HIV und Aids

Hilfe und Motivation für Herrn Keck

Ein Mann mit schwarzer Mütze und blauer Adidas-Jacke schaut von einem Balkon auf die Elbe
Ein Mann mit schwarzer Mütze und blauer Adidas-Jacke schaut von einem Balkon auf die Elbe
Seit zwei Jahren bekommt Thomas Keck Hilfe im Alltag von „Aufwind“. Foto: Dmitrij Leltschuk

Seit 30 Jahren betreut „Hamburg Leuchtfeuer Aufwind“ Menschen mit HIV und Aids – wenn nötig, ein Leben lang. Thomas Keck ist einer von ihnen.

Hinz&Kunzt Randnotizen

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Herr Keck ist schon da. Trägt eine modische Funktionshose wie fürs Wandern, dazu stabile Trekkingschuhe. Wie man bald sieht, fällt ihm das Gehen nicht ganz leicht. Sorgsam setzt er die Füße Schritt für Schritt, schaut an sich herunter und achtet auf jede Unebenheit, damit er sich nicht vertritt. Thomas Keck ist ein großer, schlaksiger Mann, der sein Leben lang gerne und auch viel und manchmal sehr viel gearbeitet hat. Nur hat ihn ein Schlaganfall vor zweieinhalb Jahren bös erwischt. Langsam wechselt er von seinem Rollator, den er mal „meinen Porsche“, mal „meinen BMW“ nennt, in einen der Sessel im Büro von Andreas Kaliner, der als Sozialpädagoge bei „Aufwind“ arbeitet und der Thomas Keck begleitet.

Seit fast zwei Jahren kennen sie sich, ein-, zweimal die Woche treffen sie sich momentan: Herrn Kecks Hausarzt hatte sich bei Aufwind gemeldet, weil Herr Keck sich nicht so um seine Gesundheit gekümmert hat, wie er sich hätte kümmern müssen. Er hatte keine Reha beantragt und wahrgenommen, keine sich daran anschließende Ergotherapie oder Physiotherapie in Anspruch genommen. Herr Keck sagt: „Es war mir alles zu viel.“ Was sein Betreuer durchaus versteht. Nützt ja aber nix. „Wir haben schon viel erreicht, Herr Keck ist jetzt auf einem guten Weg“, sagt er. Mit der Reha fing es damals an, zu der Herr Keck sich dann doch bewegen ließ. Herr Keck nickt. Doch, war eine gute Sache. Hat geholfen.

„Ich ziehe mich wie ein Igel zurück und man hört nichts mehr von mir.“ Thomas Keck

Andreas Kaliner ist angestellt bei Aufwind, einem Bereich von Hamburg Leuchtfeuer. Die gemeinnützige Organisation bietet seit über 30 Jahren verschiedene Hilfsangebote für chronisch und schwer kranke sowie sterbende und trauernde Menschen an. Die Mitarbeiter:innen von Aufwind helfen an Aids oder HIV erkrankten Menschen, in Krisensituationen wieder Stabilität zu finden. Und so half Andreas Kaliner Herrn Keck dabei, die Steine aus seinem Lebensweg zu räumen: erst die großen wie etwa die finanzielle Absicherung und Neuaufstellung nach dem Verlust seiner Arbeit; dann die mittleren, wie die diversen Behördengänge und die Schuldenregulierung; in letzter Zeit die kleineren Steine, die da noch liegen und bei denen sie aufpassen, dass sie nicht wieder größer werden. „Wenn es nicht so geht, wie ich mir das vorgestellt habe, ziehe ich mich wie ein Igel in mich zurück und man hört und sieht nichts mehr von mir“, sagt Herr Keck. Sein Betreuer bestätigt: „Ich stand ja schon vor deiner Tür und du hast nicht aufgemacht, das war am Anfang, da war es schwierig mit uns.“ Herr Keck nickt.

Herr Keck stammt aus Sachsen-Anhalt, nach einem Jobverlust Anfang der 2000er-Jahre kommt er nach Hamburg. Es fällt ihm nicht leicht, hier Fuß zu fassen. Zeitweise ist er obdachlos, wohnt schließlich im Jakob-Junker-Männerheim. Irgendwann findet er einen Ein-Euro-Job in einer Grundschule, später einen Vollzeit-Job bei einem Großhandelsunternehmen für Obst und Gemüse in Billbrook; zudem findet er eine Einzimmerwohnung in Wandsbek. Doch dann kommt im August 2022 der Schlaganfall. Und die Probleme wachsen ihm über den Kopf.

