Auch wir Straßenmagazine müssen überlegen, wie wir den Sprung ins digitale Zeitalter schaffen – und die Verkäufer weiterhin ein Zubrot verdienen können.
(aus Hinz&Kunzt 247/September 2013)
Anfang August in München: Mehr als 100 Mitarbeiter von 40 Straßenmagazinen aus aller Welt versammeln sich zur jährlichen internationalen Tagung. Dass wir uns austauschen, ist fast überlebensnotwendig: Denn mit unserem Vertriebsmodell, dass Obdachlose oder Arme das Magazin auf der Straße verkaufen, sind wir einmalig.
Uns alle beunruhigen der rasante Auflagenrückgang der Printmedien und das schnelle Zeitungssterben. Unser Hauptthema in diesem Jahr lautete deshalb: Müssen auch wir den Sprung ins digitale Zeitalter schaffen? Und was können wir tun, damit die Verkäufer weiterhin Geld verdienen – und die Projekte sich Sozial- und Lobbyarbeit leisten können? Diese Fragen beschäftigen alle Magazine, egal, ob sie ihren Sitz in London oder Seattle, in Berlin oder Mailand, in Kopenhagen, Athen, Hamburg oder Berlin haben.
In den USA ist der Straßenverkauf heute schon schwierig, allerdings nicht, weil die Leute sich nicht für das Printprodukt interessieren würden. Viele Menschen haben kaum noch Bargeld in der Tasche, geschweige denn Kleingeld. Alles wird per Karte bezahlt, erzählen uns die Kollegen.
Wie sollen die Verkäufer jetzt ihre Zeitungen an den Mann bringen? Zumindest in den angloamerikanischen Ländern müssen sie die Möglichkeit haben, per Karte abzurechnen. Viele Verkäufer erschreckt das – auch viele Kunden, die nur mal eben eine Zeitung kaufen, aber nicht einen Riesenakt daraus machen wollen.
Einige Straßenmagazine haben schon eine Webseite, auf die sie dieselben Artikel stellen, die im Heft erscheinen. Aber so etwas lockt keinen Hund mehr hinter dem Ofen hervor, haben wir gemerkt. Schon gar nicht, wenn wir dafür irgendwann Geld haben wollen.
Ein funktionierendes Online-Magazin muss multimedial sein: mit Filmchen, Interviews und Chats – lokal, direkt, schnell. Gerade das biete für die Straßenmagazine ein tolles Feld, sagt uns ein Online-Experte in München: Hier könnten wir aktuell berichten, live Verkäufer interviewen, sie mit Lesern ins Gespräch bringen, kleine Videos präsentieren … Dafür können sich die meisten Macher der Straßenmagazine begeistern, wir auch. Wir haben schon ein Online-Magazin mit aktuellen, oft täglich wechselnden Beiträgen, mit wenigen – aber immerhin! – Filmchen (www.hinzundkunzt.de), und wir sind auf Facebook aktiv. Dadurch haben wir direkten und schnellen Kontakt zu neuen, jüngeren Lesern gewonnen.
Der Haken: Zum Nulltarif ist eine Online-Redaktion nicht zu haben. Und: Wenn es einen Rückgang der Print-Version gibt – was verkauft der Verkäufer dann auf der Straße? In England experimentiert man schon mit einer Karte, die einen Code oder eine Nummer enthält. Die kauft der Leser beim Verkäufer und hat so Zugang zur Online-Ausgabe. Aber sind die Leser überhaupt bereit, solche Umwege mitzugehen – und dafür auch noch zu bezahlen? Die meisten Leser von E-Papern gehen heute schon direkt per App ins Netz. Oder wir müssen eine so kultige Karte entwickeln, dass allein die schon für die Käufer begehrenswert ist.
Ein bisschen Zeit haben wir ja noch! Könnte sein, dass wir vom Zeitungssterben nicht so schnell betroffen sind wie herkömmliche Zeitungen. Die sind nämlich abhängig vom Anzeigenaufkommen. Wir Straßenmagazine nicht – dafür haben wir nämlich zu wenige.
Text: Birgit Müller