Zuhause auf Zeit: Seit 17 Jahren beherbergt die christliche Gemeinschaft Brot & Rosen Flüchtlinge aus aller Welt. Sie bekommen hier nicht nur einen Schlafplatz, sondern werden als Freunde aufgenommen.
Caroline zum Beispiel. Steht eines morgens vor der Tür, ausgezehrt, ängstlich, allein. Geflohen aus ihrer Heimat Nigeria vor blutigen Streitereien um Landbesitz, gestrandet in Hamburg nach einer gefährlichen Reise übers Meer, versteckt in einem Schiffsrumpf. Sie hat keine Papiere, sie hat kein Geld, sie hat jetzt nur diese Adresse, vermittelt durch die Beratungsstelle Medibüro. „Brot & Rosen“ steht auf dem Klingelschild, und schon der herzliche Empfang verdeutlicht den Sinn des Namens: Caroline bekommt in diesem Haus nicht nur „Brot“, also das, was sie zurzeit am Nötigsten braucht – Obdach, Essen, Sicherheit. Sie bekommt auch „Rosen“ – Wärme, Würde, Respekt.
„Wir nehmen Fremde als Freunde auf“, erklärt Dietrich Gerstner, Gründungsmitglied von Brot & Rosen. Er hat die christliche Lebensgemeinschaft vor 17 Jahren nach Vorbild ähnlicher Projekte in den USA mitaufgebaut und wohnt seitdem selbst mit seiner Familie in dem sogenannten „Haus der Gastfreundschaft“. Flüchtlinge aus aller Welt finden hier ein Zuhause auf Zeit bei den momentan 14 Gemeinschaftsmitgliedern, können Kraft schöpfen und in Ruhe ihre Zukunft planen. Sie erhalten Hilfe bei Behördengängen, Infos zu Sprachkursen, medizinische Versorgung. „Vor allem aber leben wir zusammen“, betont Dietrich Gerstner. „Wir teilen den Alltag mit denselben Rechten und Pflichten.“
Jeder, der zur Lebensgemeinschaft gehört, zahlt etwas von seinem Verdienst ein – dadurch werden die Kosten der Gemeinschaft bestritten. Zum Zusammenleben gehört auch, gemeinsam an Andachten teilzunehmen, ohne jeglichen missionarischen Eifer.
Wie dieses Zusammensein für alle Beteiligten ist – davon werden die Brot & Rosen-Mitglieder während eines Workshops auf dem Kirchentag berichten. „Vielleicht ermutigen wir dadurch andere, ähnliche Gemeinschaften zu gründen“, hofft Dietrich Gerstner. Denn: „Menschen ohne Papiere gehören zu den Schutzlosesten in unserer Gesellschaft. Sie brauchen unsere vorurteilsfreie Solidarität.“
Die Selbstbestimmung jedes Menschen ist Brot & Rosen wichtig. Wie bei Caroline, die nach einigen Monaten Erholung in Hamburg entschied, wieder zurück nach Nigeria zu fahren. Sie hat dort ein neues Heim gefunden, sie arbeitet als Lehrerin, es geht ihr gut. Oder Capri: geflohen aus Sierra Leone, weil er dort als kritischer Journalist verfolgt und schwer verletzt wurde. Mit der Unterstützung von Brot & Rosen gelang es ihm, als politisch Verfolgter anerkannt zu werden und ein Bleiberecht zu erhalten. Heute engagiert er sich selber für Flüchtlinge.
„Wir bewerten Schicksale nicht“
Seit der Gründung waren schon mehr als 200 Flüchtlinge bei Brot & Rosen zu Gast, manche nur wenige Tage, andere mehrere Jahre. „Mit den Meisten haben wir hoffnungsvolle Geschichten erlebt“, erzählt Ilona Gaus, die seit sieben Jahren zur Gemeinschaft gehört. „Mich begeistert der Gedanke, nicht nur zeitweise für andere Menschen zu arbeiten, sondern mein Leben mit ihnen zu teilen.“ Sie sitzt in der großen Küche, Zentrum und Treffpunkt des Hauses. Hier wird gemeinsam gekocht und gegessen, gespielt und diskutiert. An der Wand hängen bunte Bilder, daneben der wöchentlich wechselnde Koch-, Putz- und Einkaufsplan. „Oft funktioniert das sogar“, sagt Ilona Gaus und lacht.
Aber manchmal klappe das Leben in Gemeinschaft auch nicht. „Dann kann es passieren, dass wir jemanden bitten müssen zu gehen“, erzählt Dietrich Gerstner. „Zum Beispiel wenn wir gar nicht miteinander kommunizieren können. Oder wenn jemand auch nach längerer Zeit keine Perspektive für seine Zukunft entwickelt.“ Klare Regeln seien deshalb ganz wichtig. „Das muss jeder wissen, der ein ähnliches Projekt auf die Beine stellen will.“ Unwichtig findet er hingegen, aus welchen Gründen Flüchtlinge Schutz suchen. „Wir bewerten Schicksale nicht“, sagt er. „Unsere Gastfreundschaft richtet sich an jeden, egal weshalb für ihn bei uns angefragt wird.“
Allen Mitmenschen auf Augenhöhe zu begegnen, sich auf andere Kulturen wirklich einzulassen, sei natürlich ein Abenteuer. Aber eins, bei dem man jeden Tag selbst reich beschenkt werde. Wie im Bibelvers, der als Leitmotto für die Gemeinschaft gilt: „Vergesst nicht, Gastfreundschaft zu üben“, heißt es da. „Denn auf diese Weise haben einige, ohne es zu wissen, Engel aufgenommen.“
Text: Maren Albertsen
Fotos: Mauricio Bustamante
Während des gesamten Kirchentags macht im Sandtorhafen in der Hafencity der Fischkutter M/S Anton als „Flüchtlingsschiff“ fest: 70 Bronzestatuen an Bord verdeutlichen das Schicksal von Flüchtlingen.