Gerbers Tierleben

Housing First für Tauben!

Schlüsselerlebnis: Bald wohnen die Vögel im Taubenschag. Illustration: Stefan Bachmann
Schlüsselerlebnis: Bald wohnen die Vögel im Taubenschag. Illustration: Stefan Bachmann
Schlüsselerlebnis: Bald wohnen die Vögel im Taubenschag. Illustration: Stefan Bachmann

Kolumnistin Nele Gerber plädiert für eine würdige Behandlung von Tier und Mensch.

Hinz&Kunzt Randnotizen

Freitags informieren wir per Mail über die Nachrichten der Woche:

Zu Stadttauben habe ich eine traumatische Beziehung: Eines Tages fuhr ich sorglos auf dem Radweg neben dem Hauptbahnhof entlang. Wie immer waren dort auch unzählige Tauben unterwegs. Und wie immer schlug die gefiederte Masse bei meinem Erscheinen bloß träge mit den Flügeln, hob aber nicht ab, sondern trippelte nur ein Stück weiter in dem Wissen: Die tut nichts.

An diesem Tag allerdings verlor eines der Tiere den Kopf. Ich radelte heran und eine der Tauben lief geradewegs in mein Vorderrad. Es knackte, Federn stoben, ich verlor das Gleichgewicht … und der Vogel hing mit gebrochenem Genick in meinen Speichen.

Immer wenn ich viele Tauben auf einem Haufen sehe, bekomme ich seither einen Flashback. In der Innenstadt also ständig. Allein am Hauptbahnhof sollen rund 800 der Vögel leben und sich um die Essensreste der Reisenden streiten. Oft sind ihre Füße verkrüppelt, das Gefieder ist stumpf, überall kleben die wegen der schlechten Ernährung verflüssigten Hinterlassenschaften. Stadttauben sind verwilderte Haustiere. Wir Menschen haben es verbockt, dass diese Vögel auf den Straßen verelenden.

Da ist es doch wirklich eine gute Idee, den Tieren künftig Taubenschläge in Bahnhofsnähe anzubieten. Insgesamt 350.000 Euro jährlich – zunächst für drei Jahre – sollen die Unterkünfte am Hauptbahnhof und am Bahnhof Altona kosten. Housing First für Tauben! Die Vögel werden dort auch artgerecht gefüttert, ihre Eier falls nötig durch Attrappen ersetzt, um die Population zu begrenzen.

Ich frage mich nur, wie die Tauben den Weg zu ihren neuen Behausungen finden. Vielleicht werden auch für sie spezielle „Sozialraumläufer“ engagiert? Diese Angestellten eines Sicherheitsdienstes sollen neuerdings rund um den Hauptbahnhof obdachlosen und suchtkranken Menschen den Weg zu Hilfen weisen und für Ruhe und Ordnung sorgen. 740.000 Euro für 18 Monate sind dafür veranschlagt – pro Jahr also rund 490.000 Euro. Wenn ich mir ausmale, wie viele Wohnungen von dem Geld angemietet werden könnten, um verelendeten Menschen unbürokratisch eine Unterkunft anzubieten … Warum geschieht das eigentlich nicht? Nicht nur Tauben, auch Menschen haben eine würdige Behandlung verdient.

Artikel aus der Ausgabe:

Das Spiel mit dem Geld

Unser Blick auf die EM: Was Sportwetten für Spielsüchtige bedeuten, ein Ausblick auf die Homeless Europameisterschaft und ein Portrait von Europas bester Blindenfußballerin, Thoya Küster vom FC St. Pauli.

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Autor:in
Annette Woywode
Chefin vom Dienst für das gedruckte Magazin

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