Indigene in Kolumbien

Mit Kaffeeanbau gegen Drogenkartelle

Gäste aus Kolumbien: Jaime Juspian (links im Bild) und drei weitere Mitglieder der Kaffee-Kooperative. Foto: Mauricio Bustamante
Gäste aus Kolumbien: Jaime Juspian (links im Bild) und drei weitere Mitglieder der Kaffee-Kooperative. Foto: Mauricio Bustamante
Gäste aus Kolumbien: Jaime Juspian (links im Bild) und drei weitere Mitglieder der Kaffee-Kooperative. Foto: Mauricio Bustamante

Die europäische Lust auf Kokain bedroht indigene Gemeinden in Kolumbien. Die versuchen sich zu wehren – mithilfe von Kaffee.

Hinz&Kunzt Randnotizen

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Die Veringhöfe mitten in Wilhelmsburg: Aus der geöffneten Tür des KaffeeKollektivs „Aroma Zapatista“ dringen Gesprächsfetzen auf Spanisch in den Gewerbehof. Neben dem linksalternativen Stammpublikum sind heute auch die Menschen vor Ort, um die es dem Kaffee-Kollektiv geht: Indigene aus der kolumbianischen Provinz Cauca, die als Teil einer kleinbäuerlichen Kooperative Kaffee und andere landwirtschaftliche Produkte exportieren.

Hinter der Tür führt eine etwas wackelige Holztreppe in eine Mischung aus Küche und Aufenthaltsraum, wo die Gäste aus Südamerika auf grünen Stoffsofas Platz genommen haben. Auf dem Tisch stehen Franzbrötchen und eine Melone, zum Gespräch wird erwartungsgemäß Kaffee getrunken. Anlass des dreitägigen Hamburg-Besuchs: Abnehmer:innen für Kaffee finden, Kontakte knüpfen und über die Situation in Kolumbien aufklären. Der europäische Durst auf Kaffee und das wachsende ökologische und soziale Bewusstsein hierzulande bieten nämlich eine Chance für die indigenen Kaffeeproduzierenden. Die in Europa wachsende Lust auf Kokain hingegen ist für die Gemeinden im größten Koka-Anbauland Kolumbien lebensbedrohlich.

„Wir verlieren unsere Identität.“

Jaime Juspian

„Wir verlieren unsere Identität als Indigene, wir erfahren eine kulturelle Entwurzelung“, bringt Jaime Juspian die Folgen des Kokainanbaus und die damit einhergehende Gewalt der Drogenkartelle auf den Punkt. Der Mann mit schwarzem Kurzhaarschnitt, freundlichem Lächeln und einem geschmückten Stab mit grünen und roten Bändern in der Hand ist einer der zehn Mitglieder des obersten Rates der indigenen Selbstverwaltung im Cauca (CRIC). Nicht die Gemeinden hätten mit dem Drogenanbau begonnen, er sei von außen gekommen, erklärt er. Drogenproduzent:innen hätten sich indigenes Land angeeignet – mit Gewalt oder mit Geld – und die lokale Bevölkerung für sich arbeiten lassen. Geld verdient hätten so auch manche Indigene, etwa indem sie Land verkauften. Das habe zu einer Spaltung und auch Kämpfen in den Gemeinschaften geführt. Immer wieder würden zudem bewaffnete Gruppen in die indigenen Gebiete eindringen und sich Auseinandersetzungen um ihre Vormachtstellung in der Drogenwirtschaft liefern.

Inmitten all dessen: indigene Familien und Gemeinden. „Eine weitere Konsequenz ist, dass auf viel Land nur noch Pflanzen angebaut werden, die sich zu Drogen weiterverarbeiten lassen“, sagt Jaime Juspian. „Dadurch verlieren wir unsere Ernährungsautonomie, weil andere Dinge nicht mehr angebaut werden.“

Martin Mäusezahl (rechts) von Aroma Zapatista zu Besuch bei einem der Kaffeebauern in Kolumbien. Foto: Aroma Zapatista

Seit Jahren wächst die Kokainproduktion in Kolumbien, nach UN-Schätzungen lag sie im Jahr 2023 bei 1738 Tonnen. Allein im Hamburger Hafen, dem eine Schlüsselrolle als europäisches Einfallstor zukommt, wurden vergangenes Jahr knapp 34 Tonnen Kokain sichergestellt. Dass das nicht nur an aufmerksameren Zollbeamt:innen liegt, legen Daten der Europäischen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht nahe: Sie untersucht seit 2011 das Abwasser in 104 europäischen Städten nach Drogenrückständen und stellt einen steten Zuwachs des Kokainkonsums fest. Und die Politik reagiert: Anfang des Jahres reiste Hamburgs Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) mit Amtskollegen anderer europäischer Seehafenstädte nach Kolumbien und traf sich mit Sicherheitskräften. Im Mai lud Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) Vertreter:innen europäischer und südamerikanischer Länder zur Konferenz nach Hamburg. Das Ziel: die Zusammenarbeit mit Südamerika zu verbessern und kriminelle Netzwerke zu zerschlagen. Doch ob der Kampf gegen die Drogen entgegen aller Erfahrung gewonnen werden kann, ist fraglich – der Druck auf die indigenen Gemeinden bleibt hoch.

