Zeitgemäßes Kunsterleben für alle oder großer Kitsch? Am Hype um immersive Ausstellungen, in denen man in die Kunst „eintauchen“ kann, scheiden sich die Geister. Aktuell ist in Hamburg die Ausstellung „Viva Frida Kahlo“ zu sehen. Autorin Yasemin Ergin hat sich umgehört.
Begrüßt wird man im ersten Raum von einem der berühmten Selbstporträts Frida Kahlos in einer animierten Ausführung. Schmetterlinge flattern durchs Bild, die Künstlerin blinzelt den Betrachter:innen zu. Nur ein paar digitale Bilder später soll man schon eintauchen in die Gedankenwelt der Künstlerin. Mithilfe einer Virtual-Reality-Brille werden Besucher:innen in ein 360-Grad-Video gezogen, in dem Frida Kahlo sie mitnimmt auf eine Reise in ihrem Krankenbett. Es hebt ab, fliegt durch ihren Heimatort, hoch hinauf, mitten durch eine fantastische Welt voll riesiger Wassermelonen und Gestalten in Totenmasken. Es ist der Höhepunkt einer Ausstellung, in der man der Kunst der mexikanischen Malerin so nahe kommt wie noch nie.
Bevor Viva Frida Kahlo im „United Scene“ in der Gaußstraße Einzug hielt, lief hier mit großem Erfolg „Monets Garten“. Rund 120.000 Besucher:innen strömten in die Ausstellung, um in Leben und Werk des französischen Impressionisten zu versinken. Ob Kahlo, Monet oder Van Gogh – die Superstars der Kunstgeschichte erwachen gerade überall digital zum Leben. In Dortmund eröffnete Anfang des Jahres das „Phoenix des Lumières“, in dem man die Werke Gustav Klimts mit allen Sinnen erleben kann. Das dahinterstehende Unternehmen Culturespaces will bald auch in Hamburg eine Niederlassung eröffnen. 2024 soll auch das „Digital Arts Museum“ in der Hafencity starten, mit Multimedia-Kunst auf 7000 Quadratmetern.
Begehbare Kunst zum Anfassen, zum Miterleben, zum „Sich-überwältigen-Lassen“. Ein Megatrend, der nicht allen gefällt. Friederike Fankhänel, Kunst- und Designvermittlerin am Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg (MK&G) und Expertin für Digitales beim Bundesverband der Museumspädagogik, findet es „irreführend“, solche Inszenierungen überhaupt als „Ausstellung“ zu bezeichnen. Mit einer echten Ausstellung, in der Besucher:innen selbst entscheiden, wie intensiv sie Bilder auf sich wirken lassen wollen, hätten diese „spektakelhaften“ Projektionen nur wenig gemeinsam. Vor allem aber empfinde sie es als „mangelnde Wertschätzung“ gegenüber der Kunst, wenn Originale zu Unterhaltungszwecken digital verfremdet und neu zusammengesetzt werden.
Die Veranstalter:innen dieser Ausstellungen werben damit, zeitgemäßes Kunsterleben für die ganze Familie zu schaffen. Mundgerechte Vermittlung komplexer Inhalte führe zu mehr Zugänglichkeit und Teilhabe, so die Idee. Das Unternehmen „Culturespaces“ etwa wolle so die „rund 80 Prozent der Bevölkerung erreichen, die nicht regelmäßig ins Museum gehen“, sagt Deutschland-Chef Renauld Derbin: „Wir merken, dass wir immer mehr Jugendliche zu unseren Zentren bringen. Es gibt jede Generation, die vertreten ist.“
Dass die immersiven Shows mit so großem Erfolg laufen, liege aber vor allem daran, dass sie fast immer auf die großen Superstars der Kunstgeschichte setzen, glaubt Friederike Fankhänel. Auch herkömmliche Schauen von Künstler:innen wie Monet oder Frida Kahlo seien Publikumsmagneten und zögen Menschen an, die sich sonst nicht für Kunst interessierten: „Bei bestimmten Namen gehört es einfach zum guten Ton, sich das mal angeschaut zu haben.“
Tatsächlich sind es die immergleichen Namen, die zum Einsatz kommen. Monets Garten war zeitweise in fünf Städten weltweit gleichzeitig zu sehen. Viva Frida Kahlo lief bis vor Kurzem in München und läuft aktuell parallel zu Hamburg in Wien. Dass die Werke großer Meister:innen in digitaler Form durch die Welt reisten und an mehreren Orten gleichzeitig sein könnten, sei auch im Sinne der „Demokratisierung der Kunst“, findet Renauld Derbin von Culturespaces. Nur die wenigsten Menschen könnten es sich leisten, aus Liebe zur Kunst zu den Originalen zu reisen.
Doch auch der Eintritt in die immersiven Ausstellungen ist für viele unerschwinglich. Tickets für Viva Frida Kahlo zum Beispiel kosten um die 20 Euro, für etwa eine Stunde Programm. Um das als mehrköpfige Familie stemmen zu können, muss das Geld schon locker sitzen. „Das ist teurer als jedes Kino, als jede Ausstellung. Von demokratischerem Zugang kann da keine Rede sein“, sagt Friederike Fankhänel. Da sei es am Ende doch günstiger, in normale Museen zu gehen. Zumal auch die sich immer mehr Mühe geben, Kunst auf unterhaltsame Art zu vermitteln und den Besucher:innen Erlebnisse zu bieten.