Marek, Krzysztof und der 62-jährige „Papa“ machen gemeinsam Platte. Ständig haben sie Angst, vertrieben zu werden. Ihre große Hoffnung: ein paar Plätze im Container im Winternotprogramm zu bekommen.
Über Krzysztof und Marek haben wir schon in der Oktoberausgabe geschrieben. Die Bild-Zeitung hatte mehrfach über Vermüllung an der Kersten-Miles-Brücke berichtet. Auch die beiden Polen zelteten dort. Als die Polizei anrückte, mussten sie das Feld räumen. Dabei hätten sie immer aufgeräumt und nie Ärger mit Anwohnern gehabt, erzählte uns Krzysztof.
Sie zogen weiter. Nach Wilhelmsburg. Auf ihrer neuen „Platte“ statteten wir ihnen schließlich einen Besuch ab. Die Nacht war kurz für Krzysztof, Marek und ihren Kompagnon „Papa“. Als wir die drei Obdachlosen morgens gegen 9 Uhr in Wilhelmsburg besuchen, kriechen sie gerade aus ihrem Zelt hervor. Bis tief in die Nacht hätten sie Flaschen auf dem Kiez gesammelt, erzählt Krzysztof und setzt auf einem Gaskocher Kaffee auf. „Wollt ihr auch einen?“, fragt der gebürtige Pole. Und holt Becher.
Der Oktober ist noch keine zwei Wochen alt. Laut Wettervorhersage sollen die Temperaturen auf 11 Grad steigen. Sogar die Sonne soll noch hervorkommen. Hier draußen im Grünen fühlt es sich allerdings eher so an, als könnte gleich der erste Schnee fallen. Dankend nehmen wir daher das Angebot an.
Wir müssen später noch die Flaschen abgeben.– Marek
Wir sitzen unweit der Bahngleise auf klapperigen Stühlen, die die Obdachlosen vom Sperrmüll aufgelesen haben. Am Horizont sieht man einige Hochhäuser. Krzysztof und seine Freunde haben drei Zelte dicht am Gebüsch aufgestellt. Davor ein Tisch, einige Stühle, ein Gaskocher und ein großer Wasserkanister für den Abwasch. Alles sehr ordentlich.
Marek spült zwei weitere Tassen aus. Krzysztof erzählt, dass sie ihr Leergut nachts in einem Park auf St. Pauli versteckt hätten. „Die Supermärkte hätten dann ja zu“, erklärt der 50-Jährige. „Wir müssen also später noch die Flaschen abgeben.“
Kurz darauf trägt Marek die Tassen herbei. Mit beiden Händen umschlingen wir den heißen, viel zu starken Kaffee. Wach werden, auftauen. „Nachts im Zelt ist die Kälte kein Problem“, sagt Krzysztof. „Aber wenn man aus dem Zelt rauskommt …“ Er schüttelt sich, als könne er so die Kälte aus seinem Körper vertreiben.
„Ohne feste Adresse kein Dixie-Klo“
Wir sprechen ihn auf ein heikles Thema an. Toiletten? „Ein Dixi-Klo kostet 50 Euro im Monat. Ich wollte eins bestellen. Aber ohne feste Adresse liefert das keiner“, sagt Krzysztof, der zugleich betont: „Mir kackt hier keiner hin!“ Wer auf ’s Klo will, muss weit laufen. In ein fernes Waldstück oder zum Bahnhof. „Die Cafés vorne an der Brücke geben uns Wasser, aber wir können da nicht ständig auf Toilette.“ Und so gibt es einen Kompromiss: Wer nachts pinkeln muss, darf sich ins Gebüsch schlagen. Aber möglichst weit weg von den Zelten.
Das größte Zelt teilt sich Krzysztof mit Marek, „Papa“ und Michal. In den weiteren Zelten wohnen zwei Pärchen. Mit ihnen ist Michal längst aufgebrochen. Sie haben „Arbeit“, wie Marek in gebrochenem Deutsch erklärt. Krzysztof, der nach 20 Jahren in Deutschland perfekt unsere Sprache beherrscht, erläutert, was das bedeutet: „Manchmal – so wie heute – erhält Michal einen Anruf.
