Jugendparlament :
Die Macht, etwas zu verändern

Aktiv in Hamburgs einzigem Jugendparlament (von links): Timo-Dean, Bianca, Rahja und Melissa. Foto: Dmitrij Leltschuk

Im Jugendparlament Horn engagieren sich Heranwachsende für die Interessen von Kindern und Jugendlichen – seit fast 25 Jahren.

Hinz&Kunzt Randnotizen

Freitags informieren wir per Mail über die Nachrichten der Woche:

Es geht gerade um einen Antrag der Pfadfinder:innengruppe, deren Arbeit mit 3882,06 Euro zu fördern, da kann der Gast nicht mehr schweigen: „Ich wollte mal was fragen!“, sagt die 19-Jährige, die heute erfahren will, was das Jugendparlament (Jupa) Horn eigentlich macht. „Woher habt ihr das ganze Geld?“ Die Parlamentsmitglieder lachen herzlich. Und erklären, dass ihr Etat alle zwei Jahre vom Jugendhilfeausschuss der Bezirksversammlung Mitte bewilligt wird. Und dass sie dann über dieses Geld – rund 12.500 Euro pro Jahr – frei entscheiden dürfen.

An diesem Dienstagabend Mitte Februar trifft sich das Jupa in einem Jugendtreff. Während sich im Haupt-raum Heranwachsende im Tischtennis oder beim Kickern messen, tagt das Parlament in einem Zimmer, das Sozialarbeitende sonst für Besprechungen nutzen. Sechs Mitglieder haben es sich mit Obst und Saft gemütlich gemacht: Vier Frauen und zwei Männer, alle über 20 und schon lange dabei. Vergangenes Jahr seien sie noch 15 gewesen, erzählt Timo-Dean Stöwe, ein 23-jähriger Sozialarbeitsstudent mit leiser Stimme. Doch dann hätten viele die Stadt für Studium oder Job verlassen oder seien zu alt geworden – bei
27 Jahren liegt die Grenze. 

Und dann war da noch Corona. Kaum persönliche Treffen, keine Veranstaltungen. „Das war auch für uns eine schwere Zeit“, sagt Rahja Malzahn. Bei der 22-Jährigen führte der Weg zur Politik über das Vergnügen: Eine vom Jupa organisierte Wochenendreise an die Ostsee weckte das Interesse der damaligen Zehntklässlerin. Sie habe sich sofort gut mit den Leuten verstanden. „Die haben mir dann erzählt, was sie alles gemacht haben.“ Etwa der „Time Tunnel“: Angeschoben vom Jugendparlament verwandelten professionelle Graffiti-Sprayer einen heruntergekommenen Fußgängertunnel in ein öffentliches Museum, das in bunten Bildern Stadtteilgeschichte erzählt. Rahja war beeindruckt – und blieb dabei. „Geplant war das nicht“, erinnert sich die Soziologie-Studentin. „Aber es macht riesigen Spaß zu erleben, dass man etwas bewirken kann.“

Anders als in herkömmlichen Parlamenten spielt Parteipolitik im Jupa keine Rolle. Mitmachen kann jede:r, der oder die dreimal an einer der monatlichen Sitzungen teilgenommen hat – wenn die Mehrheit des Parlaments dem zustimmt. Das ist auch ein wirksamer Schutz vor Unterwanderung durch Feinde der Demokratie, meint Timo-Dean: „Wir entscheiden selbst, wen wir reinlassen.“ Sogar eine Satzung gibt es, eine Geschäftsordnung und einen Beirat, der über deren Einhaltung wacht.

Für die kommenden Monate haben sich die Parlamentarier:innen einiges vorgenommen. Im April steigt wieder der „Poetry Slam“, eine Jupa-Veranstaltung, die mehr als 100 Menschen anzieht. Die sei wichtig, weil es nicht viele Kulturangebote in Horn gebe – und viele im Stadtteil kein Geld für teure Museumsbesuche hätten. Im Sommer wollen sie gemeinsam mit der Stadtteilschule ein Sportfest veranstalten, „auch um jüngere Mitglieder zu gewinnen“, sagt Rahja.

Schon vor vier Jahren hat das Jupa Kinder und Jugendliche auf einem Stadtteilfest befragt, was ihnen fehlt. Ergebnis: Die Heranwachsenden vermissen vor allem Bewegungsmöglichkeiten – und einen überdachten Ort, an dem sie sich jederzeit treffen können. Bei diesem Anliegen sind die Parlamentarier:innen allerdings an Grenzen gestoßen. Schwierig umzusetzen, habe die Stadt mitgeteilt, auch weil Obdachlose den geschützten Platz für sich entdecken könnten. Timo-Dean kann darüber nur den Kopf schütteln: „Ich verstehe das nicht. Obdachlose sind Menschen wie alle anderen auch.“

Immerhin, manche Probleme lassen sich schnell lösen: Die Pfad­fin­der:innengruppe, so der einstimmige Beschluss, bekommt zunächst 614,47 Euro zugesagt, für dringend benötigte Seile und stapelbare Kisten. Zudem will das Jupa bei der Suche nach Fördergeldern helfen. Eine Gruppe Musi­ker:innen aus dem Haus der Jugend kann mit gut 1000 Euro für neue In­­strumente rechnen. Dann fällt noch eine zukunftsweisende Entscheidung: Gemeinsam mit der Diakonie wird eine Jupa-Delegation nach Berlin reisen, um sich die Arbeit der dortigen Kinder- und Jugendbüros anzusehen. Die gibt es in jedem Bezirk der Hauptstadt – sogar mit eigenem Büro.

Artikel aus der Ausgabe:

Housing First: Jens hat endlich ein Zuhause

Wohnungen für Obdachlose mit „Housing First“ – endlich auch in Hamburg! Passend dazu im Magazin: Wie Grundrechte das Wohnen schützen. Im Schwerpunkt: Wieso Demokratien weltweit unter Druck stehen, warum Hamburgs Stadteilbeiräte diverser werden sollen und ob man Miteinander reden in Workshops lernen kann. Außerdem: Wieso die Polizei härter gegen Obdachlose in der Innenstadt vorgeht.

Ausgabe ansehen
Autor:in
Ulrich Jonas
Ulrich Jonas
Ulrich Jonas schreibt seit vielen Jahren für Hinz&Kunzt - seit 2022 als angestellter Redakteur.

Weitere Artikel zum Thema