Wie die Hinz & Künztler Karin und Thorsten trotz ihrer Drogenabhängigkeit als Familie leben
(aus Hinz&Kunzt 145/März 2005)
Lynn ist ein Wunschkind und einfach süß. „Wir haben uns lange ein Kind gewünscht“, sagt Thorsten und streicht seiner Tochter zärtlich über den Kopf. „Aber wir hatten vorher ja keine richtige Wohnung.“ Allerdings gibt es neben den Wohnverhältnissen noch ein Problem: Papa Thorsten (43) und Mama Karin (37) sind drogenabhängig und werden mit der Ersatzdroge Subutex behandelt. Birgit Müller besuchte die junge Familie.
Im Team von Hinz & Kunzt herrscht Aufregung. Karin, eine langjährige und beliebte Verkäuferin, hat ein Baby bekommen. Lynn. Doch was bei anderen ein tolles Ereignis ist, verursacht bei uns und vielen Kunden gemischte Gefühle. Und das nicht, weil Karin und ihr Freund Thorsten vom Arbeitslosen-geld II leben. Aber werden die beiden es schaffen, ein Kind zu versorgen, obwohl sie drogenabhängig sind? Und wie wohnen sie eigentlich? Schadet es dem Kind, wenn es mit zum Verkaufen fährt? Karin und ihr Freund Thorsten haben diese Fragen schon oft gehört. „Besuch uns doch einfach mal“, sagt Karin. „Dann kannst du dir selbst ein Bild machen.“
Was hatte ich eigentlich erwartet? Ein Matratzenlager und Spritzbesteck auf dem Fußboden? Ich mag Karin wirklich gern, aber offensichtlich hatte ich doch Vorurteile. Denn in dem Moment, in dem ich die Wohnung betrete und sehe, wie es hier aussieht, fällt mir ein Stein vom Herzen. In dem hellen großen Wohnzimmer mit einer Wohnlandschaft strampelt Lynn vergnügt auf ihrer bunten Decke. Ein Esstisch mit Stühlen, ein Fernseher, ein Bücherregal, Pflanzen und ein riesiges Fenster – alles okay. Dann noch ein Badezimmer, eine kleine Küche und das Schlafzimmer.
Der Flur wird beherrscht von einem Kleiderschrank. „Wir haben, was Lynn angeht, für die nächsten Jahre ausgesorgt“, sagt Karin und öffnet stolz die Türen. Heraus quellen Babysachen in mehreren Größen. „Alles Geschenke“, sagt Karin. Auch die Möbel sind zum Teil Geschenke. Geschenke von Kunden, die Karin von ihrem Verkauf her kennt.
Karin serviert Kaffee. „Wir haben übrigens einen Termin beim Arzt gemacht“, sagt sie beiläufig. Diese Information gilt nicht mir, sondern einer Sozialarbeiterin, die im Auftrag des Jugendamtes zweimal die Woche die Familie besucht. Die Frau, die spezialisiert ist auf die Arbeit mit drogenabhängigen Eltern, nickt zufrieden. „Dem Baby geht es gut, und die beiden halten sämtliche Termine ein“, sagt sie.
Thorsten und Karin, seit fünf Jahren ein Paar, machen keinen Hehl daraus, dass sie noch nicht clean sind. Nach wie vor brauchen sie ihre tägliche Ration Subutex. Die bekommen sie aus der Apotheke, und das Ganze ist fast so wie die Einnahme von Medizin. Vorbei die Zeiten, in denen die Beschaffung von Heroin auf dem Schwarzmarkt ihr Leben bestimmte und sie an nichts anderes denken konnten. Seit Lynn auf der Welt ist, läuft sowieso alles anders. „Wir haben einen ganz regelmäßigen Tagesablauf“, sagt Karin. Das bestätigt auch die Sozialarbei-terin. „Das ist sicher auch ein Grund, warum Lynn so einen ausgeglichenen Eindruck macht“, sagt sie. Ein anderer Grund könnte sein, dass Lynn keinen so schweren Entzug nach der Geburt durchmachen musste wie befürchtet. „Ich habe meine Subutex-Ration stark runterdosiert“, sagt Karin.
