Vor 10 Jahren sind viele geflüchtete Menschen
von der Insel Lampedusa nach Hamburg gekommen.
Wie geht es den Menschen heute?
Wir haben 4 von ihnen getroffen.
Sie heißen Stephen Takyi, Ali Sudan, Ousmane Kabore und Kodjo Anabisa.
Text: Yasemin Ergin
300 Männer aus Afrika kamen im Frühjahr 2013 nach Hamburg.
Sie hatten zuerst in Ländern wie Ghana oder Nigeria gelebt.
Dann waren sie in den Norden nach Libyen gegangen.
Dann gab es in Libyen aber Krieg und sie mussten fliehen.
So kamen sie als Flüchtlinge auf die Insel Lampedusa.
Die Insel Lampedusa gehört zu dem Land Italien.
Es kamen sehr viele Menschen nach Lampedusa,
für das Land Italien zu viele.
Italien schickte die Menschen also weiter nach Norden.
Plötzlich waren die geflüchteten Menschen hier.
Hamburg wollte die Menschen wieder zurück schicken.
Doch die Flüchtlinge wollten bleiben und arbeiten.
In Hamburg haben sie Hilfe gefunden.
Die St. Pauli Kirche hat 80 Flüchtlingen geholfen,
sie konnten in der Kirche erst einmal wohnen.
Viele einzelne Menschen haben den Flüchtlingen geholfen,
zum Beispiel mit einer Wohnung oder einer kleinen Arbeit.
Und viele Tausend Menschen machten eine Demo,
dass die Geflüchteten in Hamburg bleiben dürfen.
Die Flüchtlinge von der Insel Lampedusa haben damals gezeigt,
dass Europa falsche und schlechte Regeln für Flüchtlinge hat.
Hamburg hat dann den Flüchtlingen erlaubt,
dass sie bleiben dürfen.
Aber die Flüchtlinge sollten zuerst die Einzel-Fall-Prüfung machen.
Das ist ein schwieriger und langer Antrag für Menschen,
die in Deutschland als Flüchtling leben und arbeiten wollen.
Nur etwa 100 Flüchtlinge wollten die Einzel-Fall-Prüfung machen.
Heute leben diese 100 Menschen ganz normal in Hamburg.
Die anderen Flüchtlinge von damals sind nicht mehr hier.
Alle Texte von Hinz und Kunzt zu dem Thema Lampedusa kann man hier lesen:
www.hinzundkunzt.de/thema/lampedusa
Stephen Takyi
Stephen Takyi sitzt in der Bar in einem alten Haus in Wilhelmsburg.
Das Haus gehört ihm und 40 anderen Menschen.
Sie haben alle das Haus vor 8 Jahren gekauft.
Das Haus gehört zu dem Wohn-Projekt „GoMokry*“.
Die Bar ist Ort für viele „Soli-Partys“.
Dort wartet Stephen auf uns.
Das Haus konnten die Menschen damals nur kaufen,
weil sie Hilfe und Geld von einer Gesellschaft bekamen.
Diese Gesellschaft hilft Menschen,
die für viele gemeinsam ein Haus kaufen wollen.
Und heute helfen sich alle Menschen in dem Haus gemeinsam,
wenn sie für ihr Haus etwas bezahlen müssen,
zum Beispiel die Müll-Abfuhr oder die Heizung.
Stephen verdient auch seit einigen Jahren eigenes Geld.
Viele Freunde aus Afrika haben Stephen damals gesagt,
dass er das besser nicht machen sollte.
„Ich war der einzige Schwarze unter über 40 Weißen,
viele dachten, das kann nicht gut gehen.“
Doch Stephen fand die Idee toll und wollte mitmachen.
Er ist auch nicht mehr der einzige Schwarze im Haus.
Immer wieder haben Flüchtlinge aus Lampedusa bei Stephen gewohnt.
Für Stephen ist das normal,
denn er hat selbst damals oft bei anderen Menschen gewohnt.
Stephen ist 40 Jahre alt und kommt aus dem Land Ghana.
