Aus unseren Veranstaltungstipps: Dodo Schielein lädt zum Konzert für zeitgenössische, experimentelle Klaviermusik auf den Bürgersteig vor ihr Arbeitszimmer ein.
Es ist 20 Uhr am 4. Mai. Dodo Schielein öffnet beide Fenster ihres Arbeitszimmers, ganz weit. Dann setzt sie sich an ihren Bechstein-Flügel. Draußen auf dem Bürgersteig steht ihr Publikum. Es kann in die Erdgeschosswohnung der Komponistin hineinschauen. Aber vor allem kann es ein ungewöhnliches Konzert hören, das hier im Rahmen des Blurred-Edges-Festivals im halb privaten, halb öffentlichen Raum veranstaltet wird: Dodo Schielein spielt zeitgenössische Musik und wird ihrem glänzenden Instrument mit Hilfe von speziellen Requisiten Töne entlocken.
Die Künstlerin baut Stücke bekannter Komponisten neu zusammen oder setzt auf den Zufall. Mit Hilfe selbst gebauter sogenannter Clusterbretter kann die 41-Jährige viele Töne gleichzeitig spielen und so zum Beispiel ein Beethoven-Stück auf wenige Sekunden komprimieren.
Oder sie legt Murmeln auf die Saiten des Flügels und schlägt leicht an. Die Kugeln bewegen sich und produzieren beim Gleiten über das Metall perlende Tonfolgen. Schließlich bleiben sie auf den zu einer anderen Klaviertaste gehörigen Saiten liegen. Nun wird diese Taste angeschlagen und die Murmeln rollen weiter. Zwischendurch herrscht Stille. Ein tolles optisches und akustisches Erlebnis, fast wie eine Meditation. „Mir geht es um die Erinnerung, an das was bleibt, wenn der letzte Ton verklungen ist“, meint die Komponistin. „Und ich möchte das Visuelle und das Akustische verbinden.“
Das scheint ein Leitmotiv im Leben von Dodo Schielein zu sein. Die geborene Münchnerin stammt aus einer künstlerisch sehr interessierten Familie und lernt mit sechs Jahren das Klavier- und später Gitarrespielen. Aber sie ist nicht nur musikalisch, sondern auch ein Augen-Mensch und studiert Grafik-Design. Nach einem Ausflug in die Welt der Werbung weiß sie, dass sie in der Welt der Kunst zufriedener sein wird. „Ich wollte mich weiter entwickeln, „Grenzen überschreiten, etwas Eigenes schaffen“, erinnert sich Schielein. An der Hochschule für bildende Künste studiert sie Freie Kunst und besucht parallel dazu Kompositionsseminar an der Musikhochschule. Ihr Diplom besteht sie mit Auszeichnung.
Inzwischen hat sie ihre künstlerische Heimat gefunden. Sie bekommt Aufträge als Komponistin, tritt selbst mehrmals im Jahr auf und gibt Kompositionskurse für Grundschulkinder. Ihren Lebensunterhalt verdient Dodo Schielein als Grafikerin in einem Verlag. „Nur Musik zu machen, das wäre mein Traum“, sagt sie. Wer weiß, wo die Kugel noch hinrollt.
Sybille Arendt
Dodo Schielein, blurred egdes – Duo mit Bechstein
Dienstag, 4. Mai 2010, 20 Uhr
Telemannstraße 33
Eintritt frei
2006 gründet der Verband für aktuelle Musik (vamh) das blurred edges Festival für aktuelle Musik in Hamburg. An 15 Tagen ab dem 1. Mai präsentiert das Musikfestival 43 Veranstaltungen an 19 über die ganze Stadt verteilten Orten. Vertreten sind neue Musikproduktionen der Hamburger Szene, aber auch internationale Künstler wie Alvin Curran (USA), WuWei (China), Cartoon (Norwegen) und EnsembleN_JP. blurred egdges bedeutet soviel wie „verwischte Kanten”, denn vertreten sind unterschiedliche Stile wie zeitgenössische Klassik, Punk und Elektronica.