Vielfältige Probleme durch HIV-Erkrankung

Seine HIV-Infektion spiele bei Herrn Keck anders als bei anderen Klient:innen eine eher untergeordnete Rolle. Andreas Kaliner sagt: „Thomas nimmt gegen die HIV-Infektion inzwischen wieder die Medikamente, die sein Immunsystem stabilisieren.“ Die eigentlichen Probleme waren andere. Grundsätzlich sei es das Ziel, den Klient:innen dabei zu helfen, trotz ihrer Erkrankung ein weitgehend eigenständiges Leben zu führen.

Die möglichen Probleme sind vielfältig: Viele Erkrankte ziehen sich in sich zurück, der Freundeskreis wird kleiner, nicht jeder Arbeitgeber ist bereit, die Folgen von Erkrankungen selbstverständlich anzunehmen; dazu kommen gesundheitliche Schwierigkeiten. Da sei es nicht einfach, sich weder zu über- noch zu unterfordern. „Für uns gehört es dazu, am Ball zu bleiben“, sagt Andreas Kaliner. „Bei Herrn Keck war nach dem Jobverlust zwischenzeitlich auch eine Veränderung seiner Wohnsituation Thema; etwa der Wechsel in eine Service-Wohneinrichtung oder sogar in ein Pflegeheim.“

Mittlerweile steht das alles nicht mehr zur Debatte. Dennoch gebe es immer wieder Hürden, die Herrn Keck schnell demotivieren und bei denen Andreas Kaliner hilft: „Ich will mich ja nicht blöd stellen, aber da kommen manchmal so verwinkelte Schreiben von Behörden, da lass ich besser die Profis ran“, sagt Herr Keck. Dass das hilfreich ist, kann sein Betreuer bestätigen: „Die Atmosphäre im Termin ist oft eine andere, wenn wir von Aufwind bei einem Gespräch dabei sind.“ Das Gespräch verlaufe oft sachlicher und für beide Seiten entspannter.

Am Freitag steht das nächste große Projekt an. Dann ist Herrn Kecks Wohnung in Wandsbek fertig renoviert und kann wieder bezogen werden. Sechs Wochen lang wohnte er übergangsweise in einer Art Monteurs-Wohnung nebenan in Jenfeld, für die sein Vermieter die Kosten übernommen hat. Andreas Kaliner schaut seinen Klienten an: „Jetzt geht es darum, dass die Wohnung nicht wieder in einen Zustand kommt, wie sie war, denn sie wurde über die letzten Jahre sehr vernachlässigt.“ Herr Keck sagt leise: „Weil es mir zu viel geworden war.“

„Aber Thomas ist heute ganz anders motiviert“, setzt Andreas Kaliner sogleich hinzu: „Und die hauswirtschaftliche Versorgung ist gewährleistet: Ein Pflegedienst wird in Absprache mit ihm vorbeischauen, hauswirtschaftliche Hilfe leisten und schauen, wie er nun zurechtkommt; das war auch eine Voraussetzung des Vermieters.“ Und so sind sie beide guter Dinge, dass sich alles weiter einrenkt, dass sie auf dem guten Weg bleiben, den sie eingeschlagen haben. Herr Keck schaut an seinen Beinen herunter, steht langsam aus dem Sessel auf, geht zu seinem Rollator, umfasst die Haltegriffe und löst dann die Bremsen. „Ich möchte irgendwann mal zur Ruhe kommen“, sagt er noch. „Ruhe. Das wäre schön.“

Artikel aus der Ausgabe:
Hinz&Kunzt-Titel mit einem Schwarzweißbild von einem Kriegsgefangenen, der einem US-Soldaten um den Hals fällt.

80 Jahre Befreiung vom Faschismus

Wie wichtig Erinnerung an NS-Verbrechen in Zeiten des Rechtsrucks ist und wie das Stigma der „Asozialität“ den Nationalsozialismus überdauerte. Außerdem: Über Musiker Marlo Grosshardt und ein Theaterstück mit Wohnungslosen am Schauspielhaus.

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Autor:in
Frank Keil
Frank Keil

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