Er denkt gerne an die Zeit in der St. Pauli Kirche.
„Wir haben mit Pastor Sieghard Wilm zusammen gekocht und gegessen.
Oft sind Menschen zu uns gekommen
und die Stimmung war super.
Es war fast wie in Afrika.“
In der St. Pauli Kirche hat er das Gefühl bekommen,
dass er in Hamburg gut mit den Menschen zusammen leben kann.
Er sagte sofort zu,
als er damals das Angebot für die Einzel-Fall-Prüfung bekam:
„Es war kein schlechtes Angebot und
beide Seiten mussten aufeinander zugehen.“
Es hat damals viel Stress in der Gruppe gegeben,
aber bei so einer wichtigen Sache muss jeder für sich entscheiden.
Stephen hat daran geglaubt,
dass Deutschland junge Menschen wie ihn auf jeden Fall braucht.
Stephen hat dann Arbeit bei einer sehr großen Firma gefunden.
Er lernte eine Frau kennen und wurde Vater.
Heute hat er eine Aufenthalts-Erlaubnis.
Das heißt,
Stephen darf ganz normal in Deutschland leben und arbeiten.
Er arbeitet für einen Online-Versand für Kleidung aus Afrika.
Am wichtigsten ist für ihn aber der Verein „African future Kids“.
Das ist Englisch in bedeutet: „Kinder der Zukunft in Afrika“.
Stephen hat den Verein vor einigen Jahren gegründet.
Der Verein hat zum Beispiel in Stephens Heimat-Dorf Drobo
einen Kinder-Garten gebaut.
Stephens Freunde und Freundinnen in Deutschland finden das Projekt toll.
Viele sind auch schon mal mit ihm nach Ghana gefahren.
Die nächste „Soli-Party“ in der Bar von Stephens Haus
soll auf jeden Fall auch wieder Geld für Stephens Verein bringen.
Ali Sudan
Ali Sudan kommt direkt von einem Termin mit der Polizei.
Er hat gerade mit der Polizei über ein neues Zelt geredet,
das er für Flüchtlinge bei dem Haupt-Bahnhof hinstellen möchte.
So ein Zelt hat es damals auch gegeben.
Das Zelt war ein wichtiger Ort für die Flüchtlinge.
Sie konnten sich dort treffen und gemeinsam helfen.
Aber das alte Zelt hat Hamburg im Frühjahr 2020 verboten.
Seitdem möchte Ali unbedingt ein neues Zelt.
Viele schlechte Dinge hat Ali in den letzten Jahren gesehen.
Die Politiker und Politikerinnen machen nichts.
Die Flüchtlinge geben schnell auf.
Die Helfer und Helferinnen haben keine Ahnung.
Ali findet es aber immer noch sehr wichtig,
dass man Flüchtlingen hilft.
Das Angebot damals von Hamburg für die Einzel-Fall-Prüfung
findet er heute immer noch falsch.
Auch findet er es sehr traurig und falsch,
dass so viele Menschen diese Prüfung damals gemacht haben.
Ali möchte über die Menschen nicht schlecht reden:
„Viele wussten es nicht besser oder
sie hatten keine Geduld.
Den Menschen fehlte vielleicht auch der Wille.“
Die Dokumente von Italien für alle Flüchtlinge aus Lampedusa
waren viel besser gewesen als die Einzel-Fall-Prüfung.
Ali kann bald sogar einen Pass in Italien bekommen.
Ali Sudan heißt richtig Ali Ahmad.
Er ist 1969 in dem Land Sudan geboren.
Er war damals der einzige Mann aus dem Sudan
und auch einer der Ältesten.
Das Land Libyen war damals eine Heimat für ihn.
Dort hatte er viele Jahre gelebt.
Ali hatte in der Hauptstadt Tripolis studiert,
war dort Lehrer gewesen und hatte ein Restaurant.
Der Krieg in Libyen änderte sein Leben völlig.
Er floh 2011 nach Italien.
Im Sudan hat er noch 6 Töchter,
die sind heute erwachsene Frauen.
