„Triggerpunkte“-Autor Thomas Lux im Interview

„Ich muss klar widersprechen“

Man sollte „nicht über jedes Stöckchen springen“, rät Thomas Lux. Foto: Anna Weise

Wie man mit Gendersternen, Tempolimit und Lastenfahrrädern die Gesellschaft spaltet: ein Gespräch mit dem Wissenschaftler Thomas Lux über die zerstörende Kraft von sogenannten Triggerpunkten.

Hinz&Kunzt Randnotizen

Freitags informieren wir per Mail über die Nachrichten der Woche:

Hinz&Kunzt: Verfolgt man die Nachrichten, wird man das Gefühl nicht los, in einer völlig gespaltenen Gesellschaft zu leben. Stimmt das?

Thomas Lux: Ich muss klar widersprechen. Wir haben uns die Einstellungen zu unterschiedlichen, gesellschaftlich relevanten Themen in den vergangenen 30 Jahren angeschaut und festgestellt: Die Meinungen zu Umverteilung, Klimawandel, Migration und sexueller Diversität driften nicht auseinander. Sie sind entweder stabil geblieben oder haben sich hin zu mehr Liberalität entwickelt. Es gibt zwar Konflikte, aber die meisten Menschen haben gar keine so starke Meinung.

Und doch wird gerade über diese Themen viel gestritten.

Wir haben in unserer Untersuchung „Triggerpunkte“ identifiziert, bei denen die Menschen sehr emotional werden. Sie argumentieren dann aus dem Bauch heraus und nehmen stärkere Positionen ein als die, die sie sonst eigentlich vertreten. Solche Triggerpunkte werden dadurch angeregt, dass tief verwurzelte moralische Grundüberzeugungen verletzt werden. Das heißt, Menschen werden getriggert, wenn sie das Gefühl haben, dass etwas unfair ist, oder wenn es eine starke Abweichung vom Normalen gibt oder wenn ihre Privatsphäre verletzt wird oder sie das Gefühl haben, dass ihnen die Kontrolle entgleitet.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Homosexuelle und trans Personen als normal anzuerkennen, mit den gleichen Rechten – das finden die meisten Menschen richtig. Da gibt es einen breiten Konsens. Aber viele wollen sich nicht vorschreiben lassen, wie sie zu sprechen haben. Stichwort: Gendersternchen. Da reagieren viele allergisch. Sie haben das Gefühl, dass in ihren zutiefst privaten Bereich eingegriffen wird. Und solch ein Triggerpunkt kann dann von poli­tischen Akteuren genutzt werden, um tatsächlich die Gesellschaft zu spalten.

Zur Person:

Thomas Lux ist Vertretungsprofessor am Institut für Sozialwissenschaften der Humboldt-Universität zu Berlin. Zusammen mit Prof. Steffen Mau und Linus Westheuser veröffentlichte er in diesem Jahr das Buch „Triggerpunkte. Konsens und Konflikt in der Gegenwartsgesellschaft“ (Suhrkamp).

Klischeehaft würde ich denken, die Spaltung vollzieht sich an Kategorien wie Stadt und Land oder Akademikerin und Lagerarbeiter. Korrekt?

Man kann solche Unterschiede ein Stück weit sehen, aber sie sind nicht stark ausgeprägt. Die sozialen Gruppen liegen gar nicht weit auseinander.

Das klingt gut. Wo stoßen wir dann aber auf die Triggerpunkte?

Typischerweise in den Medien. Man braucht nur Twitter – jetzt X – zu öffnen und schon wird man mit Triggern konfrontiert. Da sind Menschen mit starken Meinungen sehr viel sichtbarer als im normalen Alltag.

Aber haben Menschen nicht schon immer versucht, mit provokanten Thesen Aufmerksamkeit zu bekommen?

Neu ist in unseren Augen, dass politische Akteure ganz gezielt Menschen in Empörung und Wut versetzen, um die Polarisierung voranzutreiben. Sie zielen auf Menschen, die eine offene Position vertreten, beim Triggerpunkt dann aber sagen: Das geht mir zu weit. So erreichen Rechtspopulisten die Mitte und versuchen, die Menschen auf ihre Seite zu ziehen.

Gibt es diese Zuspitzung auch bezogen auf Armut oder Obdachlosigkeit?

Wir haben festgestellt, dass das Thema Umverteilung nicht so stark triggert. Die Menschen sehen zwar, dass die Ungleichheit wächst. Aber das Thema ist alt. Und die Gewerkschaften oder die Sozialdemokratie sorgen kaum noch für starke Emotionen.

Mit der Forderung nach sozialer Gerechtigkeit lockt man also niemanden mehr hinter dem Ofen hervor?

Das muss nicht so bleiben. Wir hatten zuletzt hohe Inflationswerte und die Mieten steigen. Es kann also sein, dass diese Themen in Zukunft wieder deutlich emotionaler verhandelt werden.

Welche Rolle spielen die Medien?

Es gibt einen starken finanziellen Druck, Leser zu gewinnen. Da zünden die Themen Migration, sexuelle Diversität und Klima viel besser. Außerdem hat früher vor allem die „Bild“ für Aufregung gesorgt. Heute gibt es deutlich mehr Medien, die die Klaviatur der emotionalen Zuspitzung bespielen und damit zum Kulturkampf blasen. Da klingeln zwar die Kassen, aber die Debatte nimmt Schaden. Und in den sozialen Medien sieht man extreme Meinungen völlig ungefiltert.

Das klingt düster. Sehen Sie auch einen Hoffnungsschimmer?

Unser Buch ist keine Beruhigungs­pille. Aber wir sehen einen breiten Konsens. Beispielsweise beim Thema Migration: Dazu gehört, dass viele die Flüchtlingsaufnahme für ethisch geboten und Zuwanderung für ökonomisch nützlich halten. Die Menschen sind also bereit, mehr Zuwanderer aufzunehmen. Sie erwarten aber ­politisch gute Steuerung. Es gilt, ­diesen Konsens auch stärker in den Medien zu betonen, gerade dann, wenn Poli­tiker mal wieder eine abstruse Behauptung über Migranten in den öffentlichen Diskurs werfen. Außerdem sollten wir die Trigger­dynamik begrenzen: Indem man nicht mehr über jedes Stöckchen springt, das einem hingehalten wird, und man stattdessen Aufklärung betreibt. Aufgabe der Politik wäre es, die Ungleichheit zu begrenzen, damit Rechtspopulisten kein Kapital aus ihr schlagen können.

 

 

 

 

 

Artikel aus der Ausgabe:

Zuhause gesucht!

Unserer Gesellschaft fehlt der soziale Zusammenhalt? Das Gefühl scheint aktuell weit verbreitet. Wir haben das Projekt „Tausch & Schnack“ in Hamburg-Eimsbüttel besucht und mit dem Wissenschaftler Thomas Lux über die Kraft von sogenannten Triggerpunkten gesprochen und festgestellt: Der gesellschaftliche Zusammenhalt in Deutschland ist gar nicht so klein. Außerdem: Weihnachten steht vor der Tür und wir bei Hinz&Kunzt haben bereits begonnen uns darauf einzustimmen. 

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Autor:in
Jonas Füllner
Jonas Füllner
Studium der Germanistik und Sozialwissenschaft an der Universität Hamburg. Seit 2013 bei Hinz&Kunzt - erst als Volontär und inzwischen als angestellter Redakteur.