Hostile Design :
Zehn Beispiele für obdachlosenfeindliche Architektur in Hamburg

Auf der Mauer vor der Bundespolizeistation am Hauptbahnhof verhinderten Metallzacken das Sitzen. Foto: BBU

Metallbügel, Blumenkübel, Sprinkleranlagen: Obdachlose werden in Hamburg auf unterschiedliche Arten von Bänken und anderen Orten ferngehalten. Zehn Beispiele.

Hinz&Kunzt Randnotizen

Freitags informieren wir per Mail über die Nachrichten der Woche:

Der Rapper Disarstar hat mit einem Aktionsvideo auf Architektur hingewiesen, die Obdachlose vertreibt. Er griff kurzerhand zur Flex und entfernte Metallbügel von einer Sitzfläche des Hotels „Empire Riverside“ auf St. Pauli. Ob die Bügel tatsächlich gegen Obdachlose gerichtet waren, wollte das Hotel auf Nachfrage nicht beantworten. Der Effekt aber war klar: Hinlegen konnte man sich dort nicht mehr.

Die Metallbügel sind kein Einzelfall: Immer wieder gestalten Unternehmen oder Ämter den öffentlichen Raum so, dass er für obdachlose Menschen nicht nutzbar ist. Dabei ist er für alle da, kommentiert Hinz&Kunzt-Geschäftsführer Jörn Sturm: „Über die gemeinsame Nutzung müssen wir uns gesellschaftlich verständigen. Aber jegliche Installation von Zäunen oder Gittern ist nicht akzeptabel“, sagt er. „Vertreibung und Ausgrenzung sind keine Lösung!“

Immer wieder kommt es auch zu Protesten gegen die sogenannte defensive Architektur –  die manchmal auch erfolgreich sind. Zehn Beispiele aus Hamburg:

Vertreibung mit einem Zaun vor einer Schule auf St. Pauli

Im Januar 2022 hat eine Schule in der Wohlwillstraße auf St. Pauli einen Zaun um ein Vordach errichtet, unter dem sich oft Obdachlose schlafen gelegt haben. Auch Drogen sollen konsumiert worden sein. „Ich glaube, Zäune lösen keine Probleme“, sagte der zuständige Bezirksamtsleiter Ralf Neubauer (SPD) anschließend gegenüber Hinz&Kunzt. Inzwischen wurde der Zaun wieder entfernt. Hinlegen kann man sich dort dennoch nicht mehr: Die Fläche wird nun zum Abstellen von Fahrrädern benutzt.

… mit Blumenkübeln in Ottensen

Stiller Protest gegen Vertreibung: Vor der Haspa in Ottensen hat jemand eine Bank aufgestellt. Foto: BELA

Im Frühjahr 2021 hat die Hamburger Sparkasse in Ottensen Blumenkübel unter einem Vordach aufgestellt, um Obdachlose von dort zu vertreiben, die Bankkund:innen belästigt haben sollen. Das Altonaer Bezirksamt hatte die Aufstellung genehmigt. Anfangs regte sich Protest in Form von Stickern und einer daneben aufgestellten Bank. Doch der blieb erfolglos: Die Blumenkübel stehen dort noch heute.

… mit Metallkugeln am Hansaplatz in St. Georg

Ebenfalls bis heute erhalten sind die Metallkugeln, die das Bezirksamt Mitte Anfang 2021 auf Pollern am Hansaplatz montieren ließ, um Trinker:innen zu vertreiben.  „Ein Poller ist keine Sitzgelegenheit“, stellte eine Bezirkssprecherin gegenüber unserem Magazin fest. Der Bürgerverein St. Georg monierte, es gehe um die Verdrängung unliebsamer Gruppen. Die Verdrängung hält an.

… mit Metallbügeln auf Sitzbänken an den Landungsbrücken

An der U-Bahn-Haltestelle Landungsbrücken hat die Hochbahn Ende 2019 Sitzbänke mit Metallbügeln montiert. Dass damit Obdachlose absichtlich vom Liegen abgehalten werden sollen, bestritt das Unternehmen allerdings: Es gehe darum, dem Bedürfnis der Menschen auf Abgrenzung zu ihren Sitznachbar:innen nachzukommen, hieß es auf Nachfrage von Hinz&Kunzt.