Er hat sie seit vielen Jahren nicht mehr gesehen.
Er ging damals mit nach Hamburg,
weil er viel über die „Linke Szene“ gehört hatte.
Das bedeutet:
Viele Menschen in Hamburg haben eine „linke“ politische Meinung.
Eine politisch „linke“ Meinung heißt,
dass die Menschen sich gegenseitig helfen.
Vor allem soll man den Menschen helfen,
die ein schwieriges Leben und oft wenig Geld haben.
Ali Sudan fand damals,
dass „Lampedusa in Hamburg“ ein gutes „linkes“ Projekt war.
Ali ist bis heute der Sprecher der Flüchtlinge von Lampedusa,
auch wenn nicht alles richtig war:
„Die Leute wollten damals kein Olympia in Hamburg,
und da haben sie auch auf uns gezeigt!
Ich war auch gegen Olympia,
aber was hatte das mit uns Flüchtlingen zu tun?“
Es hat aber auch viele gute Aktionen gegeben.
2016 war in Hamburg eine große Konferenz für Flüchtlinge
und er hat bei der Konferenz mitgemacht.
Es gab viele Theater-Aufführungen mit Flüchtlingen,
da hat er auch mitgemacht und ist in viele Länder von Europa gefahren.
Er bekommt immer wieder Einladungen.
Ali findet das ein gutes Zeichen.
Der Kampf für die Flüchtlinge ist nicht ganz verloren.
Jetzt wohnt Ali in einer Wohn-Gemeinschaft.
Dort leben auch viele Menschen,
die politisch genauso denken wie Ali.
Das reicht ihm als Wohnung.
Er sagt auch,
dass er zwar in Hamburg kein Zuhause gefunden hat,
aber auf jeden Fall „viele gute Leute.“
Ousmane Kabore
Ousmane Kabore spielt in jeder freien Minute Basketball
auf dem Spielfeld im „Park Fiction“.
Der Park ist direkt gegenüber von der St. Pauli Kirche.
Dort hat er fast 1,5 Jahre lang gewohnt.
Heute lebt er in einer Wohnung um die Ecke,
gemeinsam mit seiner Freundin und seiner 5 Jahre alten Tochter.
Er arbeitet im Jugend-Zentrum
und in einem Restaurant im Stadt-Viertel.
Und er spielt Basketball für den FC St. Pauli.
Er fühlt sich hier auf jeden Fall zu Hause.
Ousmane ist 30 Jahre alt.
Er kommt aus dem Land Burkina Faso in Afrika.
Er war damals einer der Jüngsten von den Flüchtlingen aus Lampedusa.
Er hatte aber schon sehr viel Schlimmes erlebt,
als er damals nach Hamburg kam.
Er war 4 Jahre alt,
als man seine Mutter aus dem Heimat-Dorf vertrieb.
Die Menschen dort glaubten,
dass Ousmanes Mutter eine „Hexe“ ist.
Sie hatten viel Angst vor ihr.
Ousmane wuchs alleine auf und verließ mit 14 Jahren sein Dorf.
Er suchte nach Arbeit zuerst in dem Land Niger
und später in dem Land Libyen.
Er flüchtete mit 200 Menschen in einem Boot nach Lampedusa.
Das Boot hatte viele Löcher,
er hat die Löcher mit seiner Kleidung zu gemacht.
So sind die Menschen nicht im Meer ertrunken.
Er hat auch noch viele Jahre danach Menschen getroffen,
die mit Ousmane in dem Boot waren.
Die Menschen waren ihm sehr dankbar.
Er wollte zuerst nach Frankreich,
weil er schon Französisch spricht.
Doch das Ticket nach Hamburg war billiger.
So kam er nach Hamburg.
Er lebte zwei Monate lang auf der Straße,
traf andere Menschen aus Afrika und traf die Lapedusa-Gruppe.
Er sagt heute:
„Es war nicht leicht.
Ich wusste nicht,
worum genau es ging.
