Indoor-Spielplatz für Erwachsene

Sturm im Bällebad

Toben für Große: Diese weichen Klötzchen eignen sich nicht nur zum Bauen. Foto: Dmitrij Leltschuk
Toben für Große: Diese weichen Klötzchen eignen sich nicht nur zum Bauen. Foto: Dmitrij Leltschuk
Toben für Große: Diese weichen Klötzchen eignen sich nicht nur zum Bauen. Foto: Dmitrij Leltschuk

Mal richtig das Kind rauslassen: Seit fast 20 Jahren bietet ein Hamburger Indoor-Spielplatz einen Abend nur für Erwachsene an.

Hinz&Kunzt Randnotizen

Freitags informieren wir per Mail über die Nachrichten der Woche:

Erster Freitag im Oktober, 18.45 Uhr. In Dauerschleife läuft „A-ll-e Leut’, a-ll-e Leut’ geh’n jetzt nach Haus“. Eltern sammeln ihre Kinder ein, holen die Schuhe aus den Regalfächern am Eingang, schultern die Rucksäcke. Auf dem Heimweg im Auto werden die Kleinen wahrscheinlich ausgepowert einschlafen und vom großen Toben träumen. Ruhe senkt sich über den Indoor-Spielplatz „rabatzz“ in Stellingen.

Aber nicht lange. Heute geht die Party noch mal los: Ü18-Abend! Das Team macht einmal klar Schiff, lässt die Luft aus der Hüpfburg für die Allerkleinsten und rollt die Cocktailbar rein. Ab 20 Uhr sind Erwachsene unter sich – ohne Kids. Klettern, krabbeln, kicken und chillen auf 3500 Quadratmetern. Tobesüchtige willkommen!

„Wir müssen auch mal Kind sein.“

Jennifer

Mehr als 500 Menschen tummeln sich im Laufe des Abends in der 3500-Quadratmeter-Halle, um mal das Kind rauszulassen. Die meisten sind zwischen Anfang 20 und Mitte 40. Aber auch eine Dame um die 90 sauste schon die Wellenrutsche hinab. Für Betriebsleiter Mathias Slotta unvergesslich: „Was die an Emotionen rausgelassen hat! Ich bekomme immer noch Gänsehaut, wenn ich davon erzähle.“ Die gut 30 Meter lange Wellenrutsche, so der 32-Jährige, sei übrigens die beliebteste Attraktion im rabatzz – generationsübergreifend.

Die Musik hat längst zu treibenden Beats gewechselt. Erwachsene auf Socken erobern die XXL-Hüpfburg, springen auf den Trampolinen, wuseln durch das Kletterlabyrinth, lassen sich in die elastischen Bänder des „Schatzzturms“ fallen. Wer es ruhiger angehen will, errichtet Bauwerke aus magnetischen Kunststoffbausteinen oder lässt Bälle an einer Wand mit Kunststoffschläuchen um die Wette rollen.

Einige der rund 30 Stationen sind Eigenbau. Aber alles jährlich TÜV-geprüft und das meiste ohnehin für Erwachsene ausgelegt, damit Eltern tagsüber mit ihren Kindern gemeinsam toben können. Ein paar Attraktionen kosten extra, etwa der Hochseil-Trail oder der Rodeo-Bulle. Die Tische, an denen tagsüber Dutzende Kindergeburtstage gefeiert werden, können bei Ü18 für Junggesellen-Abschiede oder Firmenevents gebucht werden.

Oliver Skrotzky und Alena Bultmann, beide in den Dreißigern, sind um 20.30 Uhr schon aus der Puste von Kletterlabyrinth und Wellenrutsche. Die beiden haben zwei Stunden Autofahrt aus dem niedersächsischen Sulingen hinter sich, fahren nachher wieder zurück. Alena ist begeistert: „Das muss man einmal mitgemacht haben.“

Nichts für Angsthasen: Auf der Freifallrutsche geht es zuerst steil bergab. Foto: Dmitrij Leltschuk
Nichts für Angsthasen: Auf der Freifallrutsche geht es zuerst steil bergab. Foto: Dmitrij Leltschuk

Jennifer Ketelsen, 23, ist gerade vom Rodeo-Bullen geflogen. Immerhin 48 Sekunden hat sie sich oben gehalten, ihre Freundin Nasdar Dogan, 24, hat die Zeit gestoppt. Beide lachen. „Wir müssen auch mal Kind sein“, sagt Jennifer.

