Leichte Sprache :
Können wir noch miteinander reden?

Können wir in unserer Gesellschaft überhaupt noch richtig miteinander reden? Unsere Autorin hat zwei Kurse besucht. Es ging darum sich gegenseitig zuzuhören.

Viele Menschen glauben,
dass wir alle zu wenig miteinander reden.
Müssen wir wieder neu lernen,
wie man miteinander redet?
Der Verein „Mehr Demokratie“ versucht genau das:
Die Menschen reden wieder miteinander.
Wir von Hinz und Kunzt haben es auch versucht.

Hinz&Kunzt Randnotizen

Freitags informieren wir per Mail über die Nachrichten der Woche:

Was essen Kühe?

Mein Kollege und ich waren Gäste in einem Verein.
Dort haben die Menschen über die Land-Wirtschaft geredet,
also wie man Gemüse anbaut und Tiere hält.
Ein Mann fragte meinen Kollegen und mich plötzlich:
„Essen Kühe nur Gras oder auch Fleisch?“
Wir waren nicht sicher mit der Antwort,
weil wir beide aus der Stadt kommen.
Mein Kollege sagte: „Sie essen nur Gras, oder?“
Der Mann lachte über uns und sagte:
„Kühe essen auch kleine Tiere,
zum Beispiel Fliegen und Käfer!“
In Wahrheit wollte der Mann aber allen zeigen,
wie wenig wir über die Land-Wirtschaft wissen.
Wir fanden das nicht sehr freundlich.

Viele Menschen glauben und sagen,
dass wir alle zu wenig miteinander reden.
Wir alle sollten das wieder neu lernen.
Miteinander reden ist aber sehr wichtig für uns alle
und für die Demokratie.
Demokratie heißt,
dass die Menschen miteinander die Regeln für alle machen.
Die Menschen müssen viel miteinander reden,
wenn sie die Regeln miteinander machen.
Aber viele Menschen sagen auch,
dass sie nicht mehr miteinander reden können.
Gute Freunde werden plötzlich laut und streiten sich.
Man möchte nur noch seine eigene Meinung hören.
Die Demokratie geht so kaputt.

Der Verein „Mehr Demokratie“

Wie können wir alle also wieder lernen,
wie wir miteinander gut reden?
Der Verein „Mehr Demokratie“ möchte das versuchen.
Die Menschen sollen Regeln beachten,
wenn sie über ein Problem reden.
Und eine Person muss das Gespräch leiten.
So sollen alle in dem Gespräch ruhig bleiben.

Mein Kollege und ich haben den Verein „Mehr Demokratie“ gefragt,
ob wir bei einem Gespräch mit Regeln dabei sein dürfen.
Der Verein hat uns an einen Ort im Süden von Hamburg eingeladen.
Die Menschen in diesem Ort waren aber nicht sicher,
ob wir bei dem Gespräch dabei sein sollten.
Die Menschen wollten über Land-Wirtschaft reden.
Es waren etwa 40 Menschen dort
und sie waren alle viel älter als wir.
Wir durften dann bei dem Gespräch dabei sein,
aber wir sollten auch selbst reden und nicht nur zuschauen.

Am Anfang sagte ein Mann,
dass bei dem Gespräch heute
zwei Leute von der Zeitung „Hinz und Kunzt“ mit dabei sind.
Das wollten aber nicht alle Menschen in dem Raum.
Einige sagten sofort,
dass sie nicht mit der Zeitung reden wollen.
Sie sagten auch noch,
dass in der Zeitung immer nur schlechte Sachen stehen.
Wir sollten also bitte wieder gehen.
Mein Kollege und ich sind dann raus gegangen.

Drei Männer sind auch mit raus gegangen.
Es waren drei Bauern.
Ein Bauer hat sich bei uns entschuldigt.
Der zweite Bauer hat uns auf seinen Hof eingeladen,
wir können gern über ihn in der Zeitung schreiben.
Der dritte Bauer wollte von uns wissen,
was denn Kühe essen.
Wir haben dann mit den Bauern weiter geredet.

Ein „sicherer Ort“

Manche Dinge sagten die Bauern immer wieder.
Zum Beispiel sagten sie oft,
dass man mit Leuten von der Zeitung nicht frei reden kann.
Sie sagten auch,
dass man für ein freies Gespräch einen „safe space“ braucht.
„safe space“ ist Englisch und man spricht es „sähf spehß“.
Das ist ein „sicherer Ort“.
An dem „sicheren Ort“ kann man ganz frei alles sagen.