Die meisten Flüchtlinge sprachen Englisch miteinander,
ich kann aber nur Französisch, Arabisch
und die Sprache aus meinem Dorf.“
Ousmane hat später seine Freundin kennengelernt,
er hat seit der Geburt seines Kindes eine Aufenthalts-Erlaubnis.
Die letzten Jahre waren schwierig.
Seine Tochter wurde mit zwei Jahren sehr krank,
sie war lange im Krankenhaus.
Er hat viel Deutsch gelernt,
weil er so viel mit Ärzten und Ärztinnen reden musste.
Heute ist seine Tochter wieder gesund.
Er war sogar schon zweimal mit ihr in Burkina Faso.
Er sammelt Geld für eine Schule in seinem Heimat-Dorf Loumbila.
Er ist auch nicht mehr böse auf die Menschen,
die damals so schlecht zu seiner Mutter und ihm selbst waren.
Die meisten Leute von damals sind auch alt oder schon tot.
Er hat zwar in St. Pauli ein Zuhause gefunden,
aber Ousmane sagt auch:
„Meine Heimat ist immer noch in Burkina Faso.“
Kodjo Anabisa
Viele Koffer stehen im Flur von Kodjo Anabisas Wohnung.
Es sieht so aus,
als möchte er sofort Moment verreisen.
Doch Kodjo fühlt sich wohl in Finkenwerder,
wo er seit 7 Jahren lebt.
Die Wohnung unter einem Friseur-Laden ist eng und dunkel,
aber Kodjo zeigt sie stolz.
Er ist viele Jahre ohne Wohnung gewesen,
in Libyen und Italien und auch Deutschland.
Er hat in sehr vielen Lagern für Flüchtlinge gelebt.
Die Wohnung ist für ihn ein sicherer Ort:
Er hat eine eigene Tür,
eine eigene Küche und ein eigenes Bad.
„Ich fühle mich echt wohl hier“,
sagt Kodjo und ist sehr glücklich.
Kodjo kommt aus Ghana und ist heute 35 Jahre alt.
Er spricht über sein Leben so,
als ob er immer Glück gehabt hat.
Er musste in Libyen jeden Tag neue Arbeit suchen:
„Das war hart,
aber ich bekam gutes Geld.“
Im Krieg in Libyen glaubten viele,
dass alle schwarzen Afrikaner gefährliche Soldaten sind.
Also flüchtete er nach Italien
und lebte dort zwei Jahre lang in vielen Lagern.
Er hatte keine Ahnung,
wie lange das so gehen sollte:
„Aber es gab 75 Euro Taschengeld im Monat!“
Dann kam er nach Hamburg
und lebte zuerst in der Not-Unterkunft „Pik As“:
„Das war schon in Ordnung.
Es gab ein warmes Bett und eine warme Mahlzeit.“
Das war schon mehr als genug.
Er gehörte dann zu den 80 Menschen,
die in der St. Pauli Kirche wohnen konnten.
Auch das war für ihn ein Glück gewesen,
sagt er heute.
Die meisten Menschen dort in der Kirche fanden,
dass die Einzel-Fall-Prüfung eine gute Sache ist.
Kodjo hat das dann auch gemacht.
Aber manche finden das bis heute nicht richtig.
„Ich habe immer wieder den anderen geredet:
Seht mal, jetzt mache ich einen Deutsch-Kurs.
Seht mal, jetzt habe ich ein Praktikum,
und jetzt eine feste Arbeit.
Aber sie sagen immer wieder,
dass die Sache von damals schlecht war.“
Viele hatten damals Angst,
dass sie nach der Einzel-Fall-Prüfung abgeschoben werden.
Abgeschoben werden heißt,
dass die Menschen nicht in Deutschland bleiben dürfen.
Und das stimmte auch,
viele Menschen durften nicht mehr in Deutschland bleiben.
Kodjo aber hatte wieder einmal Glück.
Er hat heute eine Aufenthalts-Erlaubnis
und hat eine gute Arbeit gefunden.
Er kann sogar nach Ghana in den Urlaub fahren.
Und weil er bald nach Ghana reisen wird,
stehen die vielen Koffer im Flur von seiner Wohnung.