Frisch aufgelegt: Der Bildband „Recorded“ aus dem Hamburger Junius-Verlag feiert die Plattenläden der Stadt. Fotografin Katrin Vierkant und Autor Nicholas Christitch haben dafür verliebte Überzeugungstäter getroffen.
Michael Bonertz stolperte eines Tages fast über einen Mann, der plötzlich auf dem Boden seines Ladens – Slam Records auf dem Schulterblatt – lag: „Ich war total geschockt, dachte, dass der kollabiert wäre, und fragte ihn, ob er Hilfe bräuchte. Er öffnete ein Auge und meinte nur: ‚Ist alles okay. Ich musste mich nur eben hinlegen, weil die Musik so gewaltig war.‘“
Es sind großartige Geschichten wie diese, die es in „Recorded“ zu entdecken gibt. Das Buch, das in diesem Monat im Hamburger Junius Verlag erscheint, ist eine Liebeserklärung an eine Institution, die im Zeitalter von digitaler Musik wie ein Überbleibsel aus alten Zeiten wirkt: der Plattenladen.
Eigentlich hat er sich überlebt, seitdem mit einem Klick Millionen von Songs jederzeit verfügbar sind, sagt die Fotografin Katrin Vierkant. Die Hamburgerin, die seit zehn Jahren in Paris lebt, hatte die Idee zum Buch. Sie wollte wissen: Wer sind die Menschen, die trotz Krise der Musikindustrie immer noch Plattenläden betreiben? Und vor allem: Welche Geschichten haben sie zu erzählen? 2011 begannen Vierkant und ihr schreibender Kollege Nicolas Christitch mit der Recherche für ihr Buch. 26 Hamburger Plattenläden haben sie porträtiert, in Wort und Bild: von Urgesteinen wie der „Plattenrille“ bis zu jungen Läden wie „Smallville“.
Beim Lesen von „Recorded“ wird schnell klar: Platten verkaufen ist kein gewöhnlicher Job. Die Menschen hinterm Tresen sind Überzeugungstäter. Nicht wenige fingen als Stammkunden an, wurden Verkäufer im Lieblingsladen und später Besitzer. Wie Marga Glanz, eine der ganz wenigen Frauen, die Chefin eines Plattenladens ist: „In den 1990er-Jahren habe ich Läden in den USA besucht und fand die einfach großartig. So einen wollte ich auch.“ 2004 übernahm sie „Groove City“ im Karoviertel. Das „Fachgeschäft für Soul, Funk, Reggae und Hip-Hop“ wurde vom Nachrichtensender CCN 2013 zu den „Zehn besten Plattenläden der Welt für Reisende“ gezählt.
Denn trotz aller Abgesänge: Seit 2012 wird wieder mehr Vinyl verkauft. Zwar bilden die Schallplattenverkäufe heute nur noch magere zwei Prozent des Gesamtmarktes, aber: Vinyl hat loyale Fans, vor allem bei Sammlern und DJs. Sie schwören auf den wärmeren Sound und die einmalige Haptik des „schwarzen Goldes“.
Ein Name fällt in „Recorded“ immer wieder: „Unterm Durchschnitt“ an der Rutschbahn. 1976 eröffnet, 2004 geschlossen, bis heute im Gedächtnis lebendig: Das letzte Kapitel erinnert an den legendären Laden. Besitzer Uli Rehberg war wohl der eigenwilligste Plattenverkäufer der Stadt: „Der wollte dir auch gerne mal eine Platte nicht verkaufen“, erinnert sich Oliver Heinemann von Championship Records, „weil die Strahlungen des Fernsehturms nicht gut waren. Ein Traum.“
Record Store Day
Text: Simone Deckner
Fotos: Katrin Vierkant