Die reagieren ebenfalls auf die Gewalt der Drogenkartelle: Unmittelbar helfen soll die Guardia Indígena, ein unbewaffneter Selbstschutz, der bewaffnete Gruppen allein durch seine Präsenz daran hindern soll, in die indigenen Gebiete vorzudringen, erklärt Jaime Juspian. Doch genauso wie Amtsträger:innen der indigenen Selbstverwaltung CRIC würden auch Mitglieder der Guardia Indígena immer wieder Opfer von Morden. Eine weitere Antwort versucht die CRIC gemeinsam mit der Kooperative CENCOIC zu finden. Ziel ist es, die Wirtschaft der indigenen Gemeinden zu fördern – und somit eine Alternative zum lukrativen Kokaanbau zu schaffen. Knapp 3000 kleinbäuerliche Familien sind derzeit in der Kooperative zusammengeschlossen, sagt Hernan Castellanos, der die Kaffeeabteilung der CENCOIC koordiniert. Sie kauft den Kleinbäuer:innen, die sich alle einer nachhaltigen Landwirtschaft verschrieben haben, den Kaffee ab, bestimmt Sorten und Qualität der Bohnen und organisiert den Export – zum Beispiel zum Wilhelmsburger Kollektiv.

Von der EU und europäischen Regierungen wünscht sich Castellanos’ Kollege Wilfer Zagal vor allem, als Indigene in neue Handelsvereinbarungen miteinbezogen zu werden. „Viele Gesetze und Initiativen werden vom Schreibtisch aus gemacht, das ist etwas ganz anderes, als die Dinge vor Ort zu erleben.“ So gilt ab 2025 eine EU-Verordnung zur Einhaltung entwaldungsfreier Lieferketten – Kaffee aus gerodeten Gebieten darf dann nicht mehr importiert werden. Grundsätzlich befürworten Indigene und Kaffeeimporteure wie das Wilhelmsburger Kollektiv die Verordnung, sie fürchten aber bürokratische Hürden, die für viele der Kleinbauern nicht einzuhalten sind. Etwa wenn es um oft teure und komplizierte Nachweispflichten geht. Im schlimmsten Fall, so die Sorge, kann ihr Kaffee künftig nicht mehr in EU-Länder importiert werden – obwohl die Bäuer:innen ihren Kaffee nach höchsten ökologischen und nachhaltigen Standards anbauen. Die Verantwortlichen aus Europa sollten sich deshalb vor Ort informieren und die lokale Wirtschaft unterstützen, findet Wilfer Zagal: „Das wäre etwas anderes als die klassische Form der Entwicklungspolitik, in der die EU von oben herab sagt, wie etwas gemacht werden soll.“

Die Zeit für eine solche Zusammenarbeit ist günstig. Im Jahr 2022 kam der linke Präsident Gustavo Pedro in Kolumbien an die Macht. Zwar beziehe auch der die Indigenen nicht ausreichend in seine Politik mit ein, und die rechte Kongressmehrheit verhindere viele Reformen, die der Landbevölkerung zugutekommen könnten. Dennoch sei bei ihm ein echter Wille zur Veränderung zu erkennen, sagt Jaime Juspian. Während er spricht, spielt er mit den Fingern an dem Holzstab, der ihn als Mitglied des obersten Rates des CRIC erkennbar macht. Die farbigen Bänder tragen aber noch eine weitere Bedeutung in sich: „Das Rot steht für den Kampf für das Leben, den wir führen, und das Blut, das dabei vergossen wird. Das Grün steht für die Hoffnung für und in die neuen Generationen, dass ein ruhiges Leben in die Gemeinden einkehrt, dass die Gemeinden weiterbestehen können und dass es Frieden und soziale Gerechtigkeit gibt.“

Artikel aus der Ausgabe:

Guten Appetit!

Wie der Klimawandel dem Obstanbau schadet – ein Besuch im Alten Land. Außerdem im Schwerpunkt Landwirtschaft: Wie Saisonarbeitskräfte ausgebeutet werden und wie Indigene in Kolumbien gegen Drogenkartelle kämpfen – mit dem Anbau von Kaffee.

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Autor:in
Lukas Gilbert
Lukas Gilbert
Seit 2019 bei Hinz&Kunzt. Zunächst als Volontär, seit September 2021 als Redakteur.

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