Warum Ümit und Benny nie wieder eine Zelle von innen sehen wollen
(aus Hinz&Kunzt 133/März 2004)
Über einen langen Flur folgt Ümit dem Mann in der Uniform. Es geht durch Gänge hindurch, an vielen Türen vorbei. Vor einer bleibt der Mann stehen, nimmt seinen Schlüsselbund und schließt sie auf. Das ist Ümits Zelle. Er geht an dem Wärter vorbei in den schmalen Raum und sieht sich um. Da fällt auch schon die Tür ins Schloss. Ümit sitzt im Knast. Zumindest für fünf Minuten. Dann öffnet der Wärter die Zelle wieder, und der Nächste ist an der Reihe. Denn Ümit ist Teilnehmer des Projekts „Gefangene helfen Jugendlichen“.
Der Verein organisiert regelmäßig Führungen für Jugendliche durch die Justizvollzugsanstalt „Santa Fu“. Die Besonderheit: Die Jugendlichen stehen alle selbst kurz davor, im Gefängnis zu landen. „Ziel des Ganzen ist es, ihnen zu zeigen, wie das Leben im Knast wirklich ist. Dass es nicht cool ist, sondern – auf gut Deutsch – beschissen“, sagt Volkert Ruhe, der Leiter des Projekts.
Auch Benny war beim Kurztrip in den Knast dabei. Er ist 19. Und er hat schon viele Straftaten hinter sich. Angefangen hat es meistens damit, dass er mit seinen Freunden herumhing. „Irgendjemand hatte eine blöde Idee. Das wurde dann durchgezogen“, erzählt er. Dann haben sie gemeinsam Menschen bedroht und ihnen Geld und Handys abgenommen.Irgendwann hat er angefangen, Drogen zu verkaufen. Mit der Zeit hatte er seine festen Kunden, die sich bei ihm meldeten. Er war ein Dealer geworden. Da er viele Delikte gemeinsam mit seinen Freunden beging, kam ihm zunächst gar nicht der Gedanke, damit aufzuhören. Denn das hätte ja auch geheißen, seine Freunde nicht mehr zu sehen. „Wenn du dich ausklinkst, bist du plötzlich ganz auf dich gestellt“, meint Benny.
Bei Ümit ist es ähnlich gelaufen. Auch er bedrohte Menschen. Erpresste seine Mitschüler und nahm ihnen Geld und Handys ab. „Ich habe denen gesagt: Bringt das mit, sonst seid ihr am Arsch“, erzählt er. Anfangs hatte er Angst vor der Polizei, „aber irgendwann merkst du: Es geht so leicht.“ Er fühlte sich „wie der King der Schule“, genoss es, „cool zu sein, einen auf dick zu machen. Ich hatte mehr Taschengeld und Anerkennung“, meint Ümit. Seine Aggressionen hatte er nicht im Griff. Einmal rastete er aus und schlug mehrere Mitschüler und seinen Lehrer brutal zusammen. Er flog von der Schule. Das Arbeitsamt schickte ihn zum Berufsvorbereitungprojekt in der Rosenallee. Dort lernte er Benny kennen. Auch er war vom Arbeitsamt an die Rosenallee verwiesen worden. Hier sollten sich die beiden zuerst wieder an geregelte Arbeitszeiten gewöhnen. Und an das Arbeiten miteinander, in Gruppen. Die Disziplin, die man braucht, um pünktlich zu sein und seine Arbeit zu schaffen, wurde ihnen vermittelt, ebenso der Wert eines Schulabschlusses. Allmählich gewöhnten sie sich an den Ablauf. Sie kamen gut miteinander aus und unterstützten sich gegenseitig. Schließlich schafften sie es, ihren Hauptschulabschluss nachzuholen.
