Ein Hamburger Vermieter vergibt gerne Wohnungen an Hartz-IV-Empfänger. Die gehen selten gegen zu hohe Mieten und Mängel vor.
(aus Hinz&Kunzt 200/Oktober 2009)
Drei Zimmer, 70 Quadratmeter, mitten in Eilbek: Das klingt gut! Aber dann entdecken Viola Schürmann und Anna Seiffe: Das Souterrain ist eine Zumutung, voller Schimmel, deutlich kleiner als im Mietvertrag versprochen und somit viel zu teuer. Der Gipfel: Die Räume sind als Wohnung gar nicht zugelassen. Die beiden sind nicht die Einzigen, die sich vom Vermieter allerhand gefallen lassen sollen.
Von Anfang an schlafen Viola Schürmann und Anna Seiffe schlecht in ihrer neuen Wohnung. „Irgendwie waren unsere Matratzen ganz kalt, gleichzeitig haben wir aber geschwitzt“, sagt Anna Seiffe. Schließlich sehen die beiden, dass die Matratzen bräunliche Flecken haben und sich feucht anfühlen – genau wie die Wände, durch die sich auch noch Risse ziehen. Besonders erschrocken sind die Frauen, als sie zum Schulbeginn den Ranzen von Anna Seiffes Tochter Elena unter ihrem Bett hervorholen – er ist total verschimmelt.
In einer Einrichtung für obdachlose Frauen hatten die Freundinnen von einem Vermieter namens Kuhlmann gehört. Der vergebe Wohnungen bevorzugt an Hartz-IV-Empfänger. Viola Schürmann und Anna Seiffe, schon monatelang auf Wohnungssuche, fahren Mitte Juni ins Büro der Kuhlmann Grundstücks GmbH, und tatsächlich: Es klappt. Anfang Juli ziehen die beiden mit der zwölfjährigen Elena im Roßberg in Eilbek ein. Die Wohnung liegt zwar im Kellergeschoss, sieht aber ganz ordentlich aus, die Wände sind frisch gestrichen.
Nur ein paar Ausbesserungen nehmen die Frauen vor, spachteln Löcher zu, verlegen PVC-Boden. Sie freuen sich über ihr neues Zuhause – bis der Schimmel sichtbar wird. Sie zeigen die Schäden beim Vermieter an. „Der Hausmeis-ter kam und hat über die feuchten Stellen gestrichen“, sagt die 35-jährige Viola Schürmann. „Aber das hat nichts genützt.“ Der Schimmel ist schnell wieder sichtbar. Die Feuchtigkeit bleibt. Die drei halten es schließlich nicht mehr aus und fliehen regelrecht. Sie nehmen nur das Nötigste mit, kommen vorläufig bei einem Bekannten unter. „Wir hatten Angst um unsere Gesundheit, besonders um Lenas“, sagt Viola Schürmann.
Sie suchen Hilfe bei Mieter helfen Mietern. Vermieter Thorsten Kuhlmann schickt bald einen Brief: Die Schimmelflecken seien beseitigt worden. Außerdem habe man festgestellt, dass das betreffende Zimmer „total voll gestellt“ war. Kein Wunder: Viola Schürmann und Anna Seiffe zogen mit Möbeln ein, die sie in drei Zimmern auf „ca. 70 Quadratmetern“ (Mietvertrag) unterbringen wollten. Schon beim Einzug wunderten sie sich, dass ihre Habseligkeiten kaum in die Wohnung passten. Eine Nachmessung ergibt: Die Fläche beträgt lediglich 56,2 Quadratmeter – 20 Prozent weniger. Zudem hat das Kinderzimmer von Elena gerade einmal 7,6 Quadratmeter und gilt damit als halbes Zimmer. Die 520 Euro Kaltmiete: offenkundig viel zu hoch.
