Hinz&Kunzt-Stadtrundgänger Uwe

„Weg sein war eine gute Strategie“

Hinz&Künztler Uwe freut sich auf die neue Herausforderung. Foto: Mauricio Bustamante
Hinz&Künztler Uwe freut sich auf die neue Herausforderung. Foto: Mauricio Bustamante
Hinz&Künztler Uwe freut sich auf die neue Herausforderung. Foto: Mauricio Bustamante

Hinz&Künztler Uwe ist neuer Stadtrundgänger zu Orten, die in keinem Reiseführer stehen. Und nicht nur das: Er hält auch Vorträge vor Schulklassen und Jugendgruppen.

Hinz&Kunzt Randnotizen

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Uwe ist einer, dem man gerne zuhört. Mit seiner sonoren Stimme würde sich der Hinz&Künztler auch im Radio oder als Synchronstimme von Bruce Willis gut machen. Das hilft bestimmt in seinem neuen Job. Denn als Hinz&Kunzt-Stadtrundgänger und bei Vorträgen muss der 57-Jährige sprechen und überzeugen.

Dabei müsste Uwe eigentlich gar nicht mehr arbeiten. „Mir wäre schon 2015 eine Erwerbsminderungsrente bewilligt worden“, so der Hinz&Künztler. „Aber das wollte ich nicht. Ich wollte nicht ausgemustert werden.“ Stattdessen stieg er vor neun Jahren beim damals gerade frisch gegründeten Projekt „Spende dein Pfand!“ am Hamburger Flughafen ein. Als Leergutbeauftragter sorgt Uwe seitdem gemeinsam mit drei Kollegen dafür, dass die Flaschen, die nicht mit ins Flugzeug genommen werden dürfen, gesammelt und wiederverwertet werden. „Das macht mir Spaß, aber langsam wurde es Zeit für etwas Neues“, sagt Uwe. „Ich wollte wieder mehr mit Menschen zu tun haben und mit dem Kopf arbeiten.“

„Ich war nie ein Drückeberger.“

Hinz&Künztler Uwe

Seinen Kopf hat Uwe schon als Kind im Rheinland gern genutzt. „Ich hatte gute Noten und bin sehr gern in die Schule gegangen.“ Er mochte die Schule allerdings auch, weil er dann nicht zu Hause sein musste. „Weg sein war eine gute Strategie.“ Uwes Eltern waren beide alkoholkrank, sagt er. Ermutigung, Liebe und Anerkennung habe er nicht erfahren. Der Vater sei gewalttätig gewesen und habe Uwe, dessen Geschwister und Mutter geschlagen. „Wenn er Schnaps getrunken hatte, veränderte sich sein Wesen.“

Uwes Lehrer empfiehlt, dass er die weiterführende Schule besucht. Doch seine Eltern sind dagegen. Also macht Uwe nach dem Hauptschulabschluss eine Lehre als Fleischer und zieht mit seiner Freundin in eine eigene Wohnung. Gut geht es ihm nicht: Er fühlt sich oft niedergeschlagen und unglücklich. Als er 23 Jahre alt ist, scheitert seine Beziehung und Uwe fährt nach Hamburg – weg vom Rheinland. „Ich hatte eine kleine Tasche und 10 Mark dabei. Am Anfang war die große Stadt ein ganz schöner Kulturschock. Und ich kannte niemanden.“ Er kommt in einer Einrichtung für Obdachlose unter. „Ich war psychisch völlig am Ende. Ich habe nicht einmal Arbeitslosengeld beantragt, wusste nicht, wie das geht.“

Es folgen Jahre, in denen es für Uwe auf und ab geht. Er nimmt Jobs an, die über die Tagesjobbörse des Arbeitsamtes vergeben werden – zum Beispiel im Hafen. „Ich war nie ein Drückeberger und wollte auch nicht kriminell werden.“ Doch 2003 ist er am Tiefpunkt. „Ich war verwahrlost und resigniert.“ Uwe verliert die Wohnung, die er inzwischen gefunden hatte, und landet auf der Straße. Häufig verbringt er die Nacht in der U-Bahn. „Dabei wurde ich natürlich öfter beim Schwarzfahren erwischt. Die Geldstrafe konnte ich nicht zahlen. Deswegen musste ich sogar zweimal ins Gefängnis.“ Er lebt vom Flaschensammeln und gelegentlichen Jobs, bis ihm 2007 ein Kumpel Hinz&Kunzt empfiehlt. Uwe wird Verkäufer und kann durch das Straßenmagazin auch wieder in eine eigene Wohnung ziehen. „Job und Wohnung bekam ich am gleichen Tag: Das war wie ein Sechser im Lotto.“

Seitdem geht es bei Uwe stetig bergauf. Er mag seine Arbeit und die Kolleg:innen bei Hinz&Kunzt, sein Hobby ist Tischtennis spielen. Und er möchte, dass andere von seiner Geschichte profitieren. „Ich will den Menschen erzählen, wie leicht man auf der Straße landen kann. Und ich will, dass Hinz&Kunzt-Verkäufer mit anderen Augen gesehen werden.“ Dabei hilft ihm bestimmt auch seine markante Stimme.

Artikel aus der Ausgabe:
Ausgabe 384

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Schwerpunkt Wahlen: Wie wollen die Parteien in Bürgerschaft und Bundestag Wohnungslosigkeit und Armut bekämpfen? Außerdem: Baulücken in Hamburg, Reisen für arme Menschen mit schweren Behinderungen und 100 Jahre alte Nachrichten.

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Autor:in
Sybille Arendt
Sybille Arendt
Sybille Arendt ist seit 1999 dabei - in der Öffentlichkeitsarbeit und der Redaktion.

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