Warum Schüler, Eltern und Lehrer für den Erhalt ihrer Oberstufe kämpfen
(aus Hinz&Kunzt 145/März 2005)
Kürzen, schließen, zusammenlegen – Hamburgs Schullandschaft ist im Umbruch. Die Otto-Hahn-Gesamtschule in Jenfeld zum Beispiel soll ihre Oberstufe aufgeben. Was bedeutet das für die Schüler? Hinz & Kunzt hat sich beim Tag der offenen Tür an der Schule umgesehen.
„Ist der nicht giftig?“, fragt ein Junge. Mit großen Augen schaut er auf das Tier, das über Susanne Krohns Handfläche krabbelt, Scheren und Schwanz erhoben. Doch, das Tier ist giftig. Es ist ein Kaiserskorpion. Er könnte jederzeit zustechen. Doch Abiturientin Susanne Krohn, die an der integrierten Gesamtschule Otto Hahn in Jenfeld den Schulzoo leitet, kennt ihre Pappenheimer. Behutsam setzt sie den Skorpion wieder in sein Terrarium.
Der Schulzoo ist nicht das einzige Projekt, bei dem ältere Schüler sich um jüngere kümmern. Derzeit bietet ein älterer Junge Karate an; eine Mitschülerin leitet einen Trampolin-Kurs; jeweils mit Unterstützung der Lehrer, versteht sich. Es gehört zum Konzept der Otto-Hahn-Schule, dass sich Schüler klassenübergreifend begegnen, um voneinander zu lernen.
Umso größer war daher der Schock, als Lehrer, Schüler und Eltern im Hamburger Schulentwicklungsplan blätterten. Schwarz auf weiß stand dort: „Aufgabe der Sekundarstufe II“. Soll heißen: Ab diesem Herbst ist Schluss mit der Oberstufe. Nur die jetzigen Oberstufenschüler wer-den bis zum Abi bleiben können. Für alle anderen ist dieser Weg verbaut. Sie müssen auf eine andere Schule wechseln.
„Ich hatte hier weinende Schüler, wütende Eltern und fassungslose Lehrer“, erzählt Schulleiterin Renate Wiegandt. Schüler und Eltern waren es, die die deprimierten Lehrer wachrüttelten. Man demonstrierte, blockierte Kreuzungen; die Zeitung war da, das Fernsehen.
Den Protestierenden geht es nicht nur um ihre Schule, sondern auch um ihren Stadtteil. Jenfeld ist vielleicht kein sozialer Brennpunkt, aber sichtbar ein Stadtteil mit Problemen. Einerseits verschlafen wirkende Seiten-straßen mit schnuckeligen Einfamilienhäusern; andererseits triste Hochhausbauten, gerade entlang der Jenfelder Allee. 28.000 Menschen wohnen hier, mehr als 20 Prozent Kinder. Jeder vierte Jenfelder erhält Leistungen nach Hartz IV. Die Jenfelder Bücherhalle muss ihr Angebot deutlich reduzieren; das nächstgelegene Schwimmbad soll geschlossen werden. Das Gefühl macht sich breit, doch im falschen Teil der Stadt gelandet zu sein. Auch wenn man hier im Grunde gerne wohnt, viel Grün und nicht ein recht solides Angebot an Schulen. Bisher jedenfalls.
Die Otto-Hahn-Gesamtschule ging vor 35 Jahren aus einem Gymnasium hervor – zu einer Zeit, als Gesamtschulen noch der Geruch einer sozialistischen Einheitsschule anhaftete. Vieles wurde im Laufe der Jahre erprobt, Bewährtes behalten. Und immer wieder fühlte man sich darin bestätigt, dass dieser Schultyp Durchlässigkeit garantiert: nicht nur von oben nach unten, sondern noch mehr von unten nach oben. „Viele Schüler entwickeln sich erst in Klasse 8, 9 oder 10 so, dass sie einen höherwertigen Bildungsabschluss erreichen können; und sie legen plötzlich ein Tempo vor, das man ihnen vorher nie zugetraut hätte“, erklärt Schulleiterin Wiegandt.
Hannah aus der Zehnten macht sich Sorgen: „Ich wüsste nicht, auf welche Schule ich jetzt wechseln sollte. Es ist nicht einfach, jetzt aufs Gymnasium zu wechseln.“ Laura kam extra auf die Otto-Hahn-Schule, „weil es auf dem Gymnasium nicht so gut gelaufen ist“. Von gut 100 Zehntklässlern sind es diesmal wohl 35, die in die Oberstufe wechseln werden. Bei zehn bis 15 weiteren Schülern ist es noch möglich – wenn sie sich anstrengen. Rechnet man zusammen, dürften zwei Klassen mit 22 Schülern voll werden, die von der Behörde geforderte Zweizügigkeit wäre erreicht. Und seit drei Jahren steigen die Schülerzahlen sogar beträchtlich an. Zuletzt meldeten sich 165 Schüler für die fünften Klassen an. Wenn jeder Dritte später auf die Oberstufe wechselt (so die bisherige Quote), ist Zweizügigkeit also auch in Zukunft locker zu schaffen. Zumal in Sichtweite der Schule 800 neue Wohnungen entstehen. Gutverdie-nende möchte man anziehen, der besseren Durchmischung wegen, möglichst mit Kindern. Die wiederum Schulen brauchen werden.
Klein beigeben wird man also nicht. Die jetzigen Zehntklässler werden sich anmelden, und die Schule wird ihre Anmeldungen entgegenneh-men. In den Startlöchern stehen auch die Eltern: Sie haben Geld ge-sammelt und einen Anwalt engagiert, um notfalls zu klagen.
Doch vielleicht muss es so weit nicht kommen. In der allerneuesten Fassung des Schulentwicklungsplans findet sich ein erstes Eingeständnis: Sollten in Zukunft die Anmeldezahlen für die Oberstufe steigen, will man diese wieder einrichten. Ein Zeichen des Rückzugs? Oder das Vorspiel zu einem Schildbürgerstreich: Man schließt die Oberstufe, um später alles wieder rückgängig zu machen? Lehrer, Eltern und Schüler der Otto-Hahn-Gesamtschule sehen den nächsten Wochen gespannt entgegen.