Die Illustratorin Angela Giorgi hat mit ihren Collagen dazu beigetragen, dass die Literaturausgabe ein echter Lese-Verführer geworden ist
(aus Hinz&Kunzt 197/Juli 2009 – Die Literaturausgabe)
Hinz&Kunzt-Leser kennen Angela Giorgi schon, besser gesagt: ihre Illustrationen. Denn seit einiger Zeit gestaltet die 36-Jährige unsere Zahlen des Monats und Geschichten, die als unfotografierbar gelten. 2009 ist ihr Glücksjahr: Denn sie stellt einige ihrer Collagen beim Spiegel aus und bekam ihren ersten Großauftrag: Die deutschsprachige Sektion des Internationalen Straßenzeitungsverbandes (INSP) beauftragte sie mit der Illustration des Literaturprojektes. Ihre Bilder erscheinen jetzt nicht nur in Hamburg, sondern auch in anderen deutschen Städten, womöglich auch in Österreich und der Schweiz.
Es duftet nach Räucherkerzen, und der Fußboden ist übersät mit alten Briefen, Fotos, Ornamenten, Stoffresten und Kladden. Wenn Angela Giorgi arbeitet, sieht es aus, als würde ein Kind spielen – sie sitzt mitten auf dem Boden, umringt von ihren Schätzen vom Flohmarkt, und lässt sich treiben. Sie liest – wie jetzt bei der Literaturausgabe – die Texte, die sie illustrieren soll, greift mal zu diesem Papier, mal zu jenem alten Foto, verwirft alles wieder und plötzlich fügt sich alles wie von selbst zusammen. Collagen sind ihre Leidenschaft, waren es schon in ihrer Heimat Argentinien.
Aufgewachsen ist sie auf dem Land, in der Nähe von Buenos Aires. Ihre Großeltern waren Italiener, und sie selbst hat jetzt auch einen italienischen Pass. Nach dem Abitur studierte sie zunächst Jura. So eine diffuse Idee von Gerechtigkeit hatte sie. „Aber dann wurde mir klar, dass ich als Rechtsanwältin immer lügen und kämpfen müsste“, sagt sie. „Und das liegt mir beides gar nicht.“ Stattdessen nahm sie Schauspielunterricht und fing an mit ihren Collagen. Um das Ganze zu finanzieren, jobbte sie, meistens als Kellnerin. Viele ihrer Freunde hat sie noch aus dieser Zeit.
Aber irgendwie wollte sie weg, „am besten nach Indien oder so“, auf der Suche nach dem Sinn des Lebens. Allerdings wurde es dann doch „nur“ Deutschland. Ihr Bruder lebt hier, und Freunde schenkten ihr, das war 2001, ein Flugticket. Sie fand es kalt, konnte die Sprache nicht, und es sah so aus, als wäre Deutschland nichts weiter als eine einjährige Episode in ihrem Leben. Kurz vor ihrem Rückflug im Sommer 2002 guckte sie in einer Kneipe ein wichtiges Fußballspiel – bei der WM trat Argentinien gegen England an. Und da sah sie ihn: Mauricio Bustamante, wie sie aus Argentinien (und einer der beiden Hinz&Kunzt-Fotografen). „Ich wollte nur, dass er sich neben mich setzt“, sagt sie. Das tat er auch. Und dann ging alles ganz schnell. Angie, wie alle sie nennen, flog zwar nach Argentinien, kam aber bald wieder zurück, die beiden wurden ein Paar. Im Dezember 2003 kam ihre Tochter Valentina zur Welt, die jetzt manchmal mit ihrer Mama auf dem Fußboden sitzt und eigene Collagen macht.
Angies Traum war es, einmal von ihre Collagen leben zu können. Aber das schien bis vor einiger Zeit in weiter Ferne. Nebenbei jobbte sie in einem italienischen Großhandel und dann in der Spiegel-Kantine. 2009 sollte sich das ändern, „das hab ich gefühlt“, sagt sie. Und tatsächlich: Momentan stellt sie ihre Arbeiten beim Spiegel aus, und das Literaturprojekt der deutschsprachigen Straßenmagazine hat sie einen ganzen Schritt weitergebracht. „Ich fühle mich wie beim Bergsteigen. Die erste Klippe habe ich überwunden“, sagt Angie, „aber bis zum Gipfel ist es noch weit.“