Homeless Gallery

KI-Kunst: gefährlich oder nützlich?

"Eine stürmische Nacht" heißt das KI-Bild von Peter Konken.

Aus den Lebensgeschichten von Hinz&Künztler:innen wurden mithilfe von künstlicher Intelligenz (KI) Bilder für die Homeless Gallery geschaffen. Doch Software, die es auch Laien ermöglicht, komplexe Kunst zu produzieren, ist umstritten. Wir haben zwei Expert:innen zu den Vor- und Nachteilen der neuen Technologie befragt. 

Hinz&Kunzt Randnotizen

Freitags informieren wir per Mail über die Nachrichten der Woche:

Pro: Jonathan Mall

Promovierter Neuropsychologe und Leiter von neuroflash, einer KI-Software, die Kund:innen beim Erstellen von Inhalten unterstützt. Für die Home­less Gallery hat er KI angewendet, um mit Erlaubnis von Hinz&Kunzt-Verkäufer:innen Bilder aus deren Lebensgeschichten zu generieren.

Hinz&Kunzt: Warum brauchen wir Programme, die sekundenschnell Kunst produzieren?

Jonathan Mall: Um Geschichten zu erzählen. Ich bin kein Künstler, aber mit KI kann ich etwas Schönes sofort ­sehen, nachdem ich die Idee dazu hatte. Am Wochenende habe ich mit meiner Verlobten mithilfe von Stable Diffusion eine „Save the Date“-Karte für unsere Hochzeit generiert. Ich musste keinen Künstler dafür bezahlen. Wenn ich mir selbst die Haare schneide, bezahle ich ja auch keinen Friseur.

Aber der schneidet sie viel besser.

Genau! Und echte Künstler können mit Stable Diffusion viel mehr machen. Ein Künstler weiß, welches Licht und welche Farben er braucht. Er kann die Software sehr viel schneller instruieren als ein naiver User wie ich. Um aus der Masse herauszuragen, musst du kreativ sein. Du kannst schöne Bilder machen, aber nicht unbedingt interessante – dafür braucht es interessante Ideen.

Was sagen Sie zu dem Vorwurf, dass die Datensätze, auf denen viele der KIs trainiert wurden, vor allem geschützte Bilder enthalten, die ohne Erlaubnis genutzt wurden?

Eine schwierige Frage. Diese Bilder sind öffentlich zugänglich, sie wurden nicht gestohlen. Und jedes einzelne macht nur eins von Milliarden aus. Die neuen Modelle von Stable Diffusion wurden übrigens nicht an den Werken von lebenden Künstlern trainiert. Es stimmt, die KI hat die Stile von Künstlern gelernt, also kann man damit theo­retisch die Mona Lisa malen – aber was bringt das? Viel besser ist es doch, die Mona Lisa in einem neuen Stil zu erschaffen. Eine solche Re-Kombination würde auch ein normaler Künstler machen. Und da hilft die KI.

Befördert KI, um ein Beispiel zu nennen, nicht die Entwicklung, dass Künstler:innen immer weniger Geld für kreative Arbeit bekommen? Magazin-Illustrationen werden künftig weniger gefragt sein, solche Arbeit kann in Sekunden erledigt sein.

Jede neue Technologie löst alte Prozesse ab. Wir machen auch die Butter nicht mehr wie im 19. Jahrhundert. Jetzt dreht es sich um anspruchsvollere, kognitive Aufgaben. Aber ein Künstler kann mit KI nun sehr viel mehr produzieren. Daraus ergeben sich ganz neue Businessmodelle. Das ­bedeutet nicht zwangsläufig einen Werteverfall.

Was könnten das für Geschäftsmodelle sein?

Wenn ich heute Künstler wäre, würde ich der KI meinen ­eigenen Stil beibringen. Das Modell ist dann deins, trainiert auf deinem Verständnis von Kunst! Der Stil lässt sich dann auf alles anwenden: Du kannst ein Selfie in deinem ­Zeichen-Stil erstellen oder den Stil auf Filme übertragen. Wir alle werden in Zukunft mehr von dem sehen, was wir sehen wollen. Wer auf etwas steht, kann die ganze Welt durch diese Linse sehen.

Während der Arbeit an der Homeless Gallery sagte eine Agentur-Mitarbeiterin, sie würde sich
gerade selbst überflüssig machen.

Das Projekt hat viel Arbeit gemacht. Jede Bilderstellung hat Stunden ge­dauert, da war niemand überflüssig. Unsere Frage war: Was soll die Kunst ausdrücken? Ist es uns ge­lungen, mithilfe der Bilder eine Ahnung von einer Person zu vermitteln? Jedes Kunstwerk soll ja die Lebensgeschichte eines Menschen erzählen, auf eine andere Art. Die Leute sollen hingucken – dafür gibt es die Kunst.

