Dokumentarfilmwoche Hamburg : „Ich war lange eine verkrachte Existenz“

Unbequem, genau und engagiert: So sind die Filme von Klaus Wildenhahn. Die Hamburger Dokumentarfilmwoche ehrt ihn auf besondere Weise und hat ihren Wettbewerbspreis nach ihm benannt.

(aus Hinz&Kunzt 254/April 2014)

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Das Leben zeigen, wie es ist, und nicht, wie es sein sollte: Das ist die Maxime des Dokumentarfilmers Klaus Wildenhahn. Der kritische Blick hilft.

Klaus Wildenhahn ist noch nicht wieder so ganz zu Hause angekommen. Er hat gerade eine kleine OP hinter sich, einen kurzen Reha-Aufenthalt, diverse Untersuchungen: „Ich bin geschrumpft!“, sagt er. „Um fünf Zentimenter!“ Bestellt erst mal einen Kaffee, eine Portion Tagliatelle, allerdings aus Sahne und Eis und nicht aus Hartweizengrieß, wie sich das für ein Eiscafé gehört. Plaudert, um in Schwung zu kommen, über das unerwartet warme Wetter, die Ukraine, über Russland. „Ich möchte nicht noch mal einen Krieg erleben. Ich war 14, als der Krieg aufhörte“, sagt er. Erzählt von den Bombenangriffen, vom zerstörten Berlin, wo er im Westteil aufwuchs, zur Schule ging und dann studierte.

Hat er sich schon damals für Film interessiert? „Überhaupt nicht. Ich hab ein bisschen geschrieben, ansonsten vor mich hin studiert.“ Lachend sagt er: „Ich war lange eine verkrachte Existenz. Wissen Sie, Berlin ist für mich so eine Spinnerstadt.“ Na ja – das sei jetzt arg pauschal, aber bei ihm sei es so gewesen: „Ich dachte, ich werde was, aber ich wurde nix. Stattdessen sind wir nach Ostberlin gefahren, haben billigen Schnaps gekauft und abends Party gemacht.“

Zum Glück studiert er Publizistik, und als die amerikanischen Behörden Studenten suchen, die sie daheim im Fach Demokratie unterrichten könnten, fällt ihre Wahl auch auf Wildenhahn. „Ich hatte eine amerikanische Freundin, eine kluge Frau, die zu mir sagte: ‚Du musst raus aus Berlin.‘“ Über London geht es später zurück nach Deutschland und er entscheidet sich für Hamburg: „Ich hatte dort eine Tante, eine sehr verlässliche Frau, der ich immer schrieb.“

Ohne irgendeine Ahnung vom Fernsehmachen zu haben, bewirbt er sich beim NDR: „Ich hatte zwei Gedichte geschrieben, mit denen bin ich beim Leiter angetanzt, der hat einen Moment überlegt – und mir dann eine Chance gegeben. Heute wäre das undenkbar.“ Wildenhahn weiß die Chance zu nutzen: Er realisiert kleine Spots, kurze Spielfilme für die Sendung „Fernsehlotterie“, die kurz vor der Tagesschau ausgestrahlt wird. Dann wechselt er zur „Panorama“-Redaktion, als nach britischem Vorbild ein kritisches Fernsehmagazin etabliert werden soll. Was ihm am Fernsehjournalismus bald stört: Er soll die Bilder und Töne liefern, die sich die Journalisten wünschen, damit ihre Thesen stimmen. Auf Filmfestivals entdeckt er dagegen das amerikanische Cinema direct: Filmer gehen in die Welt und filmen, was sie sehen – nicht, was sie sehen sollen. Er hat seine Methode gefunden.

Ein wunderbares Beispiel
ist sein Film: „Heiligabend auf St. Pauli“ von 1967. Man schaut einfach zu, wie Menschen den 24. Dezember in einer Kneipe verbringen. Und kein Off-Kommentar erzählt einem, was man davon zu halten hat. „Solche Filme können scheitern, das kommt vor. Aber sie können auch ganz wunderbar werden“, sagt Wildenhahn. Immer wieder vertraut er so seinen Protagonisten, taucht in ihre Welten ein, wie in der Dokumentation. Heftige Kontroversen löst sein Film „Emden geht nach USA“ von 1975 aus: Das Emder VW-Werk soll in die USA verlagert werden. Wildenhahn dokumentiert den vergeblichen Kampf der Arbeiter um ihre Arbeitsplätze: „Ich habe gewerkschaftliche Filme, aber keine Gewerkschaftsfilme gemacht.“

Seine Filme, die anfangs in der ARD laufen, werden ins Dritte Programm abgeschoben. Auch dort werden die Spielräume kleiner. Das Fernsehen will nicht mehr Aufklärungs-, sondern Unterhaltungs- und Wohlfühlmedium sein: „Heute wird man beim NDR noch meinen Namen kennen, aber das jemand wie ich nach der Methode des Cinema direct arbeitet, das glaube ich nicht. Aber fragen Sie da gerne mal nach.“

Immerhin hat er, der alte Herr des deutschen Dokumentarfilms, in der Filmszene Rang und Namen: Die Dokumentarfilmwoche hat ihren Wettbewerbspreis nach ihm benannt. Kommt er zum Festival? „Bestimmt“, sagt er. „Ich werd’s versuchen“, schiebt er hinterher. Er lacht in sich hinein: „Wissen Sie, manchmal begegnet mir auf der Straße ein älterer Mann und ich denke: ‚Ach, das ist so ein Alter.‘ Und dann fällt mir ein, ich bin ja selber so alt.“ In diesem Sommer wird er 84.

Er zeigt nach draußen, wo die Leute im milden Spätnachmittagslicht nicht mehr hektisch vorbeieilen, sondern gerne stehenbleiben und miteinander reden: „Mir reicht es mittlerweile, einfach so um meinen Block zu gehen. Es gibt zwei ­Cafés; es gibt unten an der Ecke einen guten Chinesen, es gibt einen Buchladen. Mehr brauche ich nicht.“ Und er steht auf, setzt seine Mütze auf, nimmt seinen Regenschirm als Gehstock und geht langsam quer über die Straße zu seinem Eppendorfer Wohnhaus, stolz darauf, einer der letzten Mieter zu sein inmitten lauter Wohnungseigentümern.

Text: Frank Keil; Foto: Dmitrij Leltschuk