Doch auch während der Zeit in der Rosenallee lief nicht immer alles friedlich ab. Öfter kam es zu Streit zwischen den Jugendlichen, manchmal zu Prügeleien. Auch Benny und Ümit waren daran beteiligt. Als ihr Betreuer ihnen vom Projekt „Gefangene helfen Jugendlichen“ erzählte, machten die beiden mit. „Im Gefängnis“, dachte Ümit, „kann man essen, trinken oder Fußball spielen, wann man will.“
Nun sitzt er in seiner Zelle. Der Raum ist klein, das Klo direkt neben dem Bett. Es ist still. „Wie kann man hier 15 Jahre sitzen?“, schießt es ihm durch den Kopf. „Es gibt nichts Vertrautes, niemanden, mit dem man sprechen kann außer mit der Eisentür.“ Dieses Gefühl hat sich schon eingestellt, als zu Beginn die Leibesvisitation anstand. Das Gefühl, dass die eigene Person nicht mehr respektiert wird. Schmuckabnahme. Abtasten. Plötzlich bestimmen andere, was mit einem geschieht.
„Jeden Tag und jede Nacht Angst, dass was passieren kann, dass jemand in deine Zelle reinkommt, niemand, auf den man sich verlassen kann. Draußen hast du deine Leute, hier bist nur du“, erkennt Benny, als er mit einem der Gefangenen spricht. Da sitzt ihm ein Mann gegenüber, der früher skrupellos Menschen zusammengeschlagen hat, und erzählt ihm, dass es furchtbar sei, im Knast zu sitzen. Schrecklich einsam. Und dass er sich nach der Freiheit sehne, die er früher genießen konnte, ohne sie wirklich geschätzt zu haben. „Bahn fahren oder Computer spielen sind Träume der Gefangenen, Dinge, die ich tagtäglich machen kann, wenn ich will“, hat Benny erfahren. Er fragt sich, „in welcher Verfassung die Leute da wieder rauskommen“.
Oft verlieren die Gefangenen die Beziehung zu ihrer Familie. Eltern halten den Druck nicht aus, ihre Kinder immer wieder in dieser bedrückenden Atmosphäre besuchen zu müssen. Zu der gehören die Leibesvisitationen, die auch Besucher über sich ergehen lassen müssen. Den eigenen Sohn hinter Gittern zu sehen, ist eine große Belastung. „Ich würde mich schämen, wenn mein Vater und meine Mutter mich im Knast besuchen müssten“, bekennt Ümit. Benny würde es verstehen, wenn seine Mutter ihn nicht besuchen käme. „Ich würde nichts erwarten“, sagt er.
Wieder draußen. Nachdenkliche Stille. Irgendetwas ist passiert. „Ich habe nachgedacht, ob ich weitermache wie bisher“, erzählt Benny. „Man verbaut sich doch derbe viel!“ Er lässt sich von seinen Freunden nicht mehr mitreißen, auch wenn er noch mit ihnen herumhängt. „Ich möchte aufhören, bevor es zu spät ist“, erklärt er. Auch Ümit hat inzwischen Konsequenzen gezogen. „Ich habe den Kontakt zu meinen alten Freunden abgebrochen“, fasst er zusammen. „Man grüßt sich, aber sonst nichts. Knast ist grausam – zum Glück bin ich nicht drin.“
Gemeinsam mit Benny hat er eine Ausbildung zum Maler und Lackierer begonnen. Er ist ruhiger geworden, cooler. Er rastet nicht sofort aus „wegen jedem, der blöd guckt“. Obwohl es in solchen Situationen manchmal schwer ist, die Kontrolle zu behalten. Doch er weiß jetzt, dass es nicht anders geht. Ümit und Benny bemühen sich, aufeinander Acht zu geben. Situationen, die gefährlich werden könnten, zu entschärfen. Bei der Ausbildung, wenn es mal Ärger gibt.
Als Ümit seinen Hauptschulabschluss nachholen wollte, glaubte niemand an ihn. Seine Familie meinte: „Das schaffst du eh nicht.“„Heute sind meine Eltern stolz auf mich“, sagt Ümit zufrieden. Er hat es geschafft. Genau wie Benny. Zusammen wollen die beiden in etwa zwei Jahren ihre Ausbildung beenden. Wenn nichts schief geht.