Im Pfandleihhaus erhalten auch Menschen spontan Geld, die bei keiner Bank einen Kredit bekommen. Ein Ortsbesuch in Hamburg-Harburg.
Mitte Februar verwandelt sich der frisch gefallene Schnee in der Harburger Fußgängerzone in Matsch. Drei Zeugen Jehovas bieten erfolglos den „Wachturm“ an, Menschen in zugeknöpften Jacken und Winterstiefeln eilen in Richtung S-Bahn-Station. Hinter der gläsernen Eingangstür eines Geschäfts erinnert nur noch der leise Klang des Saxofons eines Straßenmusikers an das wuselige Treiben auf der Straße.
Thomas Struck führt hier im Pfandleihhaus Werdier an drei Kassenschaltern vorbei durch eine Tür in mit grauem Teppich ausgelegte Büroräume. „Wir klassischen Leihhäuser nehmen Faustpfänder. Also Sachen, die wir in die Hand nehmen und dem Zugriff des Pfandkunden entziehen“, erklärt er im nüchternen Fachjargon an seinem Schreibtisch. Die meist goldene „Tresorware“ – Eheringe, Halsketten, Armreifen – lagert dann gut gesichert in den Panzerschränken des Leihhauses.
Der hagere 61-Jährige, freundliches Lächeln, dunkles Sakko, silberner Armreif, ist vom Fach. Sein ganzes Leben hat er im familiengeführten Pfandleihbetrieb verbracht, den er gemeinsam mit seinem Bruder in vierter Generation führt. Seine Kindheit in den Lagerräumen der zweiten Hamburger Filiale in Eimsbüttel, sein Berufsleben hinter dem Verkaufstresen und im Büro, mittlerweile bereitet er sich darauf vor, dass die fünfte Generation das Geschäft übernimmt.
Wer seine Wertsachen in einer der Filialen beleiht, bekommt schnell und vor allem unbürokratisch Geld – unabhängig von Schufa-Auskunft oder Kontostand. Sehr reiche Menschen gehören eher nicht zur Kundschaft, erklärt Struck, sehr arme allerdings auch nicht: „Wenn ich nichts habe, kann ich nichts beleihen“, erklärt er mit bestechender Logik. Stattdessen sei es eher die Mittelschicht, die die Dienste des Pfandleihhauses in Anspruch nehme. Etwa der selbstständige Handwerker, dessen Auftraggeber in Zahlungsverzug ist – aber auch der Kunde, der an diesem Februartag mit einem Goldring seiner Freundin ins Leihhaus kommt. „Ich brauche spontan Geld, um die nächsten beiden Tage zu überstehen“, sagt er kurz angebunden. Auf 50 Euro wird der Schmuck von einem Mitarbeiter geschätzt. Der Anfang 30-Jährige hatte auf mehr gehofft. Er verlässt das Leihhaus unverrichteter Dinge.
Den Wert des Schmucks bemessen Strucks Mit-arbeiter:innen in Sekundenschnelle am Prüftisch. Routiniert untersuchen sie die Oberfläche des Goldschmucks mit der Lupe, tragen anschließend etwas Säure auf eine kleine Matte auf und prüfen damit die Echtheit und die Qualität des Edelmetalls. Anschließend kommt der Schmuck auf die Waage, und der Mitarbeiter legt einen Preis fest. Ausgezahlt werden den Kund:innen dann etwa 80 Prozent des geschätzten Wiederverkaufswertes. Pro Monat, den ihr Schmuck im Leihhaus verbringt, zahlen sie zudem ein Prozent Zinsen und eine feste Gebühr, die sich am Wert des Schmucks bemisst. Beides ist gesetzlich vorgeschrieben. „Rund 94 Prozent werden bei uns wieder ausgelöst“, sagt Thomas Struck. Die Wertgegenstände, die in der vereinbarten Zeit nicht abgeholt wurden, werden in regelmäßigen Abständen versteigert. 250 Pfandleihbetriebe sind deutschlandweit im Dachverband des Gewerbes vertreten und geben nach eigenen Angaben jährlich 630 Millionen Euro an Krediten aus.
Machen Pfandleiher:innen Profit mit der Not von Menschen? Struck sieht das nicht so. Letztlich unterscheide sich sein Geschäft nicht von dem einer klassischen Bank. Im Gegenteil, ergänzt eine Mitarbeiterin, hätten viele Kund:innen durchaus so etwas wie ein Vertrauensverhältnis, erzählen auch mal Geschichten aus ihrem Leben, was es gestern zu essen gab oder dass kürzlich ein Verwandter verstorben ist. Warum das Gewerbe in Deutschland keinen allzu guten Ruf hat, darüber kann Struck nur Vermutungen anstellen. Auffällig seien die kulturellen Unterschiede. In vielen südeuropäischen Ländern, aber auch in England seien Pfandleihhäuser etwas völlig Normales, in Deutschland sei die Wahrnehmung eine andere, hätten Leihhäuser für viele etwas Verruchtes an sich. Für Kundin Valery (Name geändert) ist der Gang ins Leihhaus hingegen völlig normal: „Du hinterlegst dein Gold, und dafür bekommst du Geld.“
„Ich habe schon vieles hier beleihen lassen. Schmuck vor allem. Ich komme, wenn ich spontan Geld brauche“, sagt die 31-Jährige, die mit Handy am Ohr am Verkaufsfenster steht. Meistens könne sie ihre Wertgegenstände wieder auslösen. Die Bank sei wegen ihrer Schufa-Einträge keine Option, deshalb das Leihhaus.
Dass eine schlechte Wirtschaftslage das Geschäft belebe, wie manche vermuten, sei eine Mär, meint Thomas Struck: „Eine schlechte Konjunktur bedeutet auch in der Pfandleihe ein schlechtes Geschäft.“ Schließlich achteten die Menschen gerade in Krisenzeiten auf ihre Ausgaben. Für viele Kund:innen mag das zutreffen, und der überschaubare Publikumsverkehr an diesem Dienstagmorgen scheint dem Pfandleiher recht zu geben. Für Valery ist das Leihhaus hingegen ein letzter Rettungsanker in der Krise. „Ich merke die Preissteigerungen jeden Tag. Ohne den Familienschmuck wäre es schwierig“, sagt sie, zieht ihre Jacke zu und verschwindet in dem Trubel der Harburger Fußgängerzone.