Grußwort von Bundespräsident Christian Wulff für die Weihnachtsausgabe der deutschen Straßenzeitungen 2010
Liebe Leserinnen, liebe Leser,
es ist schön, dass Sie diese Zeitung in Händen halten. Sie ist mit viel Engagement und Kreativität entstanden. Und sie wird von engagierten Verkäuferinnen und Verkäufern angeboten, wie Sie sicherlich gerade erlebt haben.
Vielleicht haben sie diese Straßenzeitung heute das erste Mal gekauft, weil es die Weihnachtsausgabe ist. Oder Sie kaufen die Zeitung regelmäßig. Dem Verkäufer sind Sie vielleicht am Bahnhof, in der S-Bahn oder auf der Einkaufsstraße schon öfter begegnet.
Eines steht jedenfalls fest: Sie halten eine besondere Zeitung in den Händen. Sie erzählt von Lebensumständen und Schicksalen, über die andere Medien nur selten berichten. Sie gibt Menschen, die am Rande unserer Gesellschaft leben, die obdachlos und in Not sind, eine Stimme und ein Gesicht. Beim Lesen haben wir die Chance, diejenigen verstehen zu lernen, die in unserer schnellen, auf Erfolg getrimmten Welt zur Seite gedrängt werden.
Mit den Verkäuferinnen und Verkäufern dieser Straßenzeitung begegnen uns Mitmenschen, die dieses Schicksal – oft unverschuldet – selbst erfahren haben. Aber sie tun etwas, sie ergreifen die Initiative, um ihre Situation zu verbessern. Mit dem Verkauf der Straßenzeitungen haben sie eine Aufgabe übernommen, und sie verdienen es, dabei ermutigt und unterstützt zu werden.
In einer Welt der Medienkonzerne und der unzähligen Meldungen im Internet scheint es, als wären wir besser informiert als je zuvor. Aber wie viel wissen wir wirklich von dem, was in unserer Nachbarschaft, in unserem Stadtviertel geschieht? Wie viel wissen wir über den Alltag unserer Mitmenschen, die in soziale Not geraten sind? Straßenzeitungen berichten uns darüber. Sie sind so auch ein Beitrag zu Meinungsvielfalt und demokratischer Teilhabe, wenn wir uns nur informieren wollen. Straßenzeitungen haben aber nur dann Erfolg, wenn das Geschriebene auch gelesen wird. Es war daher wichtig, dass in diesem nun zu Ende gehenden Jahr, dem Europäischen Jahr zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Straßenzeitungen eine besondere Chance hatten: Gemeinsam mit Experten aus anderen Medien haben sie über Recherche, Reportage, Vertrieb und neue Ideen zur Gestaltung von Straßenzeitungen diskutiert. Allen Beteiligten meinen herzlichsten Dank für ihr Engagement.
Sicher freuen Sie sich auf die bevorstehenden Festtage. Aber zu Weihnachten gehört auch, dass wir ein wenig mehr Verständnis für die Sorgen und Nöte unserer Mitmenschen aufbringen. Deswegen möchte ich Sie gerade heute bitten: Kaufen Sie weiterhin diese Zeitung. Erhalten Sie dieses Medium für lokale Nachrichten, das einen besonderen Blickwinkel auf viele Themen ermöglicht. Unterstützen Sie diese wichtige und richtige Initiative zu Selbsthilfe.
Ich wünsche Ihnen und Ihren Familien, den Verkäuferinnen, den Verkäufern und den Machern der Straßenzeitungen ein gesegnetes Weihnachtsfest, Gesundheit, Glück und ein gutes neues Jahr.
Ihr Christian Wulff, im November 2010