Ihr Schiff hat im Hafen festgemacht und gleich geht es wieder los Richtung Meer. Nur ein paar Stunden bleiben den Seeleuten, um mal auszuspannen. Und manchmal haben sie nicht einmal das. Doch es gibt den Seemannsclub Duckdalben. Er hilft den Männern, den Kontakt zur Heimat zu halten. Evgeny Makarov (Text und Fotos) hat sich umgeschaut.
(aus Hinz&Kunzt 255/Mai 2014)
Der Kleinbus rauscht durch ein Labyrinth aus Containern, Brücken und Terminals. Die Männer im Wagen sehen erschöpft aus. Schweigend schauen sie auf die vorbeiziehenden Lichter. Als der Bus endlich vor einem kleinen Gebäude hält, steigen sie aus und rennen hi-nein. Drinnen geht es direkt zum Rezeptionstresen, wo sie nach Telefonkarten und Internetzugängen fragen – danach verschwinden die Männer in verschiedenen Ecken des Raumes, um hastig die Telefonnummern der daheimgebliebenen Familien und Freunde zu wählen.
Der internationale Seemannsclub Duckdalben liegt versteckt hinter riesigen Containerterminals, Eisenbahnschienen und mehrspurigen Straßenkreuzungen, inmitten des Hamburger Hafens. Der Club, der von der Deutschen Seefahrermission geführt wird, ist 365 Tage im Jahr geöffnet. Freizeitaktivitäten werden ebenso geboten wie eine medizinische, juristische und seelsorgerische Betreuung. Dieses Angebot wird von den Besuchern sehr geschätzt: 2011 wählten die Seeleute den Club zum „Seafarers’ Centre of the Year worldwide“.
„Die Crews werden immer kleiner, die Abfertigungen schneller und die Liegezeiten kürzer“, sagt Jan Oltmanns, während eine neue Gruppe Seeleute durch die Tür in den Club kommt. „Das Resultat ist: mehr Arbeit für den einzelnen Seemann und kaum noch Zeit an Land.“ Oltmanns ist Diakon und Leiter des Seemannsclubs, im Duckdalben arbeitet er seit der Gründung im Jahr 1986.
Manchmal haben die Seeleute nur fünf Stunden Zeit an Land, bevor sie wieder aufs Schiff müssen. Vom Hafen in die Stadt ist es ein weiter Weg und kaum einer hat Geld für ein Taxi. Duckdalben bietet aus diesem Grund einen Fahrdienst, der die Seeleute am Schiff abholt. Es werden aber auch Bordbesuche für die Seeleute organisiert, die keine Zeit haben, an Land zu kommen. Oltmanns Kollegin Meike Puchert hat dann Prepaidkarten fürs Handy oder für das Laptop dabei, bringt aber auch Zeitungen mit an Bord. „Es ist wichtig, dass mal jemand von außerhalb zu den Seeleuten kommt; nicht nur der Zoll oder jemand von der Reederei, wo es dann wieder nur um Berufliches geht.“ Auch wenn Seeleute in Hamburg ins Krankenhaus oder in Haft kommen, werden sie von der Seefahrermission betreut. „Wir versuchen, den Menschen hinter der Funktion zu sehen“, sagt Oltmanns. „An Bord müssen viele ja reibungslos, fast wie Maschinen, funktionieren. Wenn sie dann an Land gehen, streifen sie das ab und sind endlich Mensch.“
David Wolfe sitzt vor seinem Computer, nippt am Bier. Gerade hat er mit seinen Eltern und seiner Freundin gesprochen, jetzt kann er sich für ein paar Stunden entspannen. Für den 20 Jahre alten Deck-Kadetten aus dem Städtchen Cork in Irland ist es noch ungewohnt, lange von zu Hause weg zu sein: Als er aus der Schule kam, war kein Ausbildungsplatz, kein Job in Sicht – für ihn der Grund, auf See anzuheuern. In Irland ziehen viele junge Leute weg; anfangs soll es nur vorübergehend sein, aber die meisten kommen gar nicht mehr zurück. Wenn Freunde fragen, wie es ihm geht, erklärt er: Der Job ist nicht so einfach.
„Mancher denkt, dass der Job aus purem Abenteuer besteht, so wie früher, als die Schiffe noch Segel hatten. Aber so ist es nicht mehr“, erklärt er. „Das Leben auf See ist ein Business, und jedes Business versucht Geld einzusparen. Sobald die Fracht geladen wird, geht es schnurstracks weiter.“
David genießt jede Stunde, die er an Land verbringen kann. Denn auf den Schiffen ist es eng. Die Crew trifft sich eigentlich nur für die halbe Stunde während des gemeinsamen Abendessens. Den Rest der freien Zeit verbringen die meisten in ihren Kabinen. Die Zeit an Land ist daher wichtig: „Du bist auf dem gleichen Schiff, siehst die gleichen Gesichter, jeden Tag. Manche sind monatelang an Bord, ohne die Chance, an Land zu gehen. Es ist sehr wichtig, dann den Kopf frei zu kriegen, wenn du an Land bist“, erzählt er.
Rafael Rayo steht vor der Tür des Clubs und raucht. Er hat eine Frau und eine zweijährige Tochter, die zu Hause auf ihn warten. Jedes Mal, wenn er beim Skypen seine Tochter sieht, ist er erstaunt, wie schnell sie gewachsen ist und wie viel er von ihrem Leben verpasst. Aber das Gehalt, das er auf den Philippinen verdienen würde, würde nicht reichen, seine Familie zu finanzieren. „Das letzte Mal an Land war ich vor einem Monat. Wenn wir nur drei Stunden im Hafen haben, es aber noch Arbeit an Bord gibt, bleibt man eben an Bord.“
Er hält inne und starrt für eine kurze Zeit die Wand vor ihm an. „Sobald du in deiner Kabine bist, fühlst du plötzlich alles. Du vermisst deine Familie, und die einzige Chance, sie zu sprechen, ist an Land“, erklärt er dann. Zwar versuchen einige Reedereien, auch an Bord Telefon und Internet per Satellit zur Verfügung zu stellen, aber die Verbindungen sind oft nicht stabil, brechen schnell zusammen. Rafael greift in seine Hosentasche und holt die neu erworbenen Telefonkarten hervor. Ein Grinsen wischt jetzt die Wehmut aus seinem Gesicht.