Stadtentwicklungssenatorin Karen Pein

Wenn Bauen nicht mehr alle Probleme lösen kann

Senatorin Karen Pein in der Stadtentwicklungsbehörde. Foto: Imke Lass

Mitten in der beginnenden Baukrise trat Karen Pein (49, SPD) ihr Amt als Stadtentwicklungssenatorin an. Nach einem halben Jahr im Amt ist die studierte Stadtplanerin trotzdem zuversichtlich, ausreichend Wohnraum für alle Hamburger:innen zu schaffen – auch für wohnungslose Menschen.

Hinz&Kunzt Randnotizen

Freitags informieren wir per Mail über die Nachrichten der Woche:

Hinz&Kunzt: Wer in den vergangenen Monaten die Nachrichten verfolgt hat, wird das Gefühl nicht mehr los, dass wir uns in einer Baukrise befinden. Müssen wir befürchten, dass in
Zukunft nicht genug neue Wohnungen in Hamburg entstehen?

Karen Pein: Die Bauwirtschaft hat tatsächlich große Schwierigkeiten. Angefangen bei steigenden Kosten über Lieferengpässe bis hin zu Facharbeiter- und Materialmangel. Wir arbeiten aber auf unterschiedlichen Ebenen daran, den Neubau am Laufen zu halten. Wenn aber die Fertigstellungszahlen sinken, müssen wir es schaffen, die Menschen trotzdem mit Wohnraum zu versorgen. 

Wie kann das gelingen?

Wir machen uns derzeit Gedanken, wie wir den Bestand effektiver nutzen. In einer Studie fragen wir ab, ob Menschen den Wunsch haben, sich zu verkleinern. Wenn ja, dann gucken wir, wer sie sind, wie sie wohnen und was sie brauchen. Was müssen wir machen, damit diese Menschen in eine adäquate Wohnung wechseln, sodass wir mit der frei werdenden großen Wohnung mehr Menschen versorgen können? Es kann zum Beispiel eine Lösung sein, dass wir Mietdifferenzen ausgleichen, damit die neue Wohnung günstiger ist. Aber auch beim Neubau müssen wir schauen, wie wir effizienter werden. Unsere durchschnittliche Neubauwohnung ist 75 Quadratmeter groß. Ist das nicht vielleicht etwas opulent? Können wir den Bedarf über kluge Grundrisse besser lösen? Da arbeiten wir dran, und wir diskutieren über einen ganzen Blumenstrauß an Ideen. Andere Städte praktizieren zum Beispiel schon Wohnen für Hilfe. Dass also ältere Menschen, die auf sehr großer Fläche wohnen, Zimmer abgeben, die sie nicht brauchen, und die jemanden aufnehmen können. Statt Miete zu zahlen, liefern die neuen Mitbewohner:innen dann 15 Stunden Hilfsdienste im Monat.

Bei all diesen Ideen sind Sie auf die Zustimmung der Eigentümer:innen angewiesen. Man könnte die
Wohnungsfrage deutlich radikaler lösen, wie es derzeit die Volksinitiative „Hamburg enteignet“ vorschlägt.

Ich finde nicht, dass das der richtige Weg ist. Enteignungen schaffen keine neuen Wohnungen. Man kann vielleicht Einfluss auf die Mieten nehmen. Aber man trifft nicht die wenigen schwarzen Schafe, sondern die, die wir brauchen – beispielsweise Handwerksbetriebe, die selber bauen und vermieten und die keine 18 Euro pro Quadratmeter verlangen.

Aber die Angebotsmieten steigen. Günstig wohnen geht fast nur noch bei Genossenschaften und der Saga.

Ja, aber diese Wohnungen sind ja da. Sie machen 40 Prozent des Wohnungsmarktes aus und haben eine Durchschnittsmiete von 7 Euro den Qua­dratmeter. Natürlich haben wir eine Spannbreite, aber das ist doch in
Ordnung. Wir haben ja auch eine vielfältige Gesellschaft und unterschiedliche Portemonnaies. Es gibt durchaus Haushalte, die sich 12, 14 oder auch 16 Euro pro Quadratmeter leisten können und wollen. Unsere Bestands­abdeckung ist gut, die Durchschnittsmiete in der Stadt liegt bei gut 8,20 Euro den Quadratmeter oder etwas mehr. Unser Problem ist hin­gegen, dass wir zu wenig verfügbare freie Wohnungen haben.

Davon betroffen sind insbesondere Obdachlose und andere Menschen, die nicht aus eigener Kraft eine Wohnung finden können, die sogenannten vordringlich Wohnungssuchenden.

Sie haben recht, wir haben inzwischen 12.300 Haushalte mit einem Dringlichkeitsschein, die wir im Moment nicht versorgen können. Die leben nicht alle auf der Straße, aber zum Teil eben schon. Um diese Menschen müssen wir uns wirklich am meisten kümmern.

Nur wie?

Wir haben Kooperationsverträge mit den Genossenschaften und der Saga, die unheimlich viel leisten. Aktuell versorgen sie 2350 Haushalte pro Jahr mit einer Wohnung. Das ist eine wirkliche Hausnummer, und trotzdem wollen wir prüfen, ob diese Zielzahlen noch einmal erhöht werden können.

Für vordringlich Wohnungssuchende gibt es spezielle Sozialwohnungen mit einer sogenannten WA-Bindung. Werden nicht viel zu wenige derartige Wohnungen gebaut? Zuletzt lag die Zahl der Fertigstellung nur bei gut 100 Wohneinheiten.

Das würde ich so nicht sagen. Wir stellen Fördermittel für den Bau von 3000 Sozialwohnungen pro Jahr bereit – darunter dann 300 WA-Wohnungen. Die Wohnungsbauunternehmen können das bei den derzeitigen Rahmen­bedingungen leider nur schwerlich umsetzen. Deswegen haben wir die Förderung jetzt noch mal massiv aufgestockt. Früher hieß es, dass der geförderte Wohnungsbau nur funktioniert, wenn er über höhere Mieten quersubventioniert wird. Das ist nicht mehr der Fall. Der geförderte Wohnraum ist das stabile wirtschaftliche Produkt. Dank unserer Förderung kommen Bauträger auf Renditen von vier bis fünf Prozent. Deswegen bin ich guter Dinge, dass die Zahlen steigen.

Könnte man nicht einfach Bauherren verpflichten, mehr Wohnungen für Menschen in Not zu bauen?

Es bringt nichts, an den Quoten zu schrauben. Wie gesagt, unser Ziel ist es, das Neubauvolumen hochzu­halten. Und durch die Verständigung mit der Volksinitiative „Boden und Mieten“ werden wir ab Herbst 2024 zusätzlich 1000 Sozialwohnungen jährlich schaffen – davon 200 Wohnungen mit WA-Bindung. Insgesamt werden dann also jährlich 500 neue Wohnungen für vordringlich Wohnungssuchende gefördert.

Von dem Ziel, die Obdachlosigkeit bis 2030 zu beseitigen, scheint die Stadt weit entfernt. 

Wir machen schon viel richtig. Sie haben recht, wir haben einen wachsenden Versorgungsbedarf und kommen dem noch nicht gut genug nach. Aber es gibt eine neue Komponente durch die aktuelle Krise. Das ist der Ankauf.

Sie meinen wie im Fall der Mundsburg-Türme in Barmbek, von denen die Stadt einen angekauft hat?

Genau. Durch die Ankäufe können auch mehr vordringlich Wohnungssuchende untergebracht werden. Und die beiden städtischen Unternehmen Saga und Fördern & Wohnen prüfen weitere Ankäufe. Hinzu kommt: Durch die Klimaschutzgesetzgebung müssen jetzt Häuser modernisiert werden. Für 1000 Wohnungen im Jahr stellen wir eine Förderung bereit und bekommen dadurch weitere neue Belegungs- und Mietpreisbindungen.

Finden sich denn neben städtischen Unternehmen und sozialen Trägern überhaupt noch Bauherren, die für Obdachlose und andere Bedürftige bauen?

Die Genossenschaften sind schon zögerlicher. Für die Saga und Fördern & Wohnen haben wir in geplanten Siedlungsgebieten konkrete Grundstücke festgelegt. Aber wir haben auch andere Bauherren. In Wilhelmsburg wurden im vergangenen Jahr 700 Wohneinheiten für Baugemeinschaften ausgeschrieben. Da sind es keine riesigen Mengen, aber gut eingestreut wollen mehrere Baugemeinschaften auch einige WA-gebundene Wohnungen bauen.

Schön, dass es in Wilhelmsburg vo­ran­geht. Es gibt aber auch zahlreiche Baugrundstücke, die brachliegen. Exemplarisch steht dafür die Adler Group, die ursprünglich mal 2500 Wohnungen in Hamburg bauen wollte.

Bei der Adler Group muss man schon daran zweifeln, ob es jemals einen Umsetzungswillen gab. Und das ist das Problem. Solche Projekte helfen keiner Stadt. Allerdings haben wir sehr wenige solcher Projekte. Das gibt es andernorts viel häufiger. In Hamburg haben wir eine mit dem Standort sehr verbundene Wohnungswirtschaft, und die reinvestiert auch in Modernisierung und Neubau. Wenn man überlegt, wie viel Geld in den letzten Jahren am Immobilienmarkt investiert wurde, sind überschaubar wenige Unternehmen in Hamburg angelandet, denen es nur um Rendite ging.

Die Adler Group scheint sich dabei verzockt zu haben. Inzwischen droht dem Immobilienhändler gar die Pleite. Betroffen ist auch das Holsten-Areal, auf dem eigentlich 1300 Wohnungen gebaut werden sollten.

Es findet jetzt ein Marktgeschehen statt, das uns entgegenkommt. Adler hat verkündet, verkaufen zu wollen, und mal sehen, ob dadurch nicht doch Bewegung in die Sache kommt. Der Wunsch ist natürlich, dass die Bebauung jetzt realisiert wird.

Insgesamt wurden in Hamburg in den vergangenen Jahren mehr als 26.000 Baugenehmigungen erteilt, die noch nicht fertiggestellt wurden.

Dazu muss man sagen, dass bei 8000 davon mit dem Bau inzwischen begonnen wurde. Bei der verbleibenden Differenz untersuchen wir gerade, wa­rum die nicht an den Start gehen: Was sind das für Grundstücke? Wer sind die Bauherren? Und wir sehen uns an, wo wir helfen und Bewegung reinbringen können. Es gibt natürlich auch einzelne Vorhaben, die rein spekulativ sind. Da wird über eine Baugenehmigung ein Grundstück veredelt, um es dann weiterzuverkaufen. Vielleicht werden aber auch diese Projekte jetzt verkauft. Unsere städtischen Unternehmen stehen jedenfalls bereit. Und zugleich gibt es Bauprojekte, die umplanen von frei finanziert zu öffentlich gefördert. Weil dort eben sichere Renditen möglich sind.

Man könnte große Renditen allerdings auch durch einen Mietendeckel verhindern.

Man kann Mieten nicht einfrieren. Das ist auch nicht sinnhaft. Wir haben Verbraucherpreise und Gehälter, die weiter steigen. Solange also Mieten in Grenzen und moderat steigen, ist das in Ordnung. Probleme bereiten aktuell nur die Indexmieten.

Wer solch einen Mietvertrag unterschrieben hat, stimmt einer an die Inflation gekoppelte Mieterhöhung zu. Nach Jahren mit einer gegen null tendierenden Inflation steigen die Mieten in solchen Verträgen jetzt dramatisch.

Genau. Wir haben dazu einen Gesetzesentwurf im Bundesrat eingereicht, der die Indexmieten gedeckelt hätte, und sind an einer Stimme gescheitert. Es waren vor allem die CDU-geführten Länder dagegen. Aber ich nehme wahr, dass der Generalsekretär der CDU inzwischen auch die Indexmiete in­frage stellt. Vielleicht bewegt sich da ja noch was. 

Besonders teuer werden aktuell auch möblierte Wohnungen angeboten. Gilt für die keine Mietbegrenzung?

Bislang nicht, und es werden inzwischen Wahnsinnsmieten aufgerufen. Unser Ziel ist, dass ausgewiesen werden muss, was die Miete und was der möblierte Anteil im Mietpreis ist. Im Juni werden wir dazu einen Vorschlag zum möblierten Wohnen in den Bundesrat einbringen, um die Mieterinnen und Mieter noch stärker vor über­höhten Mieten zu schützen.

Artikel aus der Ausgabe:

Der Hitze ausgesetzt

Heiße Sommer sind für Obdachlose besonders gefährlich. Während andere Städte Sonnensegel aufhängen oder sogar Notunterkünfte eröffnen, hängt Hamburg beim Hitzeschutz hinterher. Außerdem: Warum Bettler zu unrecht aus der Innenstadt vertrieben werden und wie Stadtentwicklungssenatorin Karen Pein (SPD) ausreichend Wohnraum für alle schaffen will.

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Autor:in
Jonas Füllner
Jonas Füllner
Studium der Germanistik und Sozialwissenschaft an der Universität Hamburg. Seit 2013 bei Hinz&Kunzt - erst als Volontär und inzwischen als angestellter Redakteur.

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