Der Allgemeine Sozialdienst (ASD) in den Jugendämtern berät Eltern in Erziehungsfragen und kümmert sich um verwahrloste Kinder. Die Zahl der Fälle steigt kontinuierlich und mittlerweile sind die Mitarbeiter selbst hoffnungslos überfordert.
Erneut steht in Hamburg eine Mutter vor Gericht, die ihre Kinder sträflich vernachlässigt haben soll – trotz Hilfen vom Jugendamt. Nina R. (31) soll ihre Töchter im Alter von 2 bis 12 Jahren eine Woche unbeaufsichtigt in einer völlig vermüllten Wohnung zurückgelassen haben. Die Kinder wurden von der Großmutter aus ihrer Notlage befreit.
Der Allgemeine Soziale Dienst, kurz ASD, ist Anlaufstelle bei den Jugendämtern in den Bezirken. Er greift u.a. bei Verdacht auf Kindswohlgefährdung ein. Ein ASD-Mitarbeiter kümmert sich im Schnitt um 50 bis 80 Fälle jährlich. Hinter jedem Fall steht ein Einzelschicksal. Laut Kinderschutzbericht 2010 wurde der Sozialdienst vergangenes Jahr 29.000 Mal um Hilfe gerufen. Das sind 1.000 Fälle mehr als im Jahr zuvor. Die Zahlen steigen seit Jahren kontinuierlich. 2008 gab es erst rund 26.000 Anfragen.
Wie dringend die Hilfe in jedem einzelnen Fall ist, zeigt der Fall Lara Mia aus dem Jahr 2009: Das neun Monate alte Mädchen aus Wilhelmsburg wurde tot in ihrem Kinderbettchen in Wilhelmsburg gefunden – bis auf die Knochen abgemagert. Lara Mias Familie war in Obhut eines freien Jugendhilfe-Trägers. Mutter und Ex-Freund wurden wegen gefährlicher Körperverletzung und Verletzung der Fürsorge- und Erziehungspflicht zu zwei Jahren auf Bewährung verurteilt. Die Betreuerin musste eine Geldstrafe von 2.700 Euro zahlen. Der Prozess wird im September wegen Rechtsfehlern neu aufgerollt.
Am Haupt-Problem ändert das nichts: Es fehlt vor allem an Zeit. „Wie soll ein Mitarbeiter mit 80 Fällen noch die einzelnen Menschen ordentlich kennenlernen und wahrnehmen können, mit denen er arbeitet?“, fragt Florian Wolff, 2. Landesvorsitzender des Deutschen Berufsverband für soziale Arbeit (DBSH). Die Sozialarbeiter müssten Vertrauen aufbauen. Das kostet Zeit. Die fehlt oftmals. Immer seltener werden die Hausbesuche. Das hat mit dem gestiegenen Dokumentationsaufwand zu tun. Die Gewerkschaft ver.di spricht von einem Verhältnis 70 % Büroarbeit gegenüber 30 % Kontaktaufnahme.
Iris Mainz arbeitet beim ASD im Bezirk Altona. „Es müssen wahrscheinlich erst wieder Kinder in der Eistruhe landen, bis etwas passiert“, sagt sie. Sie spielt damit auf den Tod des 2-jährigens Kevins aus Bremen an, dessen Leiche im Kühlschrank seines Vaters gefunden wurde. Dringend würden neue Stellen benötigt, doch: „Die Stellenbesetzung wird blockiert. Erst gab es jahrelang keine dringend benötigten neuen Stellen und jetzt werden sie zu so schlechten Bedingungen ausgeschrieben, dass wir Probleme haben, sie neu zu besetzen.“
Konkret: Ein Berufsanfänger im ASD verdient im Schnitt 1.500 Euro netto im Monat. Verband und Gewerkschaften fordern 1.651 Euro, also nur 150 Euro mehr. Im Hamburger Umland verdienen Berufsanfänger besser: rund 300 Euro brutto mehr. Mainz: „Da ist doch klar, dass die sich dann dort und nicht in Hamburg bewerben.“ Florian Wolff bestätigt die Erfahrung: „Nachbesetzungen dauern oft Monate.“ Daher würden sich hautsächlich Berufsanfänger auf diese Stellen bewerben. Die sind dem immensen Druck jedoch noch weniger gewachsen. „Viele streichen bereits nach kurzer Zeit die Segel und gehen zu freien Trägern. Dort haben sie nicht diesen Druck und kassieren zudem ein höheres Gehalt.“
Die Finanzbehörde verweist bei der Forderung nach mehr Geld auf die Bezirke. Behörden-Sprecher Stricker: „Wir sind dafür leider nicht zuständig.“ ASDlerin Mainz : „Niemand will verantwortlich sein, keiner fühlt sich zuständig. Wir werden wie ein Ping-Pong-Ball hin- und hergeschoben.“ Die Finanzbehörde hat einen Kompromissvorschlag vorgelegt: Demnach sollen 25 % der Mitarbeiter im ASD bald mehr Gehalt bekommen. „Das ist peinlich“, so Mainz. Verbands-Vize Wolff bezeichnet den Vorschlag als „blanken Hohn“. Von der Regelung würden in erster Linie stellvertretende Abteilungsleiter oder Teamleiter profitieren. Darüber hinaus sollen „besonders verdiente Mitarbeiter“ in den Genuss des höheren Gehalts kommen. „Wie soll das denn gehen, frage nicht nur ich mich?“, so Wolff. Er befürchtet, dass durch eine Bevorzugung Einzelner „die ohnehin schon große Unzufriedenheit“ noch größer wird und Teams, die gut miteinander arbeiten, gespalten werden.
Stattdessen müsste die Anzahl der Fälle, die jeder einzelne Mitarbeiter zu betreuen hat, auf 27 bis 30 im Jahr gedeckelt werden. In Düsseldorf habe man damit schon gute Erfahrungen gemacht, so Wolff. Dort gibt es eine Falldeckelung „und die Mitarbeiter erzielen tolle Erfolge damit.“ Die Familien würden entsprechend ihren Ressourcen gefördert, die Mitarbeiter seien zufriedener und die Stadt spare auch noch Geld, „weil die Hilfen gezielter eingesetzt und auch früher beendet werden können.“
Text+Fotos: Simone Deckner