Joja Wendt ist einer der erfolgreichsten Pianisten Deutschlands und tourt gerade mit seiner multimedialen Musikshow „Im Zeichen der Lyra“. Ausgerechnet der Mann, der immer gut gelaunt und witzig daherkommt, sagt im Gespräch dann diesen Satz: „Es ist quasi meine Geschichte, ich bin selbst rausgeworfen worden aus der Familie der Musiker.“
(aus Hinz&Kunzt 220/Juni 2011)
Er ist ein Verrückter, was die Musik anbelangt. Fast einer, den man heute als „Nerd“ bezeichnen würde – wie diese Kids, die nur noch mit und für ihren Computer leben. Schon als Kind hat es Joja Wendt gepackt. Spätestens. Denn seine Mutter, eine Sängerin, hat schon für ihn gesungen, „da war ich noch im Mutterleib“, sagt der 46-Jährige. „Und mit Gesang verbinde ich bis heute Mütterlichkeit und Geborgenheit.“
Als er vier war, bekam seine ältere Schwester Klavierunterricht, „und ich tat so, als könne ich das auch – und improvisierte vor mich hin“.
Joja und seine Schwester erzählten sich auch gerne Geschichten und vertonten sie dann am Klavier, „die tiefen Töne für den Bären, der durch das Unterholz tapst, und die hohen, schnell gespielt für die Vögelchen, die zwitschern“. Klavier, das war einfach nur Spaß. „Wenn ich von der Schule kam, musste ich erst mal ans Klavier“, sagt er. „Das macht meine Tochter übrigens heute genauso.“
Manchmal, da hat er es allerdings übertrieben. Schon früh machte er atonale (manche würden es Katzenmusik nennen!) und für jeden anderen stinklangweilige, aber schwierige Übungen. „Sogar mein Lehrer sagte: ‚Jetzt drehst du völlig durch!‘ Aber ich wollte die Probleme, die mir später bei Stücken begegnen könnten, vorwegnehmen.“
Der Gipfel: Weil er zu Hause nicht auch noch nachts spielen durfte, ließ er sich öfter vom Hausmeister in der Schule einschließen und übte dort. Einmal war er so in seine Musik vertieft, dass er die eigene Abi-Feier vergaß. So richtig schlimm fand er es nicht. Die Musik hat bei ihm so gut wie keine Konkurrenz: „Es macht so viel Spaß, Neues zu entdecken, das ist wie ein spannendes Buch, bei dem man wissen will, wie es weitergeht. Das ist eine ganze Fantasiewelt, die sich einem eröffnet.“
Ganz überzeugend klingt es daher nicht, wenn er behauptet, er könne sich mit dem kleinen Mädchen identifizieren, das keine Lust mehr auf Klavierunterricht hat. Und das den Rahmen bildet für sein multimediales Projekt „Im Zeichen der Lyra“. Mit zwölf Jahren habe er auch so eine Phase gehabt, sagt er. Da hat er mit dem Klavierunterricht aufgehört. „Wenn man in die Pubertät kommt, sind andere Sachen wichtiger“, sagt er. Joja hat trotzdem weitergespielt, halt für sich. Später bekam er einen Klavierlehrer, der ihn über Geschichten, die er über Musik erzählt hat, begeistert hat.
Aber noch mal zu „Im Zeichen der Lyra“: Der Großvater erzählt dem kleinen Mädchen eine Geschichte: Die Orgel ist da eine alte, strenge Königin, die in einem steinernen Turm wohnt und keine Verstöße gegen die Regeln duldet. Das Klavier kann aber nicht an sich halten, es muss einfach mal die Grenzen sprengen und improvisieren. Die Strafe folgt auf dem Fuße: Die Orgelpfeifen blasen das Klavier aus der Instrumentenfamilie. Das arme Klavier begibt sich also auf eine Reise durch alle Stile und Epochen – und findet am Ende seinen eigenen Weg. Joja Wendt hat sich diese Geschichte selbst ausgedacht und erst im Nachhinein festgestellt: „Das ist ja meine Geschichte: Ich wurde auch aus der Musikerfamilie rausgeworfen.“
Das klingt merkwürdig bei einem wie ihm, der immer mit allen konnte und kann. Mit 20 wurde er von Joe Cocker entdeckt, der ihn gleich für seine Tour verpflichtete. Lange arbeitete er mit Soulröhre Inga Rumpf, ist mit Stefan Gwildis dicke, spielte mit Blueslegende Abi Wallenstein, mit Jazzer Vince Weber. Wo, um Himmels willen, soll er denn ausgestoßen gewesen sein?
