In einer schicken Bar auf dem „Grünen Bunker“ feiert die „barner 16“ ihre After-Work-Disco. Die Inklusion gelingt – auch wenn nicht alles rundläuft.
Die Sonne sinkt hinter das Millerntor-Stadion, ein Espresso Martini schiebt sich ins Panorama und – klick! Ein perfektes Instagram-Bild. Auf der Galerie der Bunker-Bar „Karo&Paul“ lehnen sich die Gäste in ihre Clubsessel, blicken über St. Pauli und nippen an ihren Cocktails.
Unterdessen Jubel auf der Tanzfläche, als Holger „Zetzschmo“ Zetzsche, DJ der „barner 16 TanzBar“, den nächsten Song anspielt: „Bass, Bass, wir brauchen Bass!“ Arme fliegen in die Luft, ein dichtes Knäuel Menschen, einige von ihnen im Rollstuhl, hüpft, wippt und headbangt im Takt. Heidi Fischer, eine zierliche Frau mit einer Umhängetasche voller Tütchen und Klarsichthüllen, ist noch nicht ganz zufrieden. Etwas mehr Ballermann-Hits könnte der DJ auflegen, findet sie. Zetzschmo weiß, dass sie damit nicht alleine ist: Mit stampfendem Schlager könnte er die Menge im Handumdrehen zum Ausrasten bringen. Doch das Konzept des Abends ist „Inklusion“. Alle Gäste sollen sich wohlfühlen – die mit und die ohne Behinderung.
„Hier findet Begegnung statt.“
Stella Edler
„Wer tanzt, humpelt nicht“ lautet das Motto des Discoabends, den das inklusive Kulturnetzwerk barner 16 schon vor der Pandemie regelmäßig veranstaltete. Der war ein beliebter After-Work-Treff für viele der Kunstschaffenden mit und ohne Behinderung, die bei barner 16 arbeiten – ob als Schauspielende, Musiker:innen, Filmschaffende oder bildende Künstler:innen. Früher stieg die Party im „Monkeys Music Club“, gleich neben der Geschäftsstelle an der Barnerstraße. Dann kam Corona. Die TanzBar im Karo&Paul ist die erste seit 2020. Mit großem Hallo begrüßen die schon Anwesenden ihre neu eintreffenden Kolleg:innen, einige fallen sich um den Hals, als hätten sie sich die ganzen vier Jahre lang nicht gesehen.
Besonders ist auch die neue Location. Erst zwei Monate zuvor wurde der Grüne Bunker eröffnet. Auf dem Dach des ehemaligen Flakbunkers am Rande des Heiligengeistfelds bieten nun Bars wie das Karo&Paul eine spektakuläre Aussicht über die Stadt. Hier und da sind noch Spuren der Vergangenheit sichtbar: In der Tanzfläche, auf der jetzt die barner-16-Party steigt, liegt das Fundament einer Flak-Plattform unter Glas.
Noch ist das Karo&Paul nicht etabliert. Das ist ein Vorteil für die Gäste aus der barner 16, sagt Betriebsstättenleiterin Stella Edler: „Es ist für alle ein ungewohntes Terrain.“ Der Ort sei noch offen für alle möglichen Zielgruppen – und damit auch für Leute aus dem barner-16-Umfeld, die sich sonst selten außerhalb des inklusiven Arbeits- und Kulturlebens bewegten. Viele, so erzählt Edler, werden morgens zur Arbeit abgeholt, nachmittags wieder nach Hause gebracht und verbringen ihre Freizeit in eigenen Kreisen. „Oft finden Discos für Menschen mit Behinderung in irgendwelchen Pausenräumen statt“, erklärt Edler. „Da kommen andere Leute gar nicht erst vorbei.“
Das TanzBar-Publikum teilt sich hingegen das Karo&Paul mit allen möglichen Menschen. Allein das sei schon ein enormer Schritt hin zu gelebter Inklusion, sagt Edler. Viele der Gäste, die schon vor der Disco im Karo&Paul saßen, bleiben und machen den Wechsel von gediegener Baratmosphäre zu Partystimmung gelassen mit. Im Laufe des Abends kommt weiteres Laufpublikum dazu, und als Zetschmo ein paar Latino-Hits auflegt, tanzt ein Paar spontan mit. „Hier findet Begegnung statt“, sagt Edler. „Und das ist megageil.“
