Wenn die Stadt demnächst in einem Hinterhof im Karoviertel eine Unterkunft für Flüchtlinge baut, dann bin ist unser Redakteur Jonas Füllner mitverantwortlich dafür. Denn er war dabei, als die Fläche bei dem Workshop Finding Places ausgewählt wurde.
Jetzt sollen es also die Hamburger richten. Sollen nachschauen, ob Senat und Bezirke Flächen für die Unterbringung von Flüchtlingen übersehen haben. Das neue Beteiligungsverfahren heißt „Finding Places“. Entwickelt wurde es an der Hafencity Universität (HCU). In 42 Workshops werden mithilfe eines interaktiven Stadtmodells städtische Flächen durchforstet. Jeder, wirklich jeder kann daran teilnehmen. „Und ich bin mir sicher, Sie werden etwas finden“, so Bürgermeister Olaf Scholz bei der Präsentation Mitte Mai. Und diese Fundstücke, so seine Devise, sollen dann auch bebaut werden. Schließlich benötige Hamburg schnellstmöglich 20.000 weitere Plätze für Flüchtlinge.
Mich hat die Idee fasziniert. Selber prüfen, ob nicht doch vielleicht rund um meinen Wohnort Flächen bereitstehen. Ich wohne im Karoviertel. Hier wurden im vergangenen Sommer Hunderte Flüchtlinge in einer Hauruck-Aktion in der Messehalle einquartiert. Ein Notbehelf, der nur durch die Unterstützung der Anwohner funktionierte. Dass die Flüchtlinge später wegen der Hanseboot weichen mussten und in Baumärkte verfrachtet wurden, während nur wenige Meter entfernt zwei Saga-GWG-Häuser und ein altes Schulgebäude leer standen, habe ich nie verstanden.
Deswegen melde ich mich für Finding Places an: In einem zweistündigen Workshop können die Teilnehmer alle städtischen Flächen einsehen und festlegen, welche Baufelder, sogenannte Flurstücke, sie für Modulbauten für geeignet halten. Diese zweistöckigen Leichtbauten sollen höchstens fünf Jahre stehen bleiben. Deswegen sind langwierige Genehmigungsverfahren hinfällig. Bereits nach zwei Wochen, so der Senat, sollten die Ergebnisse von der Zentralen Koordinierungsstelle Flüchtlinge (ZKF) überprüft sein.
Wir sind 16 Leute: keine Politiker, vereinzelte Stadtteilaktivisten, aber sonst normale Bewohner aus dem Bezirk Mitte, zwischen Mitte 20 und Ende 60. Gleich mit den ersten Wortmeldungen blitzt erstaunliches Expertenwissen auf. Am südlichen Ende der Horner Rennbahn sei ausreichend Platz, erklärt ein Anwohner. Die Rennstrecke bliebe unberührt. „Und den Fußballplatz am Gehölzgraben könnte man auch noch bebauen“, so sein Vorschlag. Aus dem Stegreif listete er acht Fußballfelder in der Umgebung auf, die den Vereinen als Ersatz dienen könnten. „Der Breitensport hat es eh schwer. Da können wir keinen Platz zubauen“, entgegnet ihm ein Teilnehmer und erntet deutlich mehr Zuspruch.
Gerne hätte ich mehr Für- und Wider-Argumente gehört. Doch dafür ist kaum Zeit. Also schnell abstimmen: knappe Mehrheit gegen den Fußballplatz. Dafür 240 Plätze in Modulbauten am Rande der Rennbahn. Ich habe ein mulmiges Gefühl: Schließlich blockiere ich mit meiner Gegenstimme eine Flüchtlingsunterkunft auf einem Fußballplatz, zumindest virtuell.