Vermieter Kuhlmann räumt auf Nachfrage von Hinz&Kunzt ein, dass die Fläche der Wohnung nicht mit der Angabe im Mietvertrag übereinstimmt und bringt eine dritte Zahl ins Spiel: „Nach nochmaliger Durchsicht des Kaufvertrages und der Verwaltungsunterlagen/Grund-buchunterlagen ergaben sich drei Zimmer und 63 Quadratmeter.“ Damit wäre die Wohnung „nur“ zehn Prozent kleiner als im Mietvertrag angegeben. Bemerkenswert: Erst diesen Sommer urteilte der Bundesgerichtshof: Mieter müssen sich Abweichungen gefallen lassen, die zehn Prozent nicht überschreiten. Am 1. September erfährt die Beraterin von Mieter helfen Mietern auf Nachfrage Erstaunliches: Die Wohnung, die die Frauen gemietet haben, ist in Wirklichkeit nicht mehr als ein Keller. Denn Wohnungen müssen, so das Bauamt Wandsbek, „ausreichend belüftet und mit Tageslicht belichtet werden“.
Falsche Angaben im Mietvertrag, feuchte Wände. Das ist im Roßberg kein Einzelfall. Eine Wohnung in einem der oberen Geschosse: Blanker Estrich in der Küche, feuchter Putz bröckelt von den Wänden, die Abflussrohre sind verstopft. Die Heizung funktioniert entweder gar nicht oder heizt innerhalb von Minuten so auf, dass man sich an den Heizkörpern verbrennt. Die Bewohnerin ist eine junge Frau – und will aus Angst vor einem Rausschmiss ihren Namen nicht in der Zeitung lesen. Denn: Sie ist hoch
verschuldet, hat so gut wie keine Chance, eine neue Wohnung zu finden.
Ihr Nachbar René D. (Name geändert) hat ebenfalls Angst, seine Unterkunft zu verlieren. Laut Mietvertrag lebt er in einer 40-Quadratmeter-Wohnung. Tatsächlich haben der Wohnraum und die in Nischen untergebrachte Koch- und Duschmöglichkeit zusammen mit dem WC eine Fläche von 21,11 Quadratmetern – kaum mehr als die Hälfte. Er habe jemanden von der Verwaltung darauf aufmerksam gemacht, dass im Mietvertrag wohl ein Fehler unterlaufen sein muss, erzählt der Hartz-IV-Empfänger. „Als Antwort habe ich zu hören gekriegt, das könne mir doch egal sein, das würde doch ohnehin das Amt bezahlen.“ Kaltmiete für das Zimmer ohne Küche und Vollbad: 300 Euro – das sind 14,21 Euro pro Quadratmeter.
Wir können nur einige der mehr als 100 Wohnungen im Haus ausmessen und fotografieren. Klar ist: Viele Mieter des Hauses sind wütend – und hilflos. Eingetretene Wohnungstüren, Risse an der Außenwand, Feuchtigkeit und Schimmel – sie wohnen hier nicht gerne. Aber wo sollen sie stattdessen hin? Die meisten sind auf Unterstützung vom Staat angewiesen. Bei dem problematischen Hamburger Wohnungsmarkt haben sie besondere Schwierigkeiten, überhaupt eine Wohnung zu finden. Sie trauen sich nicht, Mängel anzuzeigen oder gegen den Vermieter wegen fal-scher Quadratmeterangaben im Vertrag vorzugehen.
Wie viele Wohnungen die Kuhlmann Grundstücks GmbH an Hilfeempfänger vermietet, bleibt offen. Die Hamburger Arbeitsgemeinschaft SGB II (Arge) kann die Frage nicht beantworten, Kuhlmann will es nicht. Stattdessen schreibt er, „als eine der sehr wenigen Hausverwaltungen“ vermiete er „seit über zehn Jahren auch an Sozialhilfe-/Hartz-IV-Empfänger“. Und: „Wir wollten und wollen unser soziales Engagement in Hamburg nicht über Gebühr öffentlich machen, aber auch ungern am Pranger stehen, wenn Mieter mal nicht zufrieden sind.“
Ob die Behörden der Abzocke des Steuerzahlers Einhalt gebieten? Das Bezirksamt Wandsbek hat Vermieter Kuhlmann aufgefordert, zur „unzulässigen Nutzung eines Kellerraums“ bis zum 2. Oktober Stellung zu nehmen. Wenn er den Keller weiterhin unberechtigt als Wohnung vermietet, „ist das eine Ordnungswidrigkeit und kann zu einem Zwangsgeld führen“, so Sprecherin Christiane Kuhrt.
