Die Hamburger Journalistinnen Özlem Gezer und Özlem Topçu wehren sich gegen rassistische Leserbriefe: Bei Hate Poetry lachen sie mit ihrem Publikum über den Hass. Verachtung kann wirklich komisch sein.
Eigentlich ist sie eine echte Hamburger Deern: 1981 im Uniklinikum Hamburg-Eppendorf geboren, aufgewachsen auf St. Pauli, Studium an der Uni Hamburg, heute Redakteurin beim Spiegel in der Hafencity. Aber den Titel „Deern“ wollen ihr die Hamburger einfach nicht gönnen. „Mich hat noch nie jemand so angesprochen“, sagt Özlem Gezer. Das liegt am Ö in ihrem Vornamen, an ihren dunklen gelockten Haaren, an ihrer nicht unbedingt typisch norddeutschen Hautfarbe. Gezer gehört zu denen, die in Deutschland häufig als Migranten gelten, obwohl sie keine sind. „Ich bin ja nie irgendwohin migriert“, sagt sie. Fast patzig, selbstbewusst.
Aber ihre Großeltern haben das getan, und das wirkt bis heute nach. 1963 kamen sie als Gastarbeiter aus der Türkei. Der Großvater fand Arbeit bei Blohm+Voss, Gezers Vater dann auch. Schon in der Schule merkte sie, dass sie anders behandelt wurde als ihre Mitschüler. „Ich war die diplomatische Vertretung der Türkei im Klassenzimmer“, berichtet sie. Für alles, was in der Türkei geschah, habe sie sich rechtfertigen müssen. Ob sie wollte oder nicht.
Und dann die unangemessenen Fragen, die sie sich wegen der Herkunft ihrer Vorfahren immer wieder anhören musste. Schlägt dein Vater deine Mutter? Stehst du auf Männer mit Vorhaut? Ihre Eltern haben ihr beigebracht, höflich zu antworten. Sie wollten, dass ihre Tochter den Deutschen gefällt.
Heute schreiben manche dieser Deutschen Özlem Gezer Leserbriefe voller Hass. „Ich hoffe, Sie werden irgendwann noch das wahre Gesicht der Arier kennenlernen“, steht zum Beispiel darin. Bedrohlich, aber keine Seltenheit, seit sie beim Spiegel arbeitet. „Wenn dir jemand nachts um drei schreibt, dass er dich kriegen wird, dann ist das natürlich nicht lustig“, sagt die Autorin. Dann kommt auch Angst ins Spiel. Höflich antworten will Gezer dann nicht mehr. „Ich will niemandem mehr gefallen“, sagt sie.
Hate Poetry in Hamburg
Ein bisschen eigenartig sei das schon, sagt Özlem Topçu. Die Zeit-Redakteurin gehört auch zu den Köpfen hinter Hate Poetry. Dazusitzen vor lauter Deutschen, die sich über den Rassismus amüsieren, der ihr und ihren Kollegen entgegenschlägt, stimmt sie manchmal nachdenklich. Dürfen die das? Dann kommt sie aber zu dem Schluss: „Wir freuen uns, wenn wir zusammen darüber lachen können.“ Denn sie sei ja kein Opfer, das ausgelacht wird. Sondern lacht mit. Ausgelacht werden die Autoren solcher Hassmails: „Deutschland hat eine 2000-jährige Kultur, die ihresgleichen sucht. Was weiß diese dumme Trulla schon mit ihrer Knoblauchkultur.“
Statt die Wut über solche Zuschriften in sich hineinzufressen, führen die Journalistinnen bei Hate Poetry deren Verfasser vor. Handeln statt resignieren. „Wir haben einen Weg gefunden, den Leserbriefschreibern ihre Vorurteile um die Ohren zu hauen“, freut sich Topçu. Ein Auftritt mit Hate Poetry könne sehr befreiend sein, findet auch Özlem Gezer: „Weil du merkst, dass es ganz viele in Deutschland gibt, die das genauso scheiße finden.“
Gezer versucht, die Leserbriefe nicht persönlich zu nehmen: „Die meinen ja eigentlich nicht mich. Die wissen ja nichts über mein Leben“, sagt die Hamburgerin. Sie stehe stellvertretend für viele andere, mit denen sie in einen Topf geworfen werde. Die Rolle ihres Lebens: „Migrantin.“ Warum sie diese Rolle spielen soll, will ihr nicht in den Kopf. „Man muss nicht Problemmigrant oder Vorzeigemigrant sein“, sagt Gezer. „Man kann auch einfach da sein.“
Die Vorurteile halten sich hartnäckig, schon viel zu lange. „Unsere Eltern haben sich nicht darüber beschwert“, erinnert sich Özlem Topçu. „Sie haben sich damit abgefunden und gedacht, dass die Deutschen halt so sind.“ Aufgewachsen ist sie, mit kurzen Unterbrechungen, in Flensburg. Dort standen ihre Eltern seit 1973 am Fließband einer Kühlschrankfabrik, im Schichtdienst. In Deutschland hätten sie sich als Gäste gefühlt, die irgendwann wieder gehen. Inzwischen würden auch sie den Mund aufmachen, wenn sie dumme Sprüche kassieren, sagt Topçu: „Wenn du das Gefühl bekommst, dass es dein Land ist, dann fängst du an, dich dagegen zu wehren.“
Heute leben Gezer, Topçu und ihre Eltern in dem Deutschland, das fremdenfeindliche Bewegungen wie Pegida hervorbringt. „Wenn ihr das Volk seid, wer sind wir?“, dachte Özlem Topçu, als die Demonstrationen in Dresden losgingen. „Wir sind auch das Volk, also fickt euch!“ Ihre Antwort auf Pegida: nach Dresden fahren und mit Hate Poetry auftreten, als politisches Statement. Fazit: „Das war richtig geil.“
Text: Benjamin Laufer (H&K)
Foto: Thies Rätzke (ADC)