Das Hafenkiosk-Festival will Imbisse zu Orten der Kultur machen
(aus Hinz&Kunzt 174/August 2007)
Späte Ehre für einen Kulturort: Beim Hafenkiosk-Festival werden die Kioske und Imbisse im Harburger Hafen für einen Tag zu kleinen Galerien und Bühnen.
Das läuft alles ohne großes Gerede. Wenn Udo Knoche reinkommt und sich an die Theke setzt, bekommt er einen Kaffee hingestellt. Dann greift er hinter die Theke, fischt seine Lesebrille hervor – die hat er da deponiert. „Ist der beste Platz für die Brille, schließlich lese ich nur hier meine Zeitung“, sagt der 61-Jährige. So ist das als Stammkunde im „Hansa Eck“. Hier hat sich in den vergangenen 20 Jahren nicht viel geändert. Ein großes Schild verspricht vorbeifahrenden LKWs „Frühstück ab fünf Uhr“. Holzverkleidete Wand, grün-weiß-karierte Tischdeckchen, Reklame mit quälendem Humor. „Ei … das schmeckt“ steht über einem Foto von drei Spiegeleiern, die nie einen Foodstylisten kennengelernt haben. „Wenn ich die Einrichtung geändert hätte – da wären manche vielleicht gar nicht mehr gekommen“, erzählt Klaus Oelert, der den Kiosk vor zwei Jahren übernommen hat. Jetzt traut er sich doch, zumindest für einen Tag: Am 19. August ist das „Hansa Eck“ eines der Galerien beim „Hafenkiosk-Festival“. Die Idee hatte Carolin Lörch: „Im alten Ägypten saß Ramses bei Festen außerhalb des Palastes in einem Kiosk. Kioske waren also mal mehr als Spätkaufläden.“ Für einen Tag sollen die Kiosk-Kunden außer Mettbrötchen und Filterkaffee auch Kunst konsumieren können. „Die Kioske sollen zu temporären Aufbewahrungsorten für Kunst werden, indem sie ihr klassisches Angebot um kulturelle Angebote, wie Erzählungen, eine Lesung, ein Kunst- und Musikprogramm oder eine Performance erweitern“, verspricht die Pressemitteilung der Künstler. Die Installationen, die in die Kioske kommen, sind teilweise gewagt. Bei der „Samenbank für Baumhäuser“ beispielsweise sollen sich die Besucher zum eigenen Wipfelpalast inspirieren lassen. Am genauen Programm wírd noch gearbeitet. Mit Unterstützung der Internationalen Bauausstellung (IBA) schwappt auch moderne Kunst über die Elbe.
Zwei Welten prallen aufeinander. Bodenständige Büdchen-Kultur und verkopfte Kreativität. Klar, dass da nicht jeder begeistert ist. Bisher wollen vier Kioske mitmachen, einer ist wieder abgesprungen. Kioskbesitzer Peter Kottke: „Ich wollte zwar erst mitmachen, aber dann müsste ich Sonntag extra herkommen – und Montag muss ich ja wieder um 3 Uhr morgens aufstehen.“ Der Kiosk des 66-Jährigen ist aber auch ohne Kunst eine Sehenswürdigkeit. Er steht nur ein paar Meter vom „Hansa Eck“ entfernt, in einer Einmündung, wo Autos vorbeibrausen, freistehend: der Kiosk Blohmstraße. Wirbt mit Pferdewurst für 2,30 Euro. Und mit einem Schild, das auf die Sensation aufmerksam machen soll: „Trinkhalle seit 1876“. „Ein Kunde hat mir erzählt, dass mal in der Mopo stand, dass das hier der älteste Kiosk in Deutschland ist“, sagt Kottke. Überprüft hat er es nicht: „Ist mir auch egal.“ Das Antikbüdchen ist eine umgebaute Schiffsbrücke – also letztlich ein Stahlkasten. „Die letzten Tage wars hier drin nicht auszuhalten“, murrt Kottke. Die Sonne knallte aufs Stahl, drinnen brummten fünf Kühlschränke. Hier halten die Kunden kurz, holen sich Zigaretten oder eben eine Pferdewurst. Die Bildzeitung geht auch ganz gut. „Manchmal holt sich auch mal jemand was für die Seele“, sagt Kottke und verweist auf seine Schmuddelheftchen: „Junge Mädels von Nebenan“ gibts genauso wie „Reife, sexy Ladys“.
Oelert und Kottke repräsentieren mit ihren Kiosken den alten Harburger Hafen. Der verschwindet aber mehr und mehr. Beim Imbiss am Kanalplatz werden sich auch Festivalbesucher aus der Schanze wie zuhause fühlen. „Die Vorbesitzer sind sehr nette Leute“, sagt Sonja Lamaack-Kutscher, nur die Einrichtung … „Es sah, naja“, die 38-Jährige ringt nach Worten, versucht’s dann mit Diplomatie: „rustikal aus.“ Ein halbes Jahr lang renovierte Lamaack-Kutschera. Radikal. Einige Stammkunden blieben trotzdem. Es muss hart für sie gewesen sein, als die schicken Tische und Hocker aus schwarzem Holz kamen. Als die Cappuccino-Maschine den Bierflaschen Raum nahm. Zu sehen, wie um sie herum auf den Wandel der Gegend spekuliert wurde. „Einer saß immer vor dem Spielautomaten“, sagt Lamaack-Kutscher. „Der war schon traurig, als wir den abgebaut haben.“ Ihn hielt das Essen. Sonja Lamaack-Kutscher ist gelernte Köchin, erfüllte sich mit dem Imbiss einen Traum. „Meine ganze Familie hat hier Geld reingesteckt.“ „Mittags stehen die Leute hier echt bis auf die Straße“, sagt André Schaffrin, „vergangene Woche, Hacksteak gefüllt, der Hammer.“ Der 39-Jährige fühlt sich sichtlich wohl. Dem neuen Imbiss gibt der Bauleiter dann noch schnell seine höchste Wertung: „Abnehmen kannst du hier nicht!“ Schaffrin arbeitet gerade mit am Wandel der Gegend. „Ich könnte die Pläne zeigen, hab ich aber nicht dabei.“ In ein paar Jahren könne man die Gegend mit der Esplanade vergleichen. Sonja Lamaack-Kutscher ist mit ihrem Imbiss also eine Pionierin. Vielleicht ist das Hafenkiosk-Festival eine der letzten Chancen, die alten Büdchen im Hafen kennenzulernen. Peter Kottkes ältester Kiosk Deutschlands wird wohl abgerissen werden, Platz für neue Gebäude. Auch wenn hier theoretisch schon Kaiser Wilhelm Pferdewurst genießen konnte – es wird niemand wegen Denkmalschutz intervenieren. Irgendwann wird man Kioske nur aus Filmen kennen. Während in Hornbachers Beach Club – noch ein Zeichen des frischen Windes im Harburger Hafen – DJs auflegen, will die Kulturwerkstatt Harburg Filme zeigen, deren Thema Kioske sind.