Vom Brachland zum Gartenparadies: Kolumnist Benjamin Laufer nimmt Sie ab jetzt regelmäßig mit auf seine Kleingartenparzelle.
Ihren verdatterten Gesichtsausdruck werde ich nicht vergessen. Meine Schwiegermutter wollte doch nur Gutes tun! Strahlend stand sie da, mit einem Fliederstrauch für meinen neuen Garten. Doch sie
hatte die Rechnung ohne den Gärtner gemacht: „Ein Flieder kommt mir keinesfalls auf die Parzelle“, blaffte ich. Man kann sich die Freude am Gärtnern auch selbst madig machen, murmelte Schwiegermutter.
Dabei hatte meine Abwehr mit Freudlosigkeit nichts zu tun. Sondern mit Prinzipien. Wer einen Garten anlegt, muss erst mal grundlegende Fragen klären: Wieso eigentlich? Und was für einen? Als ich vergangenen Sommer meine Parzelle bezog, wusste ich sofort, was ich nicht wollte: englischer Rasen, schnurgerade Beetkanten, Deutschlandfahne neben der Laube. Ich träumte von Blumenwiesen, verwunschenen Ecken im Gebüsch und allerlei Getier im Garten. Meine eigene kleine Wildnis. Wie praktisch, dass es dazu ein passendes Konzept gibt: den Naturgarten.
Also einfach alles sprießen lassen, wie es kommt? Von wegen! Im Naturgarten gibt es strenge Regeln: Was gar nicht geht, sind „invasive Neophyten“. Pflanzen also wie der Flieder, eingeschleppte Arten, die hier nicht heimisch sind und die sich so dominant ausbreiten, dass sie andere verdrängen. Dutzende solcher Invasoren listet das Bundesnaturschutzamt auf. Ließe man sie gewähren, sähe es überall in unserer Klimazone irgendwann gleich aus. Etwa so wie in den Innenstädten, in denen sich überall die gleichen Ketten breitmachen und die kleinen Läden plattmachen. Der Flieder, der H&M der Pflanzenwelt!
Nun kaufe ich meine Unterhosen seit Jahren bei H&M und kann Fremdenfeindlichkeit ansonsten so rein gar nichts abgewinnen – aber der Garten hat seine eigenen Regeln. Und es lohnt sich, sie zu befolgen: Der naturnahe Garten sieht am Ende nämlich nicht nur schön aus, sondern bietet vielen Insekten, die sich auf ihr jeweiliges Grünzeug spezialisiert haben, eine wichtige Nahrungsquelle. Wildbienen etwa sind oft äußerst wählerisch bei der Blütenwahl und Schmetterlingsraupen krüsch wie sonst was. Für sie kann ich auf meinen 260 Quadratmetern einen echten Unterschied machen. Das ist doch was!
Klar kann man es mit dem Dogmatismus auch übertreiben. Letztes Jahr im August hat Hamburgs grüner Umweltsenator Jens Kerstan einen ganz besonders schönen naturnahen Garten ausgezeichnet. Gleich rümpfte die Naturgartenfangemeinde in ihren Facebook-Gruppen die Nase: Hatte sich doch ein angeblicher Neophyt auf das Pressefoto mit Gärtner und Senator geschummelt. Wie kann die Stadt einen so nachlässigen
Naturgärtner nur auszeichnen?
Ganz ehrlich, das mit dem Flieder wusste ich auch nicht. Und bestimmt wächst auch auf meiner Parzelle mal Eingeschlepptes. Ist dann halt so. Jetzt freue ich mich erst mal auf die imposanten Blüten des Mönchspfeffers, die hoffentlich bald sprießen. Den habe ich nämlich statt des Flieders gepflanzt, weil er im Netz als Alternative zu invasiven Arten aufgelistet ist. Kannte ich nicht und sieht auch noch besser aus als der olle Flieder. Findet dann hoffentlich auch die Schwiegermutter.