Die Polizei war da. Wir mussten schon wieder weg.– Krzysztof
Dann entladen und beladen sie einen Lkw.“ Immerhin kämen so am Ende des Tages etwa 40 Euro pro Person zusammen. Allerdings alles schwarz. Krzysztof und Marek verkaufen inzwischen Hinz&Kunzt. Der 62-Jährige „Papa“ bringt ihnen gelegentlich einen Kaffee oder eine Stulle. Aber nur, wenn sicher ist, dass niemand im Zelt einbrechen wird. Denn eigentlich bewacht der bärtige Pole das Zelt. Nur abends, wenn die anderen von der Arbeit kommen, hilft er mit beim Flaschensammeln.
Nach dem ersten Kaffee machen sich Krzysztof und Marek normalerweise an die Arbeit. Hinz&Kunzt verkaufen. Wenn sie ihre Zeitungen verkauft haben, fahren sie in die Innenstadt. Frühstück und Duschen gibt es in der Obdachlosenunterkunft Pik As. Anschließend holen sie bei Hinz&Kunzt neue Zeitungen.
Heute allerdings hat Krzysztof einen wichtigen Termin bei einer Sozialarbeiterin. Er will mir ihr klären, ob er Anspruch auf Arbeitslosengeld hätte. Schließlich hat der gelernte Schlosser mehr als zehn Jahre in Deutschland gearbeitet. Erst ein Arbeitsunfall an der Hand führte zur Berufsunfähigkeit. Krzysztof verlor seine Arbeit, er rutschte ab und landete schließlich auf der Straße.
Inzwischen hat er wieder neuen Mut gefasst. „Ich will nicht unter der Brücke enden“, sagt Krzysztof. Aus dem Mund eines Obdachlosen klingt das erst einmal komisch. Krzysztof aber meint das bitterernst. Als sie neben der Kersten-Miles-Brücke zelteten, hätten sie erlebt, wie andere Obdachlose unter der Brücke verwahrlosten. „Die waren morgens schon besoffen“, sagt Krzysztof und schüttelt den Kopf. Von Touristen, die vorbeikamen, mussten sie sich immer Sprüche gefallen lassen: „Geh doch mal arbeiten.“ Krzysztof ärgert das. „Ich arbeite mindestens 14 Stunden am Tag. Hart. Die Leute wissen nicht, wie das ist, wenn man die ganze Zeit auf den Beinen ist, keine Wohnung und kein Bett hat.“
Kalter Asphalt
Er würde gerne in einer Wohnung leben. „Aber wir haben kein Geld für die Kaution und können eh nicht viel Miete zahlen.“ Deswegen hoffen Krzysztof und seine Freunde auf einen der 128 Plätze in den Wohncontainern des Winternotprogramms. Dass das schwierig wird, ist Krzysztof bewusst: „Wir sind ja leider zu acht. Außerdem noch zwei Pärchen.“
Notfalls würden sie halt weiter Platte machen, sagt Marek. Dabei kommen sie auch dort nie zur Ruhe. Ständig haben sie Angst, beklaut zu werden. Auf St. Pauli wurden sie noch zudem vom Bezirksamt vertrieben.
Ein paar Tage nach unserem Besuch in Wilhelmsburg treffen wir Krzysztof, Marek und Michal bei Hinz&Kunzt wieder. „Die Polizei war da. Wir mussten schon wieder weg“, erzählt Krzysztof. Ob ihnen Hilfe angeboten wurde? Nein, sagt Krzysztof und lacht. An Hilfsangebote glaubt er längst nicht mehr. Aber wir sollen uns keine Sorgen machen. Sie hätten ein paar Kilometer weiter eine neue Fläche gefunden. Wo genau, dass sagen sie lieber nicht. Sie hoffen, dass sie niemand entdeckt. Wie lange das in einer Großstadt gut gehen kann, steht in den Sternen.