Apropos Tagesablauf: Gegen 15 Uhr wird Lynn quengelig, sagt Karin. Dann nämlich will sie raus. „Meine Kunden kennen sie alle, und Lynn steht beim Verkauf immer im Mittelpunkt. Sie genießt das richtig.“ Bis abends um 20 Uhr darf sie dabei sein, danach ist Bettruhe. „Spätestens“, fügt Papa Thorsten hinzu. Diese Zeiten sind mit der Familien-helferin abgesprochen. Darauf legt Karin auch Wert. Sie will kooperie-ren, sieht in der Frau nicht den „Kontroletti“, sondern einen Menschen, der wirklich helfen will. „Wenn ich irgendwelche Fragen habe, ob zur Gesundheit oder zur Ernährung, dann besprechen wir die“, sagt sie. Dabei ist ihr völlig klar: Für das Jugendamt steht das Kindeswohl im Mittelpunkt. Daran lässt auch die Sozialarbeiterin trotz ihrer einfühlenden Art keinen Zweifel. „Wenn die Eltern nicht mehr kooperieren, dann geht die ganze Sache vor Gericht.“ Das kann im Klartext Sorgerechts-entzug bedeuten.
Auch unangenehme Fragen spricht die Familienhelferin deshalb immer wieder an. Zum Beispiel, wie es mit Lynn weitergehen soll. Heute aber geht es um Banalitäten: Thorsten hat es noch nicht geschafft, sich in der Wohnung anzumelden. „Ich erledige das“, sagt er. Deutlich ist ihm die Verlegenheit ins Gesicht geschrieben. Auch Karin macht ihrem Lebensgefährten Dampf. Aber insgesamt ist sie zufrieden mit ihm und ihrer Situation. „Ich habe mir so gewünscht, wieder eine Familie zu haben“, sagt sie. Thorsten streichelt ihr sanft über den Arm. „Und Verantwortung“, sagt er. „Für wen hatte ich denn jemals Verantwor-tung? Das ist ein anderes Lebensgefühl.“ Karin schweigt.
Verantwortung ist so eine Sache. Sie hat schon zwei Kinder, beide wurden ihr vor ein paar Jahren weggenommen, weil sie drogenabhängig war. Bis heute hat sie das nicht überwunden. Sie hatte immer das Gefühl, dass die Leute vom Amt sie nur kontrollierten, aber nicht halfen. „Ich habe ihnen deshalb die Tür nicht aufgemacht.“ Ein Riesenfehler. Danach war alles vorbei.
Ihre Tochter Marie (Name geändert) kam zu ihrer Mutter, der Junge zur Schwiegermutter. Der Kontakt zur Tochter ist mit der Zeit immer besser geworden. Die Großmutter lebt jetzt mit der Zwölfjährigen in einem anderen Stadtteil. Beide kommen oft zu Besuch, und Marie bleibt manchmal über Nacht. „Sie ist so stolz auf ihre kleine Schwester“, sagt Karin.
Dass die große Tochter wieder ganz zu Karin zieht, ist nicht mehr im Gespräch. „Wir haben uns alle zusammengesetzt, auch mit meiner Tochter, und beschlossen, dass alles so bleibt, wie es ist“, sagt Karin. „Sie soll nicht ständig hin- und hergerissen werden.“
Im Vergleich zu damals geht es ihr jetzt richtig gut. Jeden Tag will sie mit Lynn und Thorsten genießen. Und mit Marie und ihrer Mutter. „Im Moment habe ich gar keine Träume, ich bin so, wie es ist, richtig glücklich.“ Lynn ist müde und will ins Bett. Zeit zu gehen. „Macht’s gut und viel Glück“, sage ich und hoffe, dass mein Wunsch in Erfüllung geht.
Text: Birgit Müller