Beliebt war er schon, räumt er ein. „Aber als ich anfing, Jazz zu studieren, sagten viele: Was soll das denn? Die Jazzer sagten wiederum: Du spielst Boogie-Woogie, das ist doch für den kleinen Mann und für die Kneipe. Die Klassiker sagten: Was, der Jazzer will jetzt Klassik spielen, was ist da denn los?“
Trotzdem oder gerade deshalb „habe ich immer die Musik gespielt, die mir Spaß gemacht hat“. Dass er nie ganz dazugehört hat, hatte noch einen anderen Grund: „Ich war ja der Einzige, der nicht gesoffen hat“, sagt Joja Wendt. „Da herrschte so ein gewisser Gruppenzwang. Aber ich vertrag das einfach nicht.“ Dabei war und ist er kein Kostverächter. „Ich genieß das sehr, mir mal die Lampen auszuschießen, aber wichtig ist, dass man das nicht zum Ritual macht. Das zehrt an der Substanz.“
Auch der lockere Lebensstil der Musikszene war nicht seins. „Ich war bei den Mädels als prüde verschrien, weil ich nicht mitgegangen bin. Ich hatte schließlich eine Freundin!“
Wie das Klavier im „Zeichen der Lyra“ hat er eine Lehre aus all dem gezogen. „Ich habe mir nie reinquatschen lassen und immer mein Ding gemacht.“
Er hat es nicht bereut, sich nicht festgelegt zu haben auf eine Stilrichtung. Und er hat festgestellt: „Was mir gefällt, gefällt auch dem Publikum.“ Er tritt in großen Konzertsälen auf oder in Fernsehsendungen wie „Wetten, dass..?“ Oder im Kinderkanal in „Dein Song“. Dann plant er wieder was in kleinen Klubs oder macht ein Spaß-Programm mit Stefan Gwildis und Rolf Claussen unter dem Namen „Söhne Hamburgs“.
Nach all den Jahren sagt er immer noch: „Ich brenne für die Musik“ – und es hört sich bei ihm kein bisschen pathetisch an. Halt eine Feststellung.
Wenn er etwas macht, dann richtig. Mit Otto Waalkes hat er die Filmmusik für die „7 Zwerge“ gemacht. Den Otto mag er sowieso so gerne: „Der hat unheimlich viel Fantasie und ist auch ein Mann mit Tiefgang.“ Wochenlang haben die beiden zusammen gearbeitet. „Otto hatte eine Vision, zum Teil hat er die Melodien vorgesungen oder vorgesummt, und ich habe es aufgenommen und weiterentwickelt“, sagt der Komponist. Jeden Tag war er bei Otto. „Sodass meine Frau schon sagte: ‚Dann heirate doch den Otto!‘“
Seine Frau ist Kummer gewöhnt mit ihm. Wobei sie das mit Otto nicht ganz ernst gemeint haben kann. Was ihr mit Joja blühen würde, wusste sie spätestens nach den Flitterwochen. Die verbrachte das Paar wildromantisch und vier Wochen lang auf einer Trauminsel im südchinesischen Meer. Aber der Frischvermählte wurde nervös und gereizt. Der Grund: Weit und breit war kein Klavier in Sicht. Richtig entspannen konnte er erst, als sie nach stundenlangen Fußmärschen durch den Dschungel am
anderen Ende der Insel ein Klavier gefunden hatten und er täglich spielen konnte – „ein paar Stunden lang“.
Text: Birgit Müller
Foto: Daniel Cramer