Für Rita und Uwe Bernzen gehört soziales Engagement zum Leben dazu. Aber im Gegensatz zu anderen helfen sie direkt vor ihrer Haustür: Schon zum dritten Mal kümmern sie sich um einen Wohncontainer, in dem Obdachlose überwintern können.
(aus Hinz&Kunzt 212/Oktober 2010)
Wer Rita und Uwe Bernzen fragt, warum sie sich sozial engagieren, wird erst ein wenig irritiert angeschaut. Als wäre das eine seltsame Frage. „Ich finde, irgendwie muss jeder Mensch sich neben seinem Beruf engagieren“, sagt Uwe Bernzen dann. Und kurz danach fügt der 71-Jährige hinzu: „Wir haben alle die Pflicht, etwas für die Gesellschaft zu tun.“ Rita Bernzen nickt. „Unser Engagement speist sich auch aus unserem Glauben“, sagt die 70-Jährige. „Ich nehme alle Menschen, auch die auf der Straße, als Geschöpfe Gottes wahr. Jeder Mensch hat seine Würde.“
Die Beiden sitzen in einem hellen Raum der Kanzlei „Bernzen Sonntag“, in der Uwe Bernzen bis zur Rente als Anwalt gewirkt hat. Sie erzählen von einem ihrer sozialen Projekte. Genau vor zwei Jahren haben sie zum ersten Mal davon gehört, dass im Rahmen des Winternotprogramms Container bei Kirchengemeinden aufgestellt werden, in denen jeweils zwei Obdachlose für den ganzen Winter einen Schlafplatz finden. Die Kosten übernimmt die Sozialbehörde, für die Betreuung müssen sich ehrenamtliche Helfer melden. Die Bernzens waren von der Idee begeistert, vor allem Rita Bernzen machte sofort Nägel mit Köpfen. „Das ist ja immer so, wenn Männer mit einer Idee ankommen“, sagt Uwe Bernzen lachend. „Die Frauen haben am Ende die Arbeit.“
Lange mussten sie mit ihrer Gemeinde in Volksdorf diskutieren. „Das ist ja eine wohlhabende Gegend, direkt neben der Kirche ist ein Kindergarten. Da gab es durchaus Vorbehalte“, sagt Rita Bernzen. Ihre Erfahrung ist, dass viele Menschen in Hamburg hilfsbereit sind, aber den direkten Kontakt zu armen oder obdachlosen Menschen scheuen. „Das kann einfach nicht jeder“, sagt sie. Rita Bernzen kann es. Sie kennt keine Berührungsängste. Und sie konnten die Gemeinde überzeugen, zumal bei der Kirche ein Pärchen draußen schlief, es also eine soziale Notlage direkt nebenan gab. Doch als der Container stand und das obdachlose Paar eingezogen war, gab es unerwartete Probleme. „Die beiden waren schwierige Menschen, vor allem der Mann, der war aggressiv“, sagt Uwe Bernzen. „Einmal hat er sogar Fahrräder demoliert, die neben dem Container geparkt waren.“ Am Ende wollten die beiden Obdachlosen nur noch mit Rita Bernzen sprechen. „Ich wusste, dass ich die beiden nicht psychologisch betreuen konnte“, sagt sie nachdenklich – und fügt hinzu. „Ich wollte nur helfen, dass niemand erfrieren muss.“
Trotz der Schwierigkeiten beim ersten Mal entschied sich die Gemeinde, die Container-Idee weiter zu unterstützen. Sie wendeten sich an eine Tagesaufenthaltsstätte und bekamen im nächsten Winter zwei Männer vermittelt, die freundlich und zuverlässig waren. „Die haben uns sogar geholfen, zu Weihnachten den Tannenbaum in der Kirche aufzubauen“, sagt Uwe Bernzen. Daher war es für die Gemeinde in diesem Jahr klar, dass der Container zum dritten Mal aufgebaut werden soll. Uwe Bernzen war erst kürzlich bei einer Gemeinde in Niendorf, um für die Idee zu werben. Und seine Frau freut sich schon auf die nächsten Bewohner: „Ich finde ja nichts interessanter als Menschen“, sagt sie. „Wenn ein ernstes Gesicht einen das erste Mal richtig anlächelt, das ist großartig.“
Sozial engagiert waren die Bernzens schon immer. Uwe Bernzen war lange im Malteser Hilfsdienst, neben seinen wechselnden beruflichen Verpflichtungen als Staatsanwalt, Rechtsanwalt und Justiziar der Bürgerschaft. Ole von Beust hat ihm 2003 dafür das Bundesverdienstkreuz überreicht. Beeinflusst haben ihn vor allem seine Eltern: Seine Mutter half bei der Caritas, sein Vater war als Bürgerschaftsabgeordneter in Lübeck nicht nur politisch, sondern auch sozial interessiert. Heute, als Renter, hat er für sein Engagement wieder mehr Zeit. „Ich bin nur noch einmal die Woche hier und gehe segnend durch die Kanzlei“, sagt er mit einem Augenzwinkern.
Rita Bernzen schaut ihren Mann lächelnd an. Auch bei ihr liegt soziales Engagement in der Familie: Ihre Mutter kümmerte sich nach dem Zweiten Weltkrieg um Familien, die wegen der großen Wohnungsnot in einem Bunker leben mussten. Als kleines Mädchen war Rita Bernzen dabei, wenn ihre Mutter die Familien besuchte, für sie kochte oder sie bei Problemen beriet. „Manchmal, wenn wir nach Hause kamen, war mitten in der Küche eine Wanne aufgebaut, und darin wurde eins der Kinder aus dem Bunker gebadet“, sagt sie. „Das war für uns selbstverständlich.“ Da verwundert es nicht, dass die Bernzens ihre Einstellung an ihre vier Kinder weitergegeben haben. Alle vier bringen sich irgendwo ehrenamtlich ein. „Soweit es Beruf und Familie zulassen“, sagt Uwe Bernzen. „Das haben sie sich wohl bei uns abgeguckt“, sagt seine Frau. Auch in Zukunft wird also keine Langeweile im Hause Bernzen aufkommen. Bald erwarten die beiden außerdem das 16. Enkelkind. „Nur die engste Familie, das sind schon 28 Leute“, sagt Rita Bernzen. „Da ist ganz schön was los.“
Text: Hanning Voigts
Foto: Cornelius M. Braun