Die Arge erklärte auf Nachfrage, sie könne nichts machen: Zwar zahlt die Behörde Monat für Monat überteuerte Mieten für Hartz-IV-Empfänger. Doch sei das Amt „nicht Vertragspartner gegenüber dem Vermieter“ und habe deshalb „keine rechtliche Handhabe“, so Sprecher Horst Weise. Mieter helfen Mietern will Kuhlmann Kosten in Rechnung stellen – für die Umzüge von Viola Schürmann und Anna Seiffe und Schäden an ihren Habseligkeiten. Zahlt er nicht, sollen die Forderungen vor Gericht durchgesetzt werden. Das kann allerdings Jahre dauern.
Sie haben sich gewehrt. Dafür zahlen Viola Schürmann und Anna Seiffe einen hohen Preis. Derzeit wohnen sie mit der zwölfjährigen Elena in einer Notunterkunft. Ein Dach über dem Kopf, aber keine Lösung, schon gar nicht für das Mädchen. Die Nerven der Frauen liegen blank. Statt einer Drei-Zimmer-Wohnung haben sie nun ein Drei-Bett-Zimmer. „Das ist nicht schön – aber immer noch besser als Kuhlmanns Keller.“
Text: Beatrice Blank
Foto: Mauricio Bustamante
Die Mitgliedschaft in einem Mieterverein ist für Hartz-IV-Empfänger in Hamburg kostenlos. Die Arge bezahlt die Mitgliedschaft. Wie’s geht, erfahren Hilfeempfänger bei ihrem Sachbearbeiter. Marielle Eifler, Sprecherin des Mietervereins, zu Hamburg zu Schimmel und Quadratmeterlügen: „Es lohnt sich, dagegen vorzugehen. Enorme Rückzahlungen sind möglich.“ Die gingen aufs Konto der Arge, falls diese die Miete bezahlt.
Der Skandal hinter dem Skandal
Ein Kommentar von Beatrice Blank
Hier werden nicht nur Viola Schürmann, Anna Seiffe und ihre Nachbarn abgezockt. Die Zeche zahlt wie so oft der Steuerzahler. Denn offenkundig überweist die Arge für manchen Mieter am Roßberg Monat für Monat zu viele Euro für zu wenig Quadratmeter.
Da kostet ein schimmeliges Kellerloch mehr pro Quadratmeter als ein Neubau-Loft in Eppendorf – und bei der Behörde zucken sie nur mit den Schultern: Man habe keine Handhabe gegen den Vermieter.
Erzählt ein Denunziant der Behörde, ein Hilfeempfänger verdiene heimlich ein paar Euro hinzu, schickt das Amt postwendend seine Schnüffler los, um den vermeintlichen oder tatsächlichen Missbrauch zu bekämpfen. Wann aber klingeln Mitarbeiter der Arge bei den Mietern der Kuhlmann Grundstücks GmbH und bieten ihnen die Unterstützung des Amtes an? Wann prüft die Behörde, in wie vielen Fällen
der Steuerzahler Wuchermieten bezahlt? Wann klärt sie Betroffene darüber auf, dass zu viel gezahlte Miete mithilfe eines Mietervereins kostenlos eingeklagt werden kann? Dass feuchte Wände und Schimmel kein Naturgesetz sind, sondern Missstände, die ein Vermieter sofort und dauerhaft abzustellen hat?
Der Fall Kuhlmann zeigt, wie angespannt der Hamburger Wohnungsmarkt ist. Hartz-IV-Empfänger müssen offenbar froh sein, überhaupt eine Bleibe zu haben – und sei es nur ein feuchter Keller.
Ein Vermieter macht, was er will, und die Arge macht nichts: Das ist der Skandal hinter dem Skandal.