… mit unbequemen Bänken in Buswartehäuschen in der ganzen Stadt

Extra unbequem: das Wartehäuschen „Norman Foster 1“. Foto: BELA

Dabei liegt die Annahme nicht fern, dass es dem Unternehmen bei den Bänken auch um Vertreibung geht: Als die Hochbahn 2012 neue Buswartehäuschen einführte, ließ sie die eingebaute Sitzbank extra unbequem gestalten. „Wäre sie zu komfortabel, würde sie in kürzester Zeit zum Daueraufenthaltsort für sogenannte Randständige werden“, gab das Beschwerdemanagement der Hochbahn gegenüber einer Hinz&Kunzt-Leserin unumwunden zu.

… mit Metallzacken am Hauptbahnhof

Am Hauptbahnhof installierte die Bahn im Dezember 2016 eine lange Reihe Metallzacken, um Menschen vom Sitzen auf einer Stufe abzuhalten. Man habe sich „entschlossen, die Zweckentfremdung baulich zu unterbinden“, erklärte damals eine Sprecherin. Der Entschluss hielt allerdings nicht lange: Auf Intervention des damaligen Bezirksamtsleiters Falko Drossmann (SPD) ließ die Bahn die Zacken wieder entfernen.

… mit einem Zaun am Isebekkanal in Eimsbüttel

Dieser Zaun versperrte den Zugang zum geschützten Schlafplatz unter der Goebenbrücke. Foto: Carsten Vitt

Am Eimsbütteler Isebekkanal errichtete das örtliche Bezirksamt 2016 einen Zaun unter der Goebenbrücke. Angeblich zum Schutz der dort schlafenden Obdachlosen, die so davor bewahrt werden sollten, schlafend ins Wasser zu rollen – ein dreister Vorwand, wie sich schnell zeigte. Nach langen Debatten im Bezirksparlament wurde der Zaun so umgebaut, dass der Zugang zur Platte wieder frei ist.

… mit einem Metallkasten auf einem Lüftungsgitter an der Simon-von-Utrecht-Straße

Auf dem Gitter eines Lüftungsschachts an der Simon-von-Utrecht-Straße auf St. Pauli hatten sich Obdachlose niedergelassen, um dank der aufsteigenden Wärme nicht so sehr zu frieren. Im Frühjahr 2013 war damit Schluss: Ein Metallkasten mit Schrägdach blockiert seitdem das Gitter. Zwischenzeitlich hatte ein Künster:innenkollektiv interveniert und in den Kasten ein Hochbett installiert. Den Kasten gibt es noch, das Hochbett leider nicht.

… mit einem Zaun unter der Kersten Miles Brücke

Fast drei Meter hoch und kein Durchkommen: der Zaun an der Kersten-Miles-Brücke.

Der Zaun, den Bezirksamtsleiter Markus Schreiber (SPD) 2011 unter der Kersten Miles Brücke errichten ließ, blieb nicht lange stehen. Nach Protesten unter anderem aus der Fanszene des FC St. Pauli und von Hinz&Kunzt ließ er den Zaun wieder abbauen. Zwar machen seitdem eigens herangekarrte Steine und ein angelegter Bachlauf den Bereich unter der Brücke ungemütlich – Obdachlose lassen sich dort dennoch immer wieder nieder.

… mit Wassersprenklern vor einem Kaufhaus in der Innenstadt

Besonders perfide vertrieb das Kaufhaus Peek und Cloppenburg Anfang der 2000er Obdachlose aus seinem Eingangsbereich in der Spitalerstraße: Aus Düsen an der Wand ließ man nachts Wasser sprühen, um das Schlafen dort nicht nur ungemütlich, sondern richtig gefährlich zu machen. Nach Protesten von Hinz&Kunzt wurde das Wasser abgestellt – inzwischen schlafen dort seit vielen Jahren wieder Obdachlose.

Über Architektur, die Obdachlosen hilft
Ausstellung
Über Architektur, die Obdachlosen hilft
Das Museum für Kunst & Gewerbe Hamburg zeigt die Ausstellung „Who’s Next? Obdachlosigkeit, Architektur und die Stadt“. Im Interview spricht der Kurator und Architekturhistoriker Daniel Talesnik darüber, wie Architekt:innen etwas gegen Obdachlosigkeit bewirken können.
Autor:in
Benjamin Buchholz
Benjamin Buchholz
Früher Laufer, heute Buchholz. Seit 2012 bei Hinz&Kunzt. Redakteur und CvD Digitales.

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