Berlin :
Künstler öffnen U-Bahnhöfe für Obdachlose

Mit einem nachgemachten Schlüssel öffnet dieser Mann einen U-Bahnhof für Obdachlose. Screenshot: Vimeo

Weil in Berlin in den meisten U-Bahnhöfen keine Obdachlosen mehr übernachten dürfen, haben Künstler die Bahnhöfe kurzerhand aufgeschlossen. In Hamburg duldet die S-Bahn in kalten Nächten Obdachlose auf den Bahnsteigen.

Hinz&Kunzt Randnotizen

Freitags informieren wir per Mail über die Nachrichten der Woche:

Auf den Straßen Berlins frieren tausende Obdachlose, während die meisten U-Bahnhöfe in diesem Winter erstmals nachts verschlossen werden und nicht mehr als Schlafplatz zur Verfügung stehen. Für die Kunstkollektive „Dies Irae“ und „Rocco und seine Brüder“ ein Missstand, den sie nicht unkommentiert lassen wollten: Mit einem Ersatzschlüssel öffneten sie abgeschlossene Bahnhöfe für Obdachlose und dokumentierten die Aktion auf Video.

Laut „Tagesspiegel“ sollen über einen Zeitraum von einer Woche so 50 U-Bahnhöfe geöffnet worden sein. Außerdem überreichten die Künstler den Obdachlosen eine Tüte. Den Inhalt sieht man im Video: Ein belegtes Brötchen, ein Gutschein für einen Kaffee, eine Decke, eine Warnweste und ein Zettel mit Warnhinweisen für das Übernachten in der U-Bahn-Station: „Achtung Strom auf dem Gleis!“, „Es können Züge kommen!“

Sie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von Vimeo. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf die Schaltfläche unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.

Mehr Informationen

Nur noch zwei „Kältebahnhöfe“ in Berlin

Hintergrund der Aktion: Die Berliner Verkehrsbetriebe hatten im Herbst erklärt, ihre Bahnhöfe aus Sicherheitsgründen im Gegensatz zu den vorherigen Wintern nicht mehr nachts für jene Obdachlosen zu öffnen, die die Notunterkünfte der Stadt meiden. In den Vorjahren waren die Bahnhöfe eine letzte Zufluchtsstätte für sie gewesen.

In zwei Berliner U-Bahnhöfen dürfen Obdachlose im Winter übernachten, wie hier am Moritzplatz. Foto: Benjamin Laufer

Erst nachdem sich die Senatsverwaltung für Soziales einschaltete, wurden die Haltestellen Moritzplatz und Lichtenberg zu „Kältebahnhöfen“ erklärt – und mit Dixi-Toiletten ausgestattet. Sozialarbeiter und Sicherheitsleute haben seitdem ein Auge auf die Obdachlosen, die dort schlafen. Die Kältebahnhöfe gelten als Modellprojekt und werden vom Senat finanziert – die anderen Haltestellen werden aber nachts geschlossen. In den Augen der Künstler ein „armseliger Kompromiss“, den sie mit ihrer Aktion kritisieren wollen.

Und in Hamburg?

Auch in Hamburg meiden manche Obdachlose die Notunterkünfte des städtischen Winternotprogramms, zum Beispiel weil sie sich dort Mehrbettzimmer mit Fremden teilen und die Einrichtungen jeden Morgen verlassen müssen. Sie können bei Kälte Schutz in den S-Bahnhöfen der Deutschen Bahn finden, wie Bahn-Sprecher Egbert Meyer-Lovis auf Nachfrage von Hinz&Kunzt mitteilt: „Obdachlose können in den Nachtstunden bei extremer Kälte in den Bahnhöfen verbleiben, wenn in sozialen Einrichtungen keine gesicherte Unterkunft gefunden wird.“ Diese Regelung gilt laut Bahn bereits seit mehreren Jahren.

Diakonie fordert besseres Winternotprogramm
Tote Obdachlose
Diakonie fordert besseres Winternotprogramm
Nach dem vierten toten Obdachlosen noch vor Winterbeginn kritisiert die Diakonie das Angebot der Stadt. Das Winternotprogramm sei für viele Obdachlose „zu abschreckend“ und müsse „einladender“ werden – für alle, gleich welcher Nationalität.

Die Hamburger Hochbahn als Betreiber der U-Bahn-Haltestellen hingegen verweist in einem Blogeintrag auf Sicherheitsprobleme, die eine Öffnung für Obdachlose mit sich brächte. „Wenn jedoch die Freie und Hansestadt es für notwendig erachtet, die Haltestellen für diese Nutzung freizugeben, würden wir dies ermöglichen“, erklärt Hochbahn-Sprecherin Constanze Dinse auf Hinz&Kunzt-Nachfrage.

Diese Notwendigkeit sieht die Stadt aber nicht: „Das Leben auf der Straße zu verstetigen, kann nicht unser Ziel sein – sondern wir suchen mit den betroffenen Menschen nach Wegen aus der Obdachlosigkeit“, sagt Sozialbehördensprecher Martin Helfrich gegenüber Hinz&Kunzt. „Ein U-Bahnhof ist dafür nicht so geeignet wie das viel bessere Angebot, das Hamburg mit dem Winternotprogramm vorhält, in dem Beratung stattfindet und der Standard höher ist.“

Autor:in
Benjamin Laufer
Benjamin Laufer
Seit 2012 bei Hinz&Kunzt. Redakteur und CvD Digitales.

Weitere Artikel zum Thema