firma ist eine Tochter der Patrizia SE – einem börsennotierten Konzern mit Sitz in Augsburg. Zehn Wohnungen stehen in der Langenhorner Siedlung leer, bestätigt die Patrizia auf Hinz&Kunzt-Nachfragen, „aufgrund von Sanierungsmaßnahmen, anstehender Neuvermietung und in einzelnen Fällen geplanten Privatisierungsmaßnahmen“. Der Konzern bemühe sich, so der Sprecher weiter, „die Zahl der Leerstände so gering wie möglich zu halten“. Beschwerden über die Hausverwaltung seien bekannt: „Wir arbeiten hier gemeinsam mit Reanovo mit Hochdruck an einer Lösung.“
Man wüsste gerne mehr über die Geschäfte des Immobilienkonzerns: Warum sitzt die eine Firma in Luxemburg und die andere in Augsburg? Wer hat in dem Fonds der Karo 3 wie viel Geld angelegt und mit welcher Rendite? Und wie viele Wohnungen gehören der Karo 3 und der Patrizia insgesamt in Hamburg? Diese Fragen bleiben wie weitere unbeantwortet. „Wir bitten um Verständnis, dass wir uns zu den Details der Fondsgesellschaften, die wir verwalten, nicht äußern“, so der Sprecher. Nur so viel teilt er mit: „Es handelt sich um etablierte langjährige Fonds, die solide seit Jahrzehnten finanziert sind.“
Laut Eigendarstellung ist die Patrizia SE „ein führender Partner für globale Real Assets“. Übersetzt heißt das: Der Konzern sammelt bei Banken, Pensionskassen, Versicherungen oder Gutverdienenden Geld ein und investiert dieses gewinnbringend zum Beispiel in Immobilien. Laut Geschäftsbericht 2022 ein Erfolgsmodell: Die Dividende sei zum fünften Mal in Folge erhöht worden, das verwaltete Vermögen 2022 im Vergleich zum Vorjahr um mehr als 20 Prozent auf 59,1 Milliarden Euro angewachsen. Der europäische Wohnimmobilienmarkt, schreibt die Patrizia im Lagebericht, habe sich „als einer der widerstandsfähigsten Sektoren“ erwiesen. Die Urbanisierung schreite voran, „während die Neubautätigkeit weit hinter dem Bedarf zurückbleibt und die hohe Nachfrage nicht decken kann“.
Im Januar werden im Internet zwei Wohnungen in der Siedlung zur Miete angeboten: eine Ein-Zimmer-Dachgeschosswohnung, „perfekt für Singles, modern und schick“, soll 629 Euro monatlich kosten bei 42 Quadratmetern – macht fast 15 Euro Kaltmiete pro Quadratmeter. Und eine Dreizimmerwohnung, 76 Quadratmeter, für 1015 Euro im Monat kalt. Beide Mietpreise liegen weit über dem, was der Mietenspiegel als Obergrenze definiert. Auch ein Kaufangebot wird geschaltet: eine „schöne Dachgeschosswohnung als langfristig rentables Investment“. Laut Exposé bietet sie zwei Zimmer auf 48 Quadratmetern – und ist für 280.000 Euro zu haben.
Bei den Berglers tut sich was: An einem Freitagnachmittag im Januar bildet sich vor dem Haus eine Menschenschlange. Rund 20 junge Paare besichtigen die Wohnung, die so lange leer stand. Im März werden sie einziehen, erzählen die glücklichen Neumieter später. Udo Bergler ist kein Mann vieler Worte. Aber das sagt er doch: „Drei Jahre Leerstand sind nicht normal.“
Die Verwaltung hat den Berglers eine neue Mahnung geschickt: 4251,67 Euro fordert sie Mitte Januar in einem Schreiben, das dem vorherigen fast aufs Wort gleicht. Erneut versichert die Optima: „Für weitere Rückfragen stehen wir Ihnen jederzeit gerne zur Verfügung.“ Mehrfach versucht Ursula Bergler, die Verwaltung telefonisch zu erreichen, auch im Beisein von Hinz&Kunzt. Vergeblich. Nach einem Freizeichen ist die Leitung besetzt.
Die Berglers haben die neue Mahnung zu den anderen geheftet und nicht bezahlt. Andere Menschen sind nicht so furchtlos. Der Mieterverein zu Hamburg hat die Optima bereits vergangenen Oktober abgemahnt und aufgefordert, eine Unterlassungserklärung zu unterschreiben, nachdem Mietende aus einem anderen Hamburger Stadtteil über ähnliche wiederkehrende Zahlungsaufforderungen geklagt hatten. Der Reanovo-Sprecher erklärte gegenüber Hinz&Kunzt, er könne sich dazu nicht äußern: „Eine Unterlassungserklärung ist uns nicht bekannt.“ Der Mieterverein hat nun Klage erhoben.
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