Um Corona-Infektionen zu vermeiden, wollte die Sozialbehörde im Winternotprogramm höchstens drei Obdachlose pro Zimmer einquartieren. Sven sagt, er musste sich ein Zimmer mit sechs Fremden teilen. Fördern&Wohnen dementiert.
Weil er auf seiner Platte immer mehr gefroren habe, so Sven, habe er eine der städtischen Sammelunterkünfte aufgesucht. Am 24. November um 17 Uhr habe er sich an der Friesenstraße in die Schlange gestellt. Dort betreibt Fördern und Wohnen (F&W) die größte Unterkunft des Winternotprogramms – bis zu 400 Personen sollen darin Platz finden. Sven gibt an, das Programm bisher nicht gekannt und es ob der Kälte ausprobiert zu haben. „Auch weil ich gelesen hatte, dass sie die Zimmer wegen Corona maximal mit drei oder vier Personen belegen.“
Doch was Sven nach eigenem Bekunden in der Unterkunft erlebte, hatte mit seiner Vorstellung von einem sicheren Schlafplatz nichts zu tun. An der Anmeldung habe man ihm ein Zimmer im dritten Stock des Gebäudes zugewiesen, so der Obdachlose gegenüber Hinz&Kunzt. „Ein Acht-Bett-Zimmer mit vier Doppelstockbetten und mit sechs anderen Männern belegt, von denen ich keinen kannte.“ Nur eins der acht Betten sei frei geblieben. Abstand zu halten, war Sven zufolge unmöglich.
Eigentlich wollte die Sozial- und Gesundheitsbehörde wegen der Ansteckungsgefahr die Zimmer im Coronawinter deutlich weniger auslasten. „Wir streben eine lockere Belegung in Zwei- und Dreibettzimmern an“, hatte Sozialsenatorin Melanie Leonhard (SPD) noch Anfang November bei der Präsentation der Lockdown-Bestimmungen im Rathaus versichert und mit dieser Begründung eine Unterbringung in Einzelzimmern abgelehnt. Wie passt das zu Svens Erzählung?
Fördern und Wohnen streitet ab
Susanne Schwendtke, Sprecherin des Unterkunftsbetreibers, dementiert Svens Darstellung rundweg. Weder in der Nacht vom 24. November noch zu einem anderen Zeitpunkt während der Pandemie hätten sich so viele Leute ein Zimmer teilen müssen. „Eine Durchsicht der Belegungslisten von Fördern & Wohnen hat ergeben, dass in keinem Zimmer sieben Personen zusammen übernachtet haben“, so Schwendtke auf Nachfrage.
Dass die von der Sozialsenatorin angestrebte Zahl inzwischen überschritten ist, wird allerdings auch deutlich aus der Antwort der Sprecherin. Pro Zimmer würden maximal vier Personen gemeinsam untergebracht, teilt Schwendtke mit. Die Anderthalb-Meter-Abstände blieben trotzdem gewahrt.
Darüber hinaus wache ein Sicherheitsdienst darüber, dass Abstände nicht unterschritten werden: „Es finden regelmäßige Kontrollen statt, einzelne Personen werden angesprochen und auf die Abstandsregeln hingewiesen“, schreibt die F&W-Sprecherin. „Menschen, denen es aufgrund psychischer Erkrankungen oder schwerer Sucht schwerfällt, Abstände einzuhalten, werden gegebenenfalls in andere Räume verlegt.“
„Nach zwei Nächten bin ich wieder gegangen. Ich hab das einfach nicht ausgehalten.“– Hinz&Künztler Sven
Bei der Essensausgabe und am Einlass habe es tatsächlich Kontrollen gegeben, bestätigt Sven. Doch sicher habe er sich in seinem Zimmer nicht gefühlt. Ob er nicht in die Unterkunft an der Kollaustraße umziehen könne, habe er F&W-Mitarbeiter*innen gefragt. Diese hätten verneint, dort sei alles belegt. Von der Unterkunft an der Schmiedekoppel, die die Stadt im November neu eröffnet hatte, habe er gar nicht erfahren. „Am Donnerstag, nach zwei Nächten, bin ich dann wieder gegangen. Ich hab das einfach nicht ausgehalten“, erzählt Sven bei einem erneuten Gespräch mit Hinz&Kunzt. Dass der Betreiber der Unterkunft seine Schilderung zurückweist, ist ihm bewusst. Er beharrt dennoch auf seiner Darstellung.
Einzelzimmer im Hotelprojekt
Besser zurück auf die Platte und frieren als sich dem Risiko einer Ansteckung aussetzen – so entschied sich Sven zunächst. Inzwischen kann der Mann warm und sicher schlafen: Rund eine Woche nach seinem Auszug aus der Friesenstraße erfuhr er vom Hotelprojekt, über das ein Bündnis aus Hinz&Kunzt, der Tagesaufenthaltsstätte Alimaus, Diakonie und Caritas im Coronawinter 80 Obdachlose in Hotels unterbringt. Jetzt bekam auch Sven einen Platz – in einem Einzelzimmer.