Contra: Sandra Süsser

Arbeitet als Autorin, Designerin und Digital Artist für Game Art. Außerdem ist sie Dozentin für Digital Art an der HFK+G Stuttgart.

Hinz&Kunzt: Wem gehört ein Kunstwerk, das von KI mithilfe weniger Texteingaben erschaffen wurde?

Sandra Süsser: Das Urheberrecht schützt Schöpfungen von Personen. Da KIs keine Personen sind, sind unbearbeitete KI-Erzeugnisse aktuell urheberrechtlich nicht ­geschützt. Aber die Grenzen verschwimmen: Mit KI können bekannte Marken oder ­Personen dargestellt werden, und das könnte einen Verstoß gegen Gesetze darstellen. Aufgrund der unsicheren Rechtslage und der ethischen Probleme würde ich davon ­abraten, KI für kommerzielle Zwecke zu verwenden.

Was sind das für ethische Probleme?

Das größte Problem ist, dass unklar ist, wie die von KI generierten Bilder zustande kommen. Die Datensätze, mit denen viele der KIs trainiert wurden, enthalten größtenteils geschützte Bilder – sie wurden also gegen den ­Willen und ohne Vergütung ihrer Urheber:innen verwendet. Durch diesen Datenmissbrauch werden auch andere ­Probleme befeuert: Identitätsdiebstahl und Rufschädigung durch „Deep Fakes“ …

Sie meinen täuschend echt wirkende Fälschungen, die von KIs mit Bildern von Menschen aus dem Netz erzeugt werden können … Es gibt doch aber auch Vorteile von KI. Ermöglicht sie nicht Menschen, die kein Talent dafür haben, sich künstlerisch auszudrücken?

Nein, wer KIs nutzt, ist lediglich ein Klient. Wenn man sich Essen bestellt, ist man ja auch kein Koch oder keine Köchin. Jeder, der Kunst schaffen will, konnte das bereits vor KI mit einfachen Mitteln, zum Beispiel mit einem Bleistift. „Talent“ ist oft eine Ausrede. Wer sich künstlerisch wirklich ausdrücken wollte, hat bisher immer einen Weg ­gefunden. Dafür braucht es Disziplin und einen Willen zum Lernen. KIs treten diese Tugenden mit Füßen. Sie werden ihren Nutzer:innen nie dieselben persönlichen Vorteile verschaffen können wie traditionelle Werkzeuge. KIs können diese Prozesse unterstützen, sollten sie aber nicht ersetzen. Und schon gar nicht sollten sie auf einem unethischen Fundament beruhen.

Illustrator:innen und Designer:innen verlieren womöglich Aufträge an KI. Kann man sich dagegen wehren, auch in künstlerischer Form?

Aktuell ist es wichtig, Beweise für Datenmissbrauch zu sammeln. Wer seine Daten über die Website
haveibeentrained.com gefunden hat, kann dies der „Concept Art Association“ melden. Es lohnt sich, wachsam zu bleiben. Wir Gestalter:innen werden uns definitiv neu erfinden müssen, aber gerade jetzt haben wir dadurch die Möglichkeit, unser volles Potenzial als Kreative zu entfalten.

Sollten Schüler:innen künftig für den Umgang mit KI geschult werden?

Es sollte vieles gelehrt werden. Das ­gesamte Bildungssystem ist eine einzige Baustelle – schwierig zu sagen, was da Vorrang hat. Wichtig ist, die Tech-Firmen nicht nach Belieben walten zu lassen, sondern mit einem vorläufigen Gesetz die Entwicklung langsam, aber mit Bedacht voran­zubringen. Schließlich wird KI nicht nur für Kunst oder Hausauf­gaben-Texte eingesetzt. Medizin, Militär, Gastronomie entwickeln aktuell KIs.

Artikel aus der Ausgabe:

Frauen im Hafen

Der Hamburger Hafen ist eine Männerdomäne? Von wegen! Wir stellen Frauen vor, die den Hafen verändern. Außerdem: Philosophin Eva von Redecker im Interview über die Rolle von Frauen in Revolten, eine Reportage über Menschen am Hauptbahnhof und ein Porträt von Boxweltmeisterin Dilar Kisikyol, die für Inklusion und Feminismus kämpft.

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Autor:in
Jan Paersch
Freier Kulturjournalist in Hamburg. Zwischen Elphi und Stubnitz gut anzutreffen - und immer auf einen Espresso.

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