Wann aber braucht man einen „sicheren Ort“?
Ein sicherer Ort ist sehr wichtig,
wenn man etwas sehr Schlimmes erlebt hat.
Man soll in Ruhe und frei über alles reden können.
Aber ist die Land-Wirtschaft etwas Schlimmes?
Das ist doch für alle Menschen interessant!
Also auch für uns beide aus der Stadt,
die für „Hinz und Kunzt“ davon berichten wollen.
Oder etwa nicht?

Ein Gespräch mit Regeln

Zwei Wochen später bin ich bei einem anderen Gespräch.
Der Verein „Mehr Demokratie“ hat mich wieder eingeladen.
Das Gespräch ist jetzt online,
das heißt: alle Menschen sehen sich nur am Computer.
Das Gespräch leiten zwei Menschen,
die das schon oft gemacht haben.
Sie sagen für alle,
dass ich von der Zeitung heute mit dabei bin.
Die Menschen in dem Gespräch finden das gut.
Wir reden heute über etwas sehr Schwieriges:
Seit einem Jahr ist in dem Land Ukraine schon Krieg.

Ich habe vor dem Gespräch die Regeln gelesen.
Das sind die Regeln für das Gespräch:

  • Jede Person redet nur von sich selbst,
    was sie denkt und selbst erlebt hat.
  • Alle reden gleich viel.
  • Man darf über die anderen Personen nicht sagen,
    ob man sie gut oder schlecht findet.
  • Man soll seine eigenen Gefühle klar sagen
    und auf die Gefühle der anderen Personen achten.

Der Verein „Mehr Demokratie“ findet,
dass die Gefühle von den Menschen sehr wichtig sind.
Denn Gefühle können helfen,
dass sich die Menschen besser verstehen.
So kann man auch besser miteinander reden.

Wir legen am Anfang alle eine Hand auf das Herz
und holen tief Luft.
Dann halten wir einen Finger nach oben,
als ob ein Wind bläst.
Der Wind meint die Gefühle,
die wir alle bei dem Krieg in der Ukraine haben.
Wir sollen zuerst sagen,
ob das Gespräch ruhig wird oder der Wind stark ist.
Die Menschen heute in dem Gespräch finden,
dass der Wind sehr stark ist.

Ein schwieriges Thema

Die Menschen in Deutschland haben sehr verschiedene Meinungen
über den Krieg von dem Land Russland gegen das Land Ukraine.
Eine große Gruppe Menschen findet,
dass die Ukraine nicht mehr kämpfen soll.
Dann soll ein Vertrag sagen,
wo neue Grenzen zwischen Russland und der Ukraine sein werden.
So soll wieder Frieden in Europa sein.
Genauso viele Menschen sagen aber,
dass Russland mit dem Krieg aufhören muss.
Das Land Russland hat den Krieg auch angefangen.
Die Grenzen von dem Land Ukraine sollen so bleiben,
wie sie auch vor dem Krieg waren.
Die Länder in Europa sollen der Ukraine helfen,
zum Beispiel mit Waffen und Panzern.
Viele Menschen in Deutschland sind deshalb
gegen den Krieg auf die Straße gegangen.

Das Thema „Krieg in der Ukraine“ ist also sehr schwierig.
Wir sollen deshalb in kleinen Gruppen miteinander reden.
Ich bin mit drei älteren Menschen in einer Gruppe.
Das Gespräch soll nicht über Politik gehen,
also welche Meinung wir zu dem Krieg haben.
Wir sollen hier nur über unsere Gefühle reden.
Wir stellen uns zusammen die Frage:
Wie geht es mir ein Jahr nach dem Beginn von dem Krieg?

Das Gespräch ist für mich schwerer als ich dachte.
Jede Person darf 4 Minuten reden.
Aber ich brauche nicht so viel Zeit,
denn meine Gefühle sind sehr klar:
Ich bin sehr traurig über den Krieg.
Ich finde die Bilder aus der Ukraine sehr schlimm.
Viele Häuser sind total kaputt und viele Menschen sind tot.
Jede Person soll aber auch ein gutes Gefühl sagen.
Ich finde sehr gut,
wie die Menschen in vielen Ländern der Ukraine helfen.

