Hinz&Künztler Bela ist tot

Ende des Leidens

Bela wurde Mitte Februar beerdigt. Foto: Sonja Conrad

Hinz&Kunzt-Verkäufer Bela ist tot. Die Fragen bleiben: Wer trägt die Verantwortung dafür, dass er in einer städtischen Unterkunft verelendete?

Hinz&Kunzt Randnotizen

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Ob je geklärt werden wird, wer Verantwortung trägt für das, was unserem Verkäufer Bela widerfahren ist? Für das Elend, das zwei Hinz&Kunzt-Mitarbeitende, die ihn besuchen wollten, so beschrieben: ausgemergelt, nackt auf dem Bett liegend, die Decke nur über den offenen Unterschenkeln, eingenässt und eingekotet, mit Wunden am ganzen Körper, voller Läuse und umschwirrt von Fliegen. Offensichtlich alleingelassen in einem Zimmer einer städtischen Notunterkunft. Und ebenso offensichtlich nicht in der Lage, sich selbst zu helfen (siehe H&K Juni 2024).

Knapp neun Monate später, am 15. Januar, ist Bela nach langer Leidenszeit in einem Heim für Schwerstkranke gestorben – mit 53 Jahren. Trotz Krankenhaus-Aufenthalten: Erholt hat er sich nie wieder, zuletzt lag er viele Monate im Wachkoma. Im Juni 2024 hat Hinz&Kunzt Strafanzeige gestellt wegen der Umstände, unter denen Bela in der Unterkunft aufgefunden wurde. Acht Monate später erklärte die Staatsanwaltschaft Hamburg dazu auf Nachfrage, sie prüfe Ermittlungen. Wann diese abgeschlossen sein werden und mit welchem Ergebnis? Ungewiss.

Jenseits der strafrechtlichen wirft Belas Geschichte politische Fragen auf: Warum war der offenkundig Hilflose nicht längst im Garstedter Weg untergebracht, in jener Einrichtung, die die Stadt eigens für besonders pflegebedürftige Obdachlose geschaffen hat? Wie sollen die 118 Plätze dort ausreichen angesichts der vielen kranken Menschen auf den Straßen? Und wann endlich treffen die Verantwortlichen die Entscheidungen, die es braucht, um Obdachlosen nicht deutscher Herkunft wirksam und nachhaltig zu helfen?

Belas Geschichte steht stellvertretend für die Lebensläufe vieler Menschen, die auf unseren Straßen verelenden: Der Ungar suchte hier eine bessere Zukunft. Arbeitete in verschiedenen Jobs, darunter anderthalb Jahre regulär in einem Schnellimbiss in Süddeutschland. Er verlor die Arbeit, fand keine neue, landete auf der Straße und wurde eines Tages – da verkaufte er schon Hinz&Kunzt – vom Schlaganfall getroffen.

Wie würde es Bela heute gehen, wenn er da angemessene Hilfe erhalten hätte? Wenn ihm nicht nur ein paar Tage Krankenhaus verordnet worden wären, sondern auch eine Reha und eine Wohnung, in der er sich hätte auskurieren können? So folgten auf den ersten Schlaganfall weitere, sie und eine Diabetes-Erkrankung verwandelten den einst so selbstständigen Mann zunehmend in einen Pflegefall.

Besonders tragisch: Bela hätte viel mehr Hilfe zugestanden – er wusste es nur nicht. Und das ist kein Einzelfall: Immer wieder weisen unsere Sozialarbeiter:innen mithilfe aufwendiger Recherchen nach, dass obdachlose Menschen Rechtsanspruch auf umfassende Hilfen haben – weil sie oft viele Jahre hier gearbeitet haben, mit Vertrag oder auch ohne. Nicht selten müssen sie vors Sozialgericht ziehen, um die Ansprüche der Betroffenen gegenüber Behörden durchzusetzen.

Ein gemeinsames Europa und die Freizügigkeit sind mehr als schöne Ideen. Sie sind auch rechtliche und moralische Verpflichtung. Wenn wir davon profitieren wollen, dass Waren ungehindert Grenzen passieren und Bewohner:innen anderer EU-Staaten viele unserer Fachkräftelücken schließen, müssen wir uns auch um jene kümmern, die oft unverschuldet auf unseren Straßen landen. Belas traurige Geschichte sollte uns vor allem daran erinnern: Wohnen und Gesundheitsversorgung sind Menschenrechte.

* In unserem ersten Beitrag nannten wir Bela zum Schutz seiner Persönlichkeitsrechte Milan.

Artikel aus der Ausgabe:

Kein Bargeld, kein Problem?

Die Gesellschaft wird bargeldloser – was bedeutet das für Arme und Obdachlose? Eine Spurensuche in Schweden. Außerdem: Wie Sie Hinz&Kunzt mit dem Handy bezahlen können, wo Sie in Hamburg Filmkunst aus Osteuropa sehen können und worunter die Psyche von Geflüchteten leidet.

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Autor:in
Ulrich Jonas
Ulrich Jonas
Ulrich Jonas schreibt seit vielen Jahren für Hinz&Kunzt - seit 2022 als angestellter Redakteur.

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