Nach dem Suizid eines Afghanen wird die Kritik an der flapsigen Äußerung zu Abschiebungen von Bundesinnenminister Horst Seehofer immer lauter: Diakoniechef Ulrich Lilie sprach von einem „unsäglichen Tabubruch“.
Ulrich Lilie, Präsident der Diakonie Deutschland, hat scharfe Kritik an der Äußerung von Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) geübt. „Seehofer begeht einen unsäglichen Tabubruch. Diese Äußerung ist der Sprache eines deutschen Innenministers unwürdig“, sagte der Diakoniepräsident.
Seehofer hatte zuvor seinen 69. Geburtstag mit der Zahl von Abschiebungen an diesem Tag in Zusammenhang gebracht. Der Bundesinnenminister sagte: „Ausgerechnet an meinem 69. Geburtstag sind 69, das war von mir nicht so bestellt, Personen nach Afghanistan zurückgeführt worden. Das liegt weit über dem, was bisher üblich war.“
Die Kritik an Seehofers Äußerung nimmt noch zu, seit am Mittwoch bekannt wurde, dass sich einer der 69 Abgeschobenen in Kabul das Leben genommen hat: der 23-jährige Afghane Jamal M. soll acht Jahre in Deutschland gelebt haben, zuletzt in Hamburg.
Seehofer will nicht zurücktreten
Seehofer sprach von einem „zutiefst bedauerlichen Vorfall“, lehnte Rücktrittsforderungen jedoch ab. Stattdessen sagte er, man müsse die Hamburger Behörden fragen, „warum sie diese Person vorgeschlagen haben.“
Matthias Krumm, Sprecher des Einwohner-Zentralamts, sagte auf Hinz&Kunzt-Nachfrage, dass sich Hamburg sehr wohl genau überlege, wer für eine Rückführung in Frage komme. Ob es einen Kausalzusammenhang zwischen der Abschiebung und dem „tragischen Suizid“ des Mannes gebe, könne man zum jetzigen Zeitpunkt „nicht beurteilen“.
Seit dem Anschlag auf die deutsche Botschaft in Kabul im Mai 2017 mit mehreren Toten dürfen nur noch Straftäter, Gefährder und Ausreisepflichtige, die ihre Mitwirkung an der Identitätsfeststellung hartnäckig verweigern, nach Afghanistan abgeschoben werden. Der 23-Jährige sei mehrfach vorbestraft gewesen, unter anderem wegen versuchter Körperverletzung und Diebstahl, hieß es.
Während andere Bundesländer wie Bremen oder Niedersachsen die verschärfte Sicherheitslage als Grund dafür genommen haben, die Abschiebungen zeitweise auszusetzen, schiebt Hamburg weiter nach Afghanistan ab – unter großer Kritik der Opposition und Menschenrechtsorganisationen.
Nach dem jüngsten Fall äußerte sich nun auch Antje Möller, flüchtlingspolitische Sprecherin der Grünen, kritisch auf Twitter. Sie appellierte an die Behörde bei Abschiebungen nach Afghanistan „sorgfältigst abzuwägen“:
Aus der politischen Verantwortung in Hamburg heraus zweifele ich daran, ob wir alle in diesem Fall dieser Notwendigkeit genügend nachgekommen sind. #Afghanistan 2/2
— Antje Moeller (@AMjetztGRUENE) 11. Juli 2018
Aktion für Seenotretter
Für diesen Freitag ruft die Aktion Seebrücke zu einer erneuten Demonstration auf. Die Organisatoren setzten sich für die Seenotrettung ein und fordern, die nun in den Häfen blockierten Schiffe wieder freizugeben.
Das Sterben auf dem Mittelmeer müsse verhindert werden, nicht der Einsatz der Lebensretter, heißt es in dem Demo-Aufruf: „Über 600 Menschen sind allein im Juni ertrunken, weil Italien, Malta und die anderen EU-Staaten die Schiffe der Rettungsorganisationen am Auslaufen hindern und die Crews kriminalisieren. Es ist Zeit aufzustehen und nein zu sagen zur Verweigerung von Hilfe und ja zur Seenotrettung und zu sicheren Fluchtrouten!“
Die Demonstration startet am 13. Juli um 18 Uhr am Neuen Pferdemarkt/Arrivati Park und wird dort zum Fischmarkt ziehen. Dort ist eine Schweigeminute geplant.