Im Namen des Vaters

Wie ist es, mit einem weltberühmten Vater aufzuwachsen, über dessen Vergangenheit man nur wenig weiß? Swingsänger Roger Cicero, Sohn des Pianisten Eugen Cicero, machte sich auf Spurensuche — auch in Rumänien, der Heimat des Vaters.

(aus Hinz&Kunzt 226/Dezember 2011)

Mit „Frauen regier‘n die Welt“ trat Roger Cicero 2007 beim Eurovision Song Contest an und landete auf dem 19. Platz.

Roger Ciceros Lachen ist schon unten an der Treppe zu hören: kehlig und schön dreckig, ganz tief aus dem Bauch, ein warmes, lebendiges Lachen. Sein Händedruck ist fest, der Mann riecht gut und hat beste Manieren. Aber der Musiker ist auch auf der Hut: Strategisch günstig setzt sich der Swingsänger so, dass er das Licht im Rücken hat. So kann man sein schmales Fuchsgesicht nur erahnen, während er sein Gegenüber gut im Blick hat.

Der Mann ist eben ein Profi. Mit 41 hat er eine beachtliche Karriere absolviert, in Bands wie „Jazzkantine“ und der „Soul Lounge“ gesungen, für seine Alben Gold und Platin bekommen. 2007 ist er sogar beim Eurovision Song Contest für Deutschland angetreten. Fast sein ganzes Leben hat Roger Cicero in der Öffentlichkeit verbracht, da lernt man, sich zu schützen. Sein Vater, der Pianist Eugen Cicero, machte nach seiner spektakulären Flucht aus Rumänien Weltkarriere. Dieses unstete Leben des Vaters wirft noch immer lange Schatten auf das des Sohnes. der wider alle Vernunft wie der Vater Musiker wurde. Er redet gern und viel über den 1997 verstorbenen Vater, und in jedem seiner Sättze klingen Bewunderung, Zuneigung und immer noch ein wenig Staunen mit.

Mit ihm verglichen zu werden macht ihm nicht viel aus. Ja, er sei ein Perfektionist wie sein Vater, wenn es um Musik geht, und auch ungeduldig. „Aber mein Vater hatte auch teilweise die Ruhe weg, wenn es um Genuss ging“, beeilt er sich zu sagen. „er hat sehr gern gekocht und gegessen. Und er konnte zum beispiel stundenlang Wurst in kleine Streifen schneiden, um sie dann löfffelweise auf sein Brot zu schaufeln.“

Eine Achterbahnfahrt sei das Leben des Vaters gewesen, erzählt Roger. Eugen Cicero, in seiner Heimat Rumänien als musikalisches Wunderkind gefeiert, flüchtete mit Anfang 20 in den westen, machte mit Hits aus Klassik und Jazz Karriere und lebte ein ruheloses, rastloses Leben, das der Familie zusetzte und das doch Alltag war. „Ich habe beides in mir, die Rastlosigkeit und das Bedürfnis nach Heimat“, räumt er ein. „Wenn ich das eine zu lange habe, dann vermisse ich das andere, ich brauche die Balance zwischen Wegsein und Dasein.“

Roger Cicero: „Scheißkommunisten war ein geflügeltes Wort in meiner Kindheit“

Viel hat der Vater nicht von seiner Jugend in Rumänien erzählt, manches musste sich der Sohn zurechtreimen. Denn dass der Vater die Heimat durch seine Flucht verloren hatte, war lange zeit Anlass für böse Tiraden im Hause Cicero. „Er hat immer über die Umstände in Rumänien geschimpft und kein gutes Haar daran gelassen“, erinnert sich Roger. „Ich bin mit einem sehr antisozialistischen Bild aufgewachsen. Scheißkommunisten war ein geflügeltes Wort in meiner Kindheit. Ich habe das damals einfach so hingenommen – DDR, der Osten, alles doof. So bin ich aufgewachsen.“

Schon als Baby und Kleinkind hatte der Vater ihn mit nach Rumänien genommen, aber seine erste bewusste Reise dorthin machte er mit 14. „Wir sind mit dem Auto gefahren, zweieinhalb Tage von Zürich. Mit einem so komplett vollgepackten Auto, dass wir kaum hinten rausgucken konnten, und mit Dachgepäckträger.“ Viel Musik haben die beiden auf der Fahrt gehört, „seine und meine Mischtapes. Darunter waren Perlen, von denen ich noch heute zehre.“

Natürlich erkannten die Leute den berühmten Vater, „wir haben eine weitverzweigte Familie in zahllosen Dörfern, in denen wir überall anhielten. Da kamen Leute, die ich noch nie gesehen hatte, mit mehr oder weniger Zähnen und knutschten mich ab. Das war mir mit 14 sehr unangenehm. Ich stand daneben wie Falschgeld.“ Rumänien, fand er damals, rieche sehr merkwürdig. „Es war mir zu fremd, zu ärmlich, zu dreckig, das war überhaupt nicht meine Welt. Ich war ein Kind des Westens, der 80er und von meiner Mutter immer richtig rausgeputzt. mir war manchmal richtig peinlich, wie mein Vater vor die Tür ging.“