Eine Woche später stehe ich zusammen mit unserem Fotografen Dmitrij Leltschuk an der Horner Rennbahn. Ich bin beeindruckt von der Weite des Freizeitparks. Der Ruhe. Ein paar Modulhäuser am südlichen Rande der Bahn würden niemanden stören, da waren wir uns einig. Außerdem: Zur U-Bahn sind es nur wenige Meter, auch die nächste Kita und der nächste Supermarkt sind fußläufig erreichbar.
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Weitere InformationenIch fiebere der Antwort entgegen. Die Ernüchterung nach zwei Wochen ist groß: „nicht geeignet“, wegen Lärm- und Luftbelastung. „Aus diesem Grund wäre ein Abstand von mindestens 20 Metern zur Fahrbahnbegrenzung einzuhalten.“ Die dann noch verbleibende Fläche würde nicht mehr ausreichen. Was dazu wohl Flüchtlinge sagen würden? Würden sie den Autoverkehr nicht dem Leben in einer Massenunterkunft vorziehen? Tatsächlich erscheint mir die Begründung vorgeschoben. Große Umbauten stehen an. Ein Einkaufszentrum ist geplant. Die Horner Rennbahn soll eine Doppelrennbahn erhalten. Da stört vermutlich eine Flüchtlingsunterkunft.
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Freunde hatten bereits im Vorfeld meine Begeisterung gedämpft: „Wenn so viel Datenmaterial vorliegt, warum kann die Stadt dann nicht selber alle Flächen untersuchen?“ An der Kritik ist leider einiges dran. Denn ebenfalls „nicht weiter geprüft“ wird die ehemalige Monopolverwaltung für Branntwein. Dabei wäre ausreichend Platz für mehr als 200 Flüchtlinge, hatten wir Workshop-Teilnehmer entschieden. Die Fläche gegenüber dem Elbpark Entenwerder gehört aber nicht der Stadt, sondern dem Bund. Und der, das wird aus der Antwort deutlich, ist nicht am Verkauf oder wenigstens an einer Zwischennutzung interessiert.
Das ist mehr als nur schade. Ich hatte das Gelände besichtigt. Und war hin und weg. Zwei Wohn- und Verwaltungsgebäude in gutem Zustand, ein großer Innenhof und alte, schöne Lagerhallen. Perfekt! Eventuell wären auch Gewerbezeilen oder gar Wohnungsbau mit Blick auf die Elbe möglich. Der Bund aber sieht das anders – und die Gebäude wurden sicherheitshalber mit einem neuen Zaun abgesperrt.
Das nervt. Noch ein Vorschlag unseres Workshops scheitert: das Flurstück zwischen der U-Bahn Feldstraße und dem Bunker auf dem Heiligengeistfeld, weil es als Fluchtweg für den Dom nicht bebaut werden kann.
Diese formalen Gründe spiegeln zugleich die Schwierigkeiten wider, vor denen Behörden und Bezirke real stehen. Umso größer ist daher Mitte Juni meine Freude, als die ZKF schließlich doch noch zwei Vorschläge aus dem Workshop für „geeignet in Ersteinschätzung“ erachtet. Die ehemaligen Fliegenden Bauten auf St. Pauli seien „sozial sowie verkehrstechnisch gut angebunden“, heißt es aus der Behörde. 160 Flüchtlinge könnten auf der Brachfläche neben Planten un Blomen nach Einschätzung des Workshops leben. In direkter Nachbarschaft zu einem Innenhof im Karoviertel, den das ZKF ebenfalls als „geeignet“ für 50 Menschen erachtet.
Zurück aber bleibt ein Geschmäckle. Anwohner bringen beeindruckende Kenntnisse ein, bieten von sich aus Flächen in ihrer Nachbarschaft an. Tatsächlich ungenutzte Flächen aber, wie der Rand der freizügigen Horner Rennbahn und die ehemalige Monopolverwaltung für Branntwein, bleiben unangetastet. Denn am Ende überwiegen eben doch wieder ökonomische Interessen.
Text: Jonas Füllner
Fotos: Dmitrij Leltschuk