Heidi Fischer schaut immer wieder zur Tür. Sie wartet auf eine Wohngruppe der Lebenshilfe, die sie zum Mitfeiern eingeladen hat. Mit ihrer prall gefüllten Tasche voller winziger, einzeln verpackter Zettel und Gegenstände wirkt sie, als sei sie selbst noch nicht ganz angekommen. Dabei sei das nur ihre Grundausstattung, sagt sie. „Ich fühle mich sonst leer. Ich bin Autistin. Und das brauche ich, um mich wohlzufühlen.“ Fischer ist Schauspielerin und hat ein Buch geschrieben: „Kreiselverkehr“, ein Lexikon über alles, was sie im Alltag bewegt. Jetzt bewegt sie vor allem die Frage, wo ihre Bekannten bleiben. „Die sind immer noch nicht da“, sagt sie. „Vielleicht finden sie es nicht …“
Die Orientierung im Bunker ist tatsächlich kompliziert – das stellte auch die Delegation fest, die die neue Location ihrer TanzBar vorab prüfte. Die Gruppe, zu der neben Edler und einem Kollegen ohne Behinderung auch ein blinder Mann, ein Rollstuhlfahrer und eine Kollegin mit psychischer Beeinträchtigung zählten, klärte vieles vorab mit der Barleitung: Strohhalme seien wichtig, sollten aber nicht aus Glas sein, damit sich Menschen mit Epilepsie nicht verletzen. „Eine Frage war auch: Können sich unsere Leute die Drinks überhaupt leisten?“, erzählt Edler. Sie blättert durch die Karte. „Eine Cola für 3,50 Euro, ein Bier auch … total fair“, sagt sie. Zusätzlich zur herkömmlichen Karte bietet die Bar sogar eine Seite mit vergünstigten Cocktails extra für die TanzBar an. Und auch in einem weiteren Punkt zeigte sich das Karo&Paul kompromissbereit: Da viele barner-16-Kolleg:innen keine EC-Karten nutzen, sicherten die Inhaber zu, ausnahmsweise Bargeld zuzulassen.
Für die diensthabende Schicht kommt diese Ausnahme offenbar überraschend. Vor dem Tresen herrscht Andrang und Aufregung – es fehlt an Wechselgeld. Edler nimmt es gelassen: „Ein paar Ecken und Kanten muss es wohl geben am Anfang“, sagt sie und lacht. „Wäre ja sonst auch langweilig!“ Aus den Räumen der barner 16, die im Bunker Probebühne und Filmstudio betreibt, holt sie eine Notfallkasse – Problem gelöst. Die Barleute nimmt sie in Schutz: „Das Personal war superfreundlich, auch wenn die offenbar gar nicht wussten, was auf sie zukommt.“
„Ich bin Autistin. Und das brauche ich, um mich wohlzufühlen.“– Heidi Fischer
Edler lobt auch die Security im Bunker. Die Wachleute hätten dafür gesorgt, dass alle, egal ob blind oder im Rollstuhl, den Weg zum Aufzug und mit ihm nach oben zur Bar fanden. Anders wäre es schwierig geworden: Der „Bergpfad“ rund um das Gebäude ist für Menschen mit Mobilitätseinschränkung kaum zu bezwingen, der Weg über die Aufzüge noch nicht ausgeschildert. Das TanzBar-Publikum kommt trotzdem ohne Probleme nach oben, dank rechtzeitiger Abstimmung und der Hilfe der Security. Eine zehnköpfige Gruppe unternimmt sogar, begleitet von Assistent:innen, noch einen Ausflug nach ganz oben: Den Dachgarten will sie sich nicht entgehen lassen.
Eine junge Frau, die sich als Lena vorstellt, bleibt lieber in der Bar. Sie sitzt auf einem der Samtsofas, ihren Taststock zusammengefaltet neben sich, und genießt die Atmosphäre. „Die alte Disco war so dunkel“, sagt sie. „Hier ist es viel schöner.“ Lena ist stark kurzsichtig, sie kennt das Karo&Paul schon von einem Besuch mit ihren Eltern. Diesmal ist sie mit ihrem Freund Ernesto Schnettler gekommen, Gitarrist bei der Band Station 17 und heute Abend Türsteher.
Im Laufe des Abends lässt Schnettler noch eine Menge Leute rein: Freund:innen aus dem barner-16-Kreis, Touris – und endlich auch Heidi Fischers Bekannte aus der Lebenshilfe-Wohngruppe. Bis kurz nach zehn dauert die Party. Und bald stehen schon die nächsten TanzBars an: Im November und Dezember ist die barner 16 wieder im Karo&Paul zu Gast.