Die Europäische Kommission hat eine Initiative für einen EU-weiten Mindestlohn vorgestellt. Der soll sich am mittleren Einkommen der jeweiligen Mitgliedsstaaten orientieren. Am deutschen Mindestlohn hat die Kommission Kritik.
Rückenwind für die Idee eines europäischen Mindestlohns kommt dieser Tage aus Brüssel. Die EU-Kommission unter Präsidentin Ursula von der Leyen (CDU) hat am Dienstag einen Vorschlag für einen solche Lohnuntergrenze vorgelegt. Von EU-Kommissar Nicolas Schmit heißt es dazu: „Europas innovative und inklusive soziale Marktwirtschaft muss die Menschen in den Mittelpunkt stellen: Sie brauchen hochwertige Arbeitsplätze, die ein angemessenes Einkommen gewährleisten. Kein Mensch, keine Region und kein Mitgliedstaat darf auf der Strecke bleiben.“
Die aktuelle Initiative leitet nun den ersten Schritt einer Konsultation zwischen den Sozialpartnern, also zwischen den Organisationen von Arbeitgeber*innen und Arbeitnehmer*innen, ein. Die sollen in den nächsten Wochen ausloten, ob die EU überhaupt tätig werden muss. Zunächst einmal nehme die Kommission „die Rolle einer Zuhörerin ein“, heißt es.
Kritik am deutschen Mindestlohn
Klar ist: Es soll keinen einheitlichen Mindestlohn in der gesamten EU geben. Stattdessen ist es wahrscheinlicher, dass sich ein EU-weiter Mindestlohn am mittleren Einkommen im jeweiligen Mitgliedsstaat orientiert. Als Vorschlag stehen 60 Prozent des mittleren Einkommens im Raum. In Deutschland wären das aktuell über 12 Euro. Also deutlich mehr als der momentane Mindestlohn von 9,35 Euro, den die Kommission als zu niedrig kritisiert. In seiner jetzigen Form würde der deutsche Mindestlohn demnach nicht vor einem Armutsrisiko schützen.
Außerdem soll sich der EU-Mindestlohn nach dem Willen der Kommission an den „nationalen Traditionen“ orientieren. Gemeint sind etwa Tarifvereinbarungen. Die sind etwa in den skandinavischen Ländern noch verbreiteter als in Deutschland und haben durch die weiterhin starke Rolle der dortigen Gewerkschaften eine große Wirkung.
Stefan Körzell, Vorstandsmitglied beim Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) begrüßt die Kommissionsinitiative auf Hinz&Kunzt-Nachfrage: „Im Zuge der Eurokrise wurden – auch unter Mithilfe der EU-Kommission – nationale Mindestlöhne gedrückt und Lohnverhandlungssysteme geschleift. Es ist höchste Zeit, diese Fehler zu korrigieren.“
Keine neue Diskussion
Neu ist die Diskussion um einen europäischen Mindestlohn nicht. Schon im Vorfeld der Europawahl 2019 wurde das Thema etwa von den sozialdemokratischen Parteien ins Gespräch gebracht und auch Finanzminister Olaf Scholz (SPD) sprach sich für diesen aus.
Kritik am europäischen Mindestlohn kommt erwartungsgemäß von der Arbeitgeber*innenseite. Schon im August 2019 stellte sich etwa der Bund Deutscher Arbeitgeber (BDA) gegen die Ideen der damals designierten EU-Kommissionschefin von der Leyen. „Gewerkschaften und Arbeitgeber können Fragen der Arbeitswelt in den EU-Mitgliedstaaten selbst am besten regeln und dabei nationale Besonderheiten berücksichtigen“, hieß es vom Verband.
„Ein europäischer Rahmen für Mindestlöhne kann eine gleichmäßigere und gerechtere Entwicklung in Europa fördern und dadurch Lohndumping verhindern“– Stefan Körzell
Demgegenüber stehen die Forderungen vieler Gewerkschaften, die Arbeitswelt in der EU eben nicht national sondern europäisch zu regeln. Stefan Körzell: „Ein europäischer Rahmen für Mindestlöhne kann – bei richtiger Ausgestaltung – eine gleichmäßigere und gerechtere Entwicklung in Europa fördern und dadurch auch Lohndumping verhindern. Dabei steht fest: Mindestlöhne sind immer nur eine unterste Haltelinie.“
Sollten die Beratungen zwischen den beiden Seiten erfolgreich sein, können dann entweder Arbeitgeber und Gewerkschaften selbst Verhandlungen aufnehmen, um EU-weite Mindestlöhne durchzusetzen. Gelingt das nicht, will die EU-Kommission alternativ einen Gesetztesvorschlag erarbeiten.