Die drei anderen Menschen in meiner Gruppe reden viel mehr.
Sie können leichter sagen,
wie es ihnen geht und was sie schlimm finden.
Sie reden über Kriege von früher
oder dass sie selbst vor dem Krieg fliehen mussten.
Sie reden auch über ihre Jugend
oder dass sie einmal nach Russland reisen wollten.
Jetzt kann man nicht mehr nach Russland reisen.

Sehr viele Fragen

Dann ist die Zeit für unsere kleine Gruppe zu Ende.
Eine von den Leiter*innen für das Gespräch kommt zu uns.
Er fragt uns:
„Wie geht es euch?
Was sind eure Gefühle?
Hat jemand ein Problem mit dem Gespräch?“
Eine Frau sagt,
dass sie wirklich sehr traurig war.
Eine andere Frau sagt,
dass sie jeden Tag sehr viel über den Krieg liest.
Sie ist schon älter und wollte eigentlich in Ruhe leben.

Ich habe sehr viele Fragen in dem Gespräch,
aber es gibt sehr wenige Antworten.
Der Mann aus meiner Gruppe sagt zum Beispiel,
dass er niemals mit einem Gewehr auf Menschen schießt.
Er möchte niemals ein Soldat sein.
Er würde sofort mit dem Krieg aufhören
und sich ergeben.
Ich verstehe den Mann gut.
Aber ich frage mich auch,
warum er das jetzt sagt.
Sollen die Soldaten der Ukraine einfach aufhören?
Meint das Wort „Frieden“ für ihn dasselbe wie für mich?

Ich soll nur über meine Gefühle reden,
aber ich möchte viele Fragen stellen.
Ich soll über andere Personen nicht sagen,
dass ich eine Meinung gut oder falsch finde.
Aber manchmal sage ich doch:
„Ich sehe das auch so.“
Ich sage bei einem sehr schwierigen Wort:
„Das sehe ich ganz anders.“
Die anderen Personen finden meine Sätze schwierig.
Sie fühlen sich dann falsch verstanden,
aber sie können mir nicht richtig antworten.
Wir reden zwar alle über unsere Gefühle,
aber das Gespräch ist für mich sehr kühl.
Aber vielleicht fühle nur ich mich so.

Geht es mir besser?

Wir schreiben am Ende von dem Gespräch auf,
was das Gespräch bei jedem von uns verändert hat.
Die Leute schreiben zum Beispiel:
„Ich bin nicht allein!“ oder:
„Mir geht es besser.“
Aber ich bin nicht sicher.
Ich finde wirklich toll,
dass wir alle so viel über uns gesagt haben.
Wir kennen uns bisher nicht und waren offen miteinander.
Ich habe auch andere Meinungen gehört.
So verstehe ich vieles in Deutschland besser.

Der Mann aus meiner Gruppe schreibt:
Er bleibt auf jeden Fall bei seiner Meinung,
einen Krieg muss man ohne Waffen beenden.
Ich freue mich ein wenig,
weil er sich nicht an die Regeln für das Gespräch hält.
Er hat eine Meinung gesagt,
aber keine Gefühle.
Niemand antwortet auf die Meinung von dem Mann.
Warum haben wir darüber nicht geredet?
Wer denkt genauso und wer sieht das anders?
Er denkt vielleicht in vielen Dingen genauso wie ich,
manche Dinge sehe ich bestimmt ganz anders.
Aber wir haben davon nicht geredet.

Wir haben sehr viel über Gefühle geredet.
Ich finde das etwas zu wenig,
man muss auch miteinander über Meinungen reden.
Die Demokratie ist nicht nur die Gefühle von den Menschen.
Man soll auch über Probleme reden,
so dass man miteinander Lösungen findet.
Vielleicht kann man für das nächste Gespräch versuchen,
auch über Meinungen zu reden.
Denn viele Menschen denken in vielen Dingen ganz ähnlich,
aber nur in sehr wenigen Dingen ganz anders.

Übersetzung in Leichte Sprache: Capito Hamburg

Autor:in
Anna-Elisa Jakob
Anna-Elisa Jakob
Ist 1997 geboren, hat Politikwissenschaften in München studiert und ist für den Master in Internationaler Kriminologie nach Hamburg gezogen. Schreibt für Hinz&Kunzt seit 2021.

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