Gerbers Tierleben

Eine Scheiß-Situation

Illustration: Stefan Bachmann

Kolumnistin Nele Gerber würde sich niemals einen Hund anschaffen. Ein beschissenes Kindheitstrauma hält sie bis heute davon ab.

Hinz&Kunzt Randnotizen

Freitags informieren wir per Mail über die Nachrichten der Woche:

Nie werde ich es vergessen: Ich war gerade sechs Jahre alt. Gemeinsam mit den Nachbarskindern spielte ich auf der Straße. Es war ein herrlicher Sommer, tagelang schon hatte es nicht geregnet. Da entdeckte ich eine kleine Stange weißer Kreide auf dem Bürgersteig. Glücklich hockte ich mich hin und begann, mit dem Fund zu malen. Das ging prima, nur ach – das Stück war etwas bröckelig. Da durchfuhr mich die Erkenntnis: Was ich für Kreide gehalten hatte, war in Wahrheit vertrockneter Hundekot! Schnell schaute ich mich um: Keines der anderen Kinder hatte mich beobachtet. Ich konnte aufatmen und entfernte mich schnell und unauffällig.

Es war mir lange nicht bewusst, aber in diesem Erlebnis muss der Schlüssel für meine heutige Hundekot-Phobie liegen. Mir einen Hund anzuschaffen, kommt nicht infrage. Allein die Vorstellung, dessen Haufen mithilfe einer schwarzen Plastiktüte aufzusammeln und durch das dünne Material die Wärme des frischen Exkrements spüren zu müssen … niemals! 

Mir tun auch die Hunde leid. Oft sehe ich, wie sie verkrampft ihre Notdurft verrichten, den Blick in Richtung des Zweibeiners gerichtet, der sich unerbittlich dem noch nicht vollendeten Haufen nähert. Manchmal laufen die Tiere sogar schon mit noch gekrümmtem Rücken los. Ihnen ist einfach keine Ruhe fürs Geschäft vergönnt. Irgendwann bekommen sie davon sicher Verstopfung. 

Trotzdem bin ich natürlich dafür, die Hinterlassenschaften aufzusammeln. Am besten wäre es, der Mensch bräuchte keinen Hund. Wie hat Peter Fox in seinem Stück „Schwarz zu Blau“ gesungen: „Überall liegt Scheiße, man muss eigentlich schweben.

Jeder hat ’nen Hund, aber keinen zum ­Reden.“ Der Song ist von 2008. Wegen Corona und anderen gesellschaft­lichen Entwicklungen haben aber offenbar immer mehr Leute einen tierischen Gesprächspartner nötig. Im Sommer 2022 lebten mehr als 61.000 Hundehalter:innen in Hamburg – rund 8000 mehr als ein Jahr zuvor. Neuerdings scheinen sie oftmals nicht mal mit nur einem Tier auszukommen. Ich beobachte jedenfalls eine Inflation von Zweithunden in meiner Nachbarschaft. 

Dabei ist der ökologische Fußabdruck dieser Tiere groß! Laut einer Studie im Fachgebiet „Sustainable Engineering“ an der TU Berlin kommen auf einen 15 Kilogramm schweren Hund im Laufe von 13 Lebensjahren etwa 8,2 Tonnen Kohlendioxid (CO2). Das entspreche 13 Hin- und Rück­flügen von Berlin nach Barcelona! ­Außerdem scheide dieser Durchschnittshund im Laufe seines Lebens rund 1 Tonne Kot aus. 1 Tonne geteilt durch 13 Lebensjahre geteilt durch 365 Tage mal 61.000 Halter:innen … das macht rund 12,8 Tonnen Hunde­dreck in Hamburg pro Tag! 

Werden nun die Sommer wegen des Klimawandels immer heißer und trockener und wir würden all das liegen lassen: Die Weiße-Kreide-Berge in unserer Stadt will ich mir nicht ausmalen!

Oder wären sie eine gute Therapie? Neulich erzählte ich meinen Freund:innen aus Kindertagen, wie ich damals mit Hundekot gemalt hatte. Natürlich, sie lachten mich aus! Aber dann gestanden sie: Sie hatten dasselbe getan und seither verheimlicht. Sie alle besitzen bis heute keinen Hund. 

Artikel aus der Ausgabe:

Frauen im Hafen

Der Hamburger Hafen ist eine Männerdomäne? Von wegen! Wir stellen Frauen vor, die den Hafen verändern. Außerdem: Philosophin Eva von Redecker im Interview über die Rolle von Frauen in Revolten, eine Reportage über Menschen am Hauptbahnhof und ein Porträt von Boxweltmeisterin Dilar Kisikyol, die für Inklusion und Feminismus kämpft.

Ausgabe ansehen
Autor:in

Weitere Artikel zum Thema