Momentaufnahme :
„Ich will nicht mehr woanders hin“

Immer für einen Spaß zu haben: An seinem Verkaufsplatz unterhält Raitis seine Kunden mit Handpuppen und kuriosen Kopfbedeckungen. Foto: Mauricio Bustamante.

Raitis (60) verkauft Hinz&Kunzt vor Edeka in der Stresemannallee. Für seine Kunden macht er sich gern durch lustige Kopfbedeckungen zum Clown – dabei hat er in seinem Leben schon viele traurige Zeiten erlebt. 

Hinz&Kunzt Randnotizen

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Es soll kein normales, langweiliges Foto werden, sagt Raitis und klingt dabei ein wenig stolz. Deswegen die Hunde-Mütze, die er extra zum Shooting mitgebracht hat. „Ist doch gut, oder?“ Wie jeden Tag ist der Lette früh am Morgen im Verkaufsraum von Hinz&Kunzt erschienen, hat neue Zeitungen geholt, Kaffee getrunken und mit anderen Verkäufern geklönt.

Anschließend geht es weiter zu seinem Verkaufsplatz. Ein geregelter Tagesablauf ist ihm wichtig. „Ich habe eine schwere Krankheit“, erklärt der 60-Jährige. „Alkoholismus.“ Schon als Kind hätten die Erwachsenen in seiner Umgebung immer getrunken. Alkohol war in seiner Familie normal. Nur könnten eben einige ihren Alkoholkonsum kontrollieren, sagt Raitis. „Aber ich, ich kann das nicht.“

Als junger Mann fing er an zu trinken. Bis zur Besinnungslosigkeit. Regelmäßig. Das hatte Folgen. „Kopf funktioniert nicht gut“, sagt Raitis und lacht verlegen. Er blickt nicht gerne auf die Zeit zurück. Zwei Ehen gingen zu Bruch. Ausbildungen brach er ab.

Ich wollte nicht mehr länger betteln– Hinz&Künztler Raitis

Insgesamt 16 Jahre habe er an der Flasche gehangen, erzählt Raitis. 1991 suchte er sich in Riga endlich Hilfe bei den Anonymen Alkoholikern. „Für mich war es großes Glück, weil ich Leute fand, die mich verstehen“, erinnert sich Raitis.

Gesundheitlich ging es ihm allmählich besser. Seine finanziellen Sorgen blieben bestehen. „Wenn Mensch hat keinen Beruf, geht schwer Geld zu verdienen.“ Er habe im Lager gejobbt, Waldarbeiten gemacht. Doch er konnte sich nur schwer konzentrieren, war kaum belastbar.

Die ersten Nächte schlief er im Sitzen

Mehr aus Verzweiflung als aus Abenteuerlust verließ er 2001 per Anhalter sein Land. Sein Ziel: Deutschland. Die Sprache habe er in der Schule gelernt, sagt Raitis. 17 Stunden Fahrt, erinnert er sich. „An der Grenze nach Deutschland, bei mir war ganz schwer. Ich habe stark geweint.“

Dass er schließlich in Hamburg landete, war Zufall. Die ersten Nächte schlief er im Sitzen in der Bahnhofsmission. Dann suchte er sich einen Platz in einem Park. Plötzlich kam der Regen. „Da wurde mir klar, dass ich ein Problem habe“, sagt der kleine stämmige Mann. Es waren wieder die Anonymen Alkoholiker, die ihm halfen. Dieses Mal bei der Suche nach einem Schlafplatz.

Außerdem lernte er Hinz&Kunzt kennen. Großes Glück sei das gewesen. „Ich wollte nicht mehr länger betteln“, sagt Raitis. Aber Arbeit hätte er eben auch nicht gefunden. Inzwischen hat Raitis eine eigene Wohnung. Er hat wieder Kontakt zu seinen Kindern. Und er blieb standhaft, als auch hierzulande eine neue Beziehung in die Brüche ging. „Die trockenen Jahre sind meine beste Zeit“, sagt Raitis sehr ernst.

Aber ist er auch zufrieden? „Natürlich viele Jahre war dieses Gras nicht so grün wie mein Land. Und nicht so blauer Himmel wie in Lettland“, sagt Raitis. „Aber ich liebe Hamburg. Ich war ein paar Mal in Berlin. Aber für mich Hamburg ist Deutschland. Ich will gar nicht mehr woandershin.“

Artikel aus der Ausgabe:

Der G20 die Stadt und ich

Vieles neu macht der Mai! Wir haben unserem Magazin eine optische Erfrischungskur verpasst: Unser Layout ist abwechslungsreicher und lockerer geworden. Bei den Themen sind wir gewohnt nah dran – etwa an Bernd und anderen Obdachlosen, die schon vor dem G20-Gipfel fürchten, dass sie von ihren Platten vertrieben werden sollen.

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Autor:in
Jonas Füllner
Jonas Füllner
Seit 2013 bei Hinz&Kunzt - erst als Volontär und inzwischen als angestellter Redakteur.

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