An Straßenmusikern kann Roger Cicero nicht vorbeigehen, ohne ihnen Geld zu geben: „Das sind schließlich alles meine Kollegen.“

Erst spät, als Erwachsener, entdeckte er den Reiz Rumäniens. „Vor sieben Jahren war ich mit meinem Onkel da und habe mich sehr wohlgefühlt.“ Ein Cousin sei Landwirt in den Karpaten, und auf langen Spaziergängen entdeckte Roger die Schönheit einer traumhaften Landschaft: „Aber die Städte sind zum Teil erbärmlich.“

Mittlerweile engagiert er sich bei der Kinderrechtsorganisation „Save the Children“ für Rumänien und würde gern mal wieder hinfahren. Was ihn davon abhält? „Ich kann kein Rumänisch“, sagt er. Der Vater hat es nie mit ihm gesprochen. Aufgewachsen ist Roger Cicero bei seiner Mutter, hatte aber viel Kontakt zum Vater. „Meine Eltern haben sich scheiden lassen, da war ich fünf“, erzählt er. „Ich habe schnell begriffen, dass zu Hause da ist, wo bestimmte Menschen sind. Mein Vater ist ständig umgezogen, ich habe ihn oft in Hotelzimmern getroffen.“ Wichtig war vor allem der Aktenkoffer des Vaters: „Er war ein Aktenkoffermann, da waren seine Noten drin. Der war sein Reisegepäck, und wo der aufgeklappt war, da war zu Hause.“

Heute ist Roger Cicero fast so viel unterwegs wie sein Vater

Der Vater richtete seine Hotelzimmer mit persönlichen Dingen ein: „Mit Bildern, Utensilien, das waren immer dieselben Sachen.“ Wenn Roger heute in ein Hotelzimmer kommt, dann räumt er erst mal um. „Ich lasse meist den Mantel an, wusele erst mal rum, und wenn es dann nach zehn Minuten immer noch ungemütlich ist, dann rück ich schon mal die Möbel.“

Das Leben eines Musikers habe er nie führen wollen, erinnert er sich. „Mein Vater war ja viel unterwegs, das fand ich blöd. Ich soll zu meiner Mutter gesagt haben: ‚Ich möchte nicht Klavier spielen. Wenn ich groß bin, möchte ich nicht so viel weg sein.‘ Und jetzt? Bin ich viel weg.“ Das fällt ihm schwer: „Mein Sohn Louis ist dreieinhalb. Bisher hat es ihm nicht viel ausgemacht, wenn ich nicht da war. Wenn ich jetzt weggehe, dann beschwert er sich richtig und findet das ganz, ganz doof.“

Das macht es nicht leichter, die Einsamkeit im Hotelzimmer auszuhalten. „Früher habe ich versucht, sie mit Trubel zu umgehen und ihr auszuweichen: mit Partys, Sessions, Kneipe, Hauptsache Menschen.“ Mittlerweile halte er es gut aus mit sich selbst. „Heute kann ich mit meiner Angst umgehen, ich nehme sie als das wahr, was sie ist, nämlich nur ein Gefühl. Das macht sie nicht angenehmer, aber sie geht schneller vorbei.“

Vieles lief in seinem Leben in scheinbar geordneten Bahnen. Mit 20 begann er ein Musikstudium in den Niederlanden. Und während seine Kommilitonen als Straßenmusiker jobbten oder kellnerten, verdiente Roger sein Geld mit Singen: „Das war privilegiert, weil es das war, was ich wirklich wollte.“ Doch es war auch ein Leben auf der Überholspur, „da gab’s brenzlige Situationen, da hab ich manche Abkürzung versucht, die zu noch größeren Problemen geführt hat. Da gab’s Veränderungsbedarf.“

Wirklich reden will er darüber nicht, die Arme vor der Brust werden fest gekreuzt, der Ton wird kühler. Roger Cicero hat gelernt, sich zu schützen. Nein, mit Selbstzerstörung habe das nichts zu tun gehabt, räumt er noch ein. Eher damit, sich nicht stellen zu wollen, „etwas nicht fühlen wollen. Aber das ist ungesund. Man kann mit aller Kraft versuchen davonzulaufen, aber das ist zum Scheitern verurteilt.“

Existenzielle Ängste kenne er. „Ich habe den größten Teil meines Lebens mit wenig Geld verbracht.“ Früher habe er oft überlegt: „Kann ich am Ende des Monats meine Miete zahlen? Das ist
heute anders, aber die Art, darüber nachzudenken, bleibt.“

Text: Misha Leuschen
Foto: Daniel Cramer

Das neue Album: „In diesem Moment“.
Im Frühjahr ist Roger Cicero auf Tournee: Am 24. März in der O2 World Hamburg, Tickets von 46,55 bis 69,55 Euro.
Roger Cicero im Netz: www.roger-cicero.de.