Monika Blum, 71, aus Bergedorf, ist mit drei Freundinnen hergekommen. Mit ihren Kindern war sie früher auf einem Indoor-Spielplatz im Hamburger Osten. Vom rabatzz hat die erwachsene Tochter erzählt. „Wir wollten das selbst mal erleben“, sagt Blum, die im Bällebad war („da muss man natürlich rein“) und die Wellenrutsche „eins a“ findet. Zum Trampolin will die Truppe noch.

Seit 20 Jahren gibt es das rabatzz, den Ü18-Abend fast genauso lange. „Die Gründer haben gesehen, mit wie viel Spaß die Eltern mit ihren Kindern toben, und sie haben sich gefragt: ,Steckt nicht in jedem von uns noch das Kind?‘“, erzählt Slotta. Lange Zeit war das Erwachsenen-Toben einmal im Monat am Donnerstag. Durch mehr Social-Media-Werbung sprang die Besucherzahl in die Höhe. Seit Anfang 2023 findet Ü18 deshalb zweimal im Monat am Freitag statt.

Slotta ist beruflich hier großgeworden. Mit 16, noch während der Schulzeit, heuerte er als Aushilfe an. Wechselte dann ins benachbarte „Schwarzlichtviertel“, die zweite Spielwiese der rabatzz-Gründer. Beide Vergnügungen gehören zur selben Betreibergesellschaft. Slotta absolvierte die Ausbildung zum Veranstaltungskaufmann, stieg auf und blieb dem Unternehmen bis heute treu.

Wenn der Rummel zum Arbeitsall-tag gehört, dann ist in der Freizeit bestimmt was Ruhiges dran, oder? Slotta lacht: „Klar nehme ich mir Ruhezeiten, gehe spazieren oder in die Sauna.“ Aber dann rückt er mit seinem Nebenjob heraus: Als DJ legt er in einem Club auf der Reeperbahn auf, bespielt Abifeiern, Hochzeiten, Firmenevents. Der Mann ist Überzeugungstäter: „Action, Trubel, Menschen um mich herum, ich liebe es einfach.“

In der Halle liefern sich unterdessen junge Männer eine Schlacht mit Schaumstoffbällen. Auf dem kleinen Kunstrasenfeld ein paar Meter weiter spielt ein Dutzend Gäste Fußball. Und an den „Twin Fallzz“, der doppelten Freifallrutsche, spielen sich Szenen ab wie auf dem Zehner im Freibad: Eben noch Mutige treten an den Abgrund, blicken erschrocken hinunter, lassen andere vor. Das höhere Podest liegt gut sieben Meter über dem Boden. Die Bahn stürzt erst mal senkrecht nach unten, bevor sie im Bogen in die Waagerechte führt.

Manche kreischen während der kurzen Schussfahrt auf dem Hosenboden, als wär’s die Achterbahn auf dem Dom. Runter kommen sie alle, doch die stilistischen Unterschiede sind erheblich: Vorsichtige rutschen mit starr vor der Brust verschränkten Armen. Selbstbewusste recken die Fäuste in die Luft. Und die Coolsten nutzen den Schwung und sind am flachen Auslauf der Rutsche schon wieder auf den Beinen.

Nach drei Stunden ist der Hallen-Spielplatz angemessen verwüstet, bunte Bälle liegen überall. Deshalb heißt es wie in jedem Kinderzimmer: Jetzt aber aufräumen! Das rabatzz-Team engagiert dafür gern ein paar Gäste, die mit einem Slush-Drink oder einem Eintrittsgutschein entlohnt werden. Bis um 23.30 Uhr wirklich alle Leut’ nach Hause gehen. Jetzt auch die großen Kids.

Artikel aus der Ausgabe:
Ausgabe 381

Von der Straße auf die Bühne

Xenia Brandt war obdachlos – heute ist sie Comedian und verarbeitet so ihre Erfahrungen. Außerdem im Schwerpunkt über obdachlose Frauen: Wie Periodenarmut zu psychischen Problemen führt. Und: Hinz&Künztlerin Annie erzählt über Gewalt und Erniedrigung auf der Straße.

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Autor:in
Detlev Brockes