„Ich verzeihe dem Bankräuber“

Der ungewöhnliche Schritt einer Hinz&Kunzt-Leserin

(aus Hinz&Kunzt 140/Oktober 2004)

Vier Banken überfiel Kevin Anthony M. – niemand kam ihm auf die Schliche. Zwei Jahre später stellte er sich freiwillig der Polizei. Das Landgericht verurteilt ihn zu dreieinhalb Jahren Haft. Die Geschichte des Bankräubers, der seine Tatenbereut, druckten wir in unserer Juli-Ausgabe. Daraufhin meldete sich Juliane K. in der Redaktion. Sie war eine der Kassiererinnen, die M. überfiel.

Es war der Tag vor ihrem Geburtstag, der Tag vor ihrem Urlaub. Im Oktober vor drei Jahren löste Juliane K. in einer Hamburger Bankfiliale eine Kollegin ab und setzte sich ins Kassenhäuschen. Alles schien wie immer. Die 27-Jährige bediente gerade eine Kundin, als sie sah, dass jemand drängelt: „Ich wollte etwas sagen, da war er schon da und schob einen Zettel durch.“ Der Alptraum eines jeden Bankangestellten – ein Überfall! Genau kann sich Juliane K. nicht mehr erinnern, was auf dem Zettel stand, den Bankräuber Kevin Anthony M. durch den Kassenschlitz schob. Sie war viel zu aufgeregt. M. hielt seine rechte Hand so in der Jacke, als richte er eine Waffe auf sie. „Ich habe versucht, das Geld so langsam wie möglich rauszugeben“, sagt die 27-Jährige. „Und dann war er auch schon wieder weg.“ Alles ging so schnell, dass niemand, noch nicht einmal ihre Kollegin in der Kasse nebenan, mitbekam, dass sie überfallen worden war.

„Ich habe mir gemerkt, dass er eine Zahnlücke und ein Grübchen hatte“, sagt Juliane K. und muss lächeln. Sie weiß nicht, warum ihr gerade diese Details im Gedächtnis geblieben sind. Der Täter war nicht maskiert, er hatte nur eine Mütze auf. Bei der Polizei sah die Bankangestellte dann die Verbrecherkartei durch – ohne Erfolg. Nach der Vernehmung durch die Polizisten fuhr sie wieder in die Filiale. Sie hätte natürlich nach Hause gehen können, wollte aber nicht. „Meine Kollegin war fertiger als ich. Ich habe das gar nicht so gecheckt“, sagt sie.

Doch spurlos ging der Überfall auch an ihr nicht vorüber. Kurze Zeit später träumte sie vom Bankraub – davon, dass der Mann wieder kommt. Aber es seien keine Alpträume gewesen. Das hänge wahrscheinlich damit zusammen, dass der Bankräuber keine Maske trug und sie nicht mit einer Waffe bedroht habe, vermutet sie.

Die psychologische Nachbereitung, die ihr Arbeitgeber für solche Fälle anbietet, nahm Juliane K. nicht in Anspruch. Nach ihrem Urlaub arbeitete sie normal weiter, aber: „Die ersten Male wieder an der Kasse waren schon komisch, vor allem im Winter, wenn die Leute mit Mützen reingekommen sind.“ Drei Jahre später kehrt die Erinnerung an den Bankraub noch einmal zurück. Juliane K. liegt bereits im Bett, ihr Freund liest ihr eine Meldung vor, die er im Internet entdeckt hat: „Hey, da hat sich ein Bankräuber freiwillig gestellt!“ „Das ist bestimmt meiner“, erwidert Juliane K. im Spaß. Doch sie soll tatsächlich Recht behalten. Am nächsten Tag entdeckt sie sein Bild in der Zeitung.

Einige Zeit später sieht sie den Bankräuber bei der Gerichtsverhandlung. Er gesteht, er bereut – und er entschuldigt sich bei seinen Opfern. Danach überlegt Juliane K., ihm einen Brief zu schreiben, weiß aber nicht, wohin sie ihn schicken soll. Als sie die Geschichte in Hinz & Kunzt liest, nutzt sie die Gelegenheit: „Ich wollte, dass er weiß, dass ich ihm verzeihe.“

Und dies ist der Leserbrief von Juliane K.: „Es ist natürlich auf keinen Fall richtig – auch nicht in so einer Situation – einen Bankraub zu begehen, und der Täter muss auf jeden Fall bestraft werden, aber ich möchte seine Entschuldigung annehmen. Ich habe gefühlt, dass er die Entschuldigung ernst meint. Ich wünsche ihm alles Gute für die Zukunft! Wir alle können in eine solche Lage geraten, doch die meisten von uns verdrängen es.“

Annette Scheld

Lesen Sie den Artikel aus Hinz&Kunzt 137/Juli 2004:

Der Bankräuber: Sie hätten ihn nie erwischt. Er wusste